Eine Karriere als Programmierer galt lange als attraktiv: gut bezahlt, gefragt, zukunftssicher. Spätestens seit dem Aufkommen von ChatGPT steht hinter der Jobgarantie jedoch ein Fragezeichen, denn Künstliche Intelligenz kann mittlerweile so gut Code schreiben wie der Mensch.
Sollte man sich als junger Mensch also überhaupt noch die Mühe machen, Programmieren zu lernen? Thomas Dohmke, Chef der Microsoft-Tochter und weltweit größten Entwickler-Plattform Github, meint: „Ja, am besten heute noch.“
Im Interview mit Capital erklärt der gebürtige Ostberliner, wie die Zusammenarbeit mit Künstlicher Intelligenz bisher funktioniert, wie sich das Berufsbild des Programmierers dadurch ändert und auf welche Fähigkeiten es in Zukunft ankommt.
Capital: Herr Dohmke, Sie haben vor gut drei Jahren einen der ersten KI-Assistenten weltweit vorgestellt: der Github Copilot. Er hilft Softwareentwicklern bei der Arbeit. Wie viel Code wird heute schon von der KI programmiert?
THOMAS DOHMKE: Dort, wo Copilot aktiviert ist, schreibt er ungefähr die Hälfte des Codes. Je nach Programmiersprache ist es mal mehr, mal weniger. Bei manchen Sprachen wie Java sind es über 60 Prozent. Was jetzt hinzukommt, ist die Möglichkeit, per Chat Fragen zu stellen und Code generieren zu lassen. Da ist es nicht mehr so einfach festzustellen, welcher Code von der KI oder vom Menschen gekommen ist.
Und wie schlägt sich die Künstliche Intelligenz bei der Qualität?
Wir haben verschiedene Studien mit Accenture und Microsoft durchgeführt. Sie zeigen klar, dass Programmierer mit KI schneller und produktiver sind. In einer Fallstudie war die Gruppe mit Copilot 55 Prozent schneller bei der Lösung angelangt als die Gruppe, die es ohne probiert hat. Wir sehen zudem, dass die mithilfe von Copilot generierten Codes häufiger nachgefragt werden, was auf eine bessere Qualität schließen lässt. Aus Umfragen wissen wir auch, dass Entwickler sich besser auf die Arbeit fokussieren können und mehr „im Flow“ sind.
Was passiert mit dem Beruf des Programmierers, wenn die KI ihm heute schon die Hälfte der Arbeit abnehmen kann?
Es macht den Beruf des Programmierers ein Stück weit einfacher, weil man die Zeit zum Coden effizienter nutzen kann. Entwickler haben ja auch noch andere Aufgaben, zum Beispiele Sicherheitslücken beheben und Software auf Bedienbarkeit testen. Da sehen wir mit Copilot übrigens auch noch großes Potenzial.
Eine andere Möglichkeit ist, dass man nur noch die Hälfte der Programmierer benötigt. Wie gehen Sie mit solchen ethischen Bedenken um?
Ich bin eigentlich ganz optimistisch für den Beruf des Softwareentwicklers. Solange ich denken kann, hat sich die Softwareentwicklung selbst stetig verbessert. Als ich 1989 angefangen habe, hat man noch Disketten durchs Land geschickt. Dann kam das Internet und die Cloud. Mit Künstlicher Intelligenz gehen wir einfach den nächsten Schritt in dieser Evolutionskette. Zudem haben die meisten Firmen eher das Problem, dass sie viel zu viel Software schreiben müssen und nicht hinterherkommen. Denken Sie an die Beispiele aus der deutschen Autoindustrie. Außerdem gibt es einen enormen Fachkräftemangel. Insofern sind wir darauf angewiesen, uns selbst zu optimieren.
Sie selbst sind in den 1980ern in Ostberlin aufgewachsen. Wie kamen Sie eigentlich zum Programmieren?
