Im Technologiestreit mit den USA hat China erst kürzlich unter Beweis gestellt: Auch Peking schreckt nicht vor Rohstoffkontrollen zurück. Ab dem 1. August müssen Unternehmen für die Ausfuhr von Gallium- und Germanium-Produkten eine Lizenz beantragen. Im Wirtschaftsministerium wuchs daraufhin die Angst: Was, wenn China seine Ausfuhrkontrollen auf andere Rohstoffe ausdehnt? Sollte auch Lithium unter die Exportkontrollen fallen, „dann haben wir wirklich ein anderes Problem“, warnte Wirtschaftsminister Robert Habeck Anfang des Monats.
Die Sorge kommt nicht von ungefähr. Deutschland und Europa sind beinahe zu 100 Prozent von Lithium-Importen abhängig. Der Rohstoff wird zwar vor allem in Südamerika, Australien und China gefördert, die Verarbeitung erfolgt aber fast ausschließlich in der Volksrepublik. Das Problem: Der Rohstoff ist für die Herstellung von zukunftsträchtigen Technologien unverzichtbar. Er ist unter anderem ein zentraler Rohstoff für die E-Mobilität.
Dass China seine Rohstoffkontrollen auch auf Lithium ausweitet, davon geht Michael Schmidt von der Deutschen Rohstoffagentur (DERA) momentan allerdings nicht aus. „Ich halte es für relativ unwahrscheinlich, dass China sein Ass im Ärmel zieht und auch Lithium mit Rohstoffkontrollen belegt.“ China habe aber durchaus die Marktmacht, den Preis des Rohstoffs zu manipulieren. Entweder, indem es einerseits mehr Material in den Markt gibt, oder Lithium absichtlich zurückhält.
Prognosen zufolge soll die weltweite Nachfrage das Angebot im Jahr 2030 um 500.000 Tonnen übersteigen. Nach Angaben von Fastmarkets waren im vergangenen Jahr weltweit 45 Lithiumminen in Betrieb. In diesem Jahr sollen elf und im nächsten Jahr sieben weitere eröffnet werden. Dieses Tempo liegt nach Expertenmeinung weit unter dem, was eine angemessene weltweite Versorgung sicherstellt.
Eigene Lithiumvorkommen in Europa
„Die verarbeitende Industrie in Deutschland und Europa hat sich viel zu lange darauf verlassen, dass sie ihre Vorprodukte in beliebiger Menge, zu jeder Zeit zum kleinsten Preis am Weltmarkt beziehen kann“, kritisiert Rohstoff-Experte Schmidt. Das Blatt hat sich spätestens durch die Coronapandemie in den vergangenen Jahren gewendet. Unternehmen müssen sich an die neuen Gegebenheiten anpassen. „Das funktioniert in kleinen bis mittelständischen Unternehmen, die in ihrer Rohstoffbeschaffung weitsichtiger und besser aufgestellt sind, schneller als in Großkonzernen.“
Und dabei verfügt Europa durchaus über eigene Lithiumvorkommen. Der Abbau der größten Fördermenge ist sogar in Deutschland geplant. Das Start-up Vulcan Energy will ab 2026 Lithium aus Thermalwasser des Oberrheingrabens in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg durch ein geothermisches Verfahren besonders klimaschonend gewinnen.
„Die Produktion von Lithium an Geothermie zu koppeln ist ein sehr innovativer Ansatz, den es in diesem Umfang bislang nur in den USA gibt“, sagt Schmidt. Ob die Methode ökonomisch vergleichbar oder konkurrenzfähig zu den konventionellen Gewinnungsmethoden sei, müsse sich aber noch herausstellen. Denn am Ende des Tages gehe es immer darum: Was kostet das Produkt? Und möchten Unternehmen sich das leisten?
Der deutsch-australische Neueinsteiger im Rohstoffgeschäft könnte mit seinen angepeilten 25.000 Tonnen im Jahr etwa zehn bis zwölf Prozent des Bedarfs in Europa decken, schätzt der Rohstoff-Experte. Er gibt allerdings auch zu bedenken, dass der innovative Ansatz noch einige wissenschaftliche Fragen unbeantwortet lässt.
Ungeachtet dessen ist er der Meinung: „Wir sollten alle Potenziale nutzen, um in Europa weniger abhängig von Importen zu sein.“ Schließlich legten Rohstoffe aus Südamerika noch unglaubliche Distanzen zurück. „Jede Tonne, die wir in Europa produzieren und nicht importieren müssen, ist aus Umweltgesichtspunkten natürlich ein Gewinn.“
Europa wird immer von Importen abhängig sein
Lithium ist inzwischen das gefragteste Metall der Welt. Laut der Internationalen Energieagentur hat der Preis 2022 ein Volumen von 320 Mrd. Dollar erreicht – und sich damit binnen fünf Jahren verdoppelt. Als Reaktion darauf stiegen auch die Investitionen in kritische Mineralien – mit 50 Prozent verzeichnete Lithium den stärksten Anstieg. Dieser Trend ist laut Schmidt zwar ein Lichtblick und ermutigend, er darf aber lediglich ein Anfang sein. „Wenn der Lithiumbedarf in Europa auch aus Europa heraus gedeckt werden soll, dann ist dafür ein zweistelliges Milliardeninvestment nötig“, schätzt er. Doch die Bergbauexploration ist ein hochvolatiles Geschäft und damit für viele Investoren bislang zu risikoreich.
Um Europas Versorgung mit wichtigen Rohstoffen zu sichern, wollen die EU-Länder die heimische Verarbeitung der Materialien weiter ausbauen. Die Mitgliedstaaten einigten sich Anfang Juli darauf, dass künftig mindestens die Hälfte des jährlichen Verbrauchs der strategisch besonders wichtigen Rohstoffe in der EU verarbeitet werden soll. Mit den Regeln für die Rohstoffversorgung in der EU soll zum einen der Umbau zu einer CO2-neutralen Wirtschaft beschleunigt werden. Zum anderen soll sichergestellt werden, dass die EU bei wichtigen Rohstoffen nicht von Importen aus einzelnen Ländern abhängig ist.
Mit den Projekten, die die Deutschen Rohstoffagentur bis 2030 für umsetzbar hält, können nach Einschätzung der Bundesanstalt 25 bis 30 Prozent des Bedarfs gedeckt werden. „Wir werden in Europa immer abhängig sein von Importen. Eine hundertprozentige Eigenversorgung werden wir nicht hinbekommen“, dämpft Schmidt die Erwartungen. „Das gibt erstmal keinen Anlass zur Euphorie. Wenn wir allerdings bedenken, dass wir momentan noch zu 100 Prozent abhängig von Importen sind, dürfen wir durchaus optimistisch sein.“
Der Beitrag ist zuerst bei ntv.de erschienen