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Kolumne Warum Europa auf Kurs bleiben muss

Wandel tut weh, aber er wirkt. Wenn Europa den Reformkurs fortsetzt, werden das die Wähler honorieren. Von Holger Schmieding
Holger Schmieding ist Chefvolkswirt der Berenberg Bank
Holger Schmieding ist Chefvolkswirt der Berenberg Bank
© Berenberg Bank

Wandel tut weh. Viele Wähler mögen ihn zunächst gar nicht. Das ist nicht neu. Was waren die ersten Ergebnisse, als Margaret Thatcher sich vor 35 Jahren daran machte, ein völlig sklerotisches Britannien zu sanieren und gleichzeitig der Inflation die Stirn zu bieten? Die Arbeitslosigkeit kletterte auf ein neues Rekordhoch, Hundertschaften von Ökonomen verfassten wütende Protestbriefe und viele Briten gingen gegen die Eiserne Lady auf die Straße. Nur der Zufall des Falklandkrieges bescherte ihr danach den erneuten Wahlsieg.

Und was erntete Gerhard Schröder, als er mit seiner Agenda 2010 den deutschen Reformstau auflöste? Die Arbeitslosigkeit kletterte zunächst auf einen neuen Rekord, der versammelte Sachverstand ausländischer Ökonomen forderte eine andere Politik und Schröder verlor die nächste Wahl.

Aber die Geschichte hat den Reformern recht gegeben. Großbritannien mauserte sich vom kranken Mann Europas zum modernen Dienstleistungszentrum für den gesamten Kontinent, Deutschland ist heute dank der Agenda 2010 und der klugen Euro-Politik seiner Nachfolgerin Angela Merkel die Wachstumslokomotive Europas, nachdem es in der Zeit von 1995 bis 2004 zur marodesten Volkswirtschaft des Kontinents abgesackt war.

Vor diesem Hintergrund müssen wir auch die Ergebnisse der Europawahl beurteilen. Unter dem Druck der Krise haben sich viele Länder am Rande Europas einem Reformkurs verschrieben, der weit über die deutsche Agenda 2010 hinausging. Gleichzeitig mussten sie die überbordenden Fehlbeträge in ihren Staatshaushalten durch eine rigorose Sparpolitik eindämmen. Was sind die ersten Ergebnisse dieser Reformen? Richtig. Rekordarbeitslosigkeit, Proteste viele Volkswirte und ein verbreiteter Unmut der Wähler.

Auf dem Weg der Besserung

Im Zuge der Euro-Krise verbinden viele Bürger die schmerzhaften Reformen mit einem Druck aus „Europa“. Schließlich haben die europäischen Hilfsfonds ihre Kredite an unangenehme Bedingungen geknüpft. Entsprechend richtet sich der Unmut der Wähler