In meiner Schule in Marzahn standen im Geografieraum zwei Robotron-Computer im Schrank, auf denen wir uns die Basics selbst beigebracht haben. Als die Wende kam, haben ich mir dann bei Real meinen ersten eigenen Computer gekauft: einen Commodore 64 für etwa 600 D-Mark. Dazu gab es Bücher und Fachmagazine. Mittwochs war im Freizeitforum zudem immer Computerclub – und so habe ich es mir das Programmieren selbst beigebracht.
Würden Sie Jugendlichen heute noch raten, Programmieren zu lernen?
Ja, am besten heute noch. Ich glaube fest daran, dass Kinder in der ersten Klasse Informatik lernen sollten, genauso wie Mathe und Deutsch.
Weshalb? Ihre KI-Werkzeuge können den Code doch schon fast von allein schreiben.
Es ist aus meiner Sicht eine Grundfähigkeit für jeden Menschen, zu verstehen, wie Software funktioniert und wie man sie erstellt. Computer sind heute überall in unserem Leben; die meisten Menschen benutzen ihn häufiger als einen Stift. Deswegen sage ich: Jedes Kind sollte programmieren lernen. Meine Kinder haben selbst auch einen Copiloten, mit dem sie Hundebilder erzeugen oder kleine Spiele bauen. Im Grunde kann jeder damit Programmieren lernen.
Sie sprechen von einer Demokratisierung des Programmierens. Zeigt sich das in den Nutzerzahlen von Github?
Wir sind gerade in der Schweigeperiode vor dem Microsoft-Quartalsbericht, daher kann ich keine Zahlen teilen. (Anmerkung der Redaktion: Microsoft hat Github im Jahr 2018 für rund 7,5 Mrd. US-Dollar gekauft.) Wir merken es definitiv am Feedback von Benutzern - von Kindern, Studenten, Produktionsarbeitern, die zu Softwareprogrammierern umschulen.
Welche Fähigkeiten brauchen Programmierer der nächsten Generation?
Zum einen muss der Programmierer ein Verständnis davon entwickeln, wie ein KI-Assistent und der unterliegende Wahrscheinlichkeitsalgorithmus funktionieren. Eine weitere Schlüsselfähigkeit ist das sogenannte „Prompt Crafting“: Wie schreibe ich den Prompt, um genau die Ausgabe zu bekommen, die ich brauche? Das andere sind Ingenieursfähigkeiten oder „System Thinking“, die helfen, unter 100.000 Möglichkeiten die richtige Entscheidung zu treffen, zum Beispiel: Welche Datenbank verwende ich am besten?
Sehen Sie eine Zukunft, in welcher der Copilot zum Autopiloten wird? Kommt er irgendwann ohne den Menschen aus?
Wir sind an dem Punkt schon angelangt, aber nur für bestimmte, sehr definierte Aufgaben. Es gibt heute keinen Programmierpiloten, der eine ganze Plattform allein bauen kann. Aber es gibt Unteraufgaben, die der Copilot heute schon übernehmen kann. Diese Bausteine werden immer größer werden. Der Copilot ist in vielerlei Hinsicht wie ein Juniorentwickler, den jeder Senior an seiner Seite hat und nochmal kontrollieren muss. Der Mensch und der Pilot werden aus meiner Sicht nach wie vor noch lange eine Rolle spielen.
Die KI-Welt hat vergangene ein Essay von Anthropic-Chef für Wirbel gesorgt, der das Aufkommen einer „mächtigen KI“ auf dem intellektuellen Niveau von Nobelpreisträgern bis 2026 voraussagt. Was denken Sie darüber?
Es ist einfach, solche Zahlen vorauszusagen. Wir reden auch schon seit 20 Jahren von selbstparkenden Autos, und wenn man heute mit einem Mercedes herumfährt, dann parkt der selten wirklich selbst ein. Man kann optimistisch sein, aber ich würde eher abwarten, ob das tatsächlich passiert. Wir bei Github konzentrieren uns lieber darauf, was wir im nächsten halben Jahr unseren Kunden zur Verfügung stellen können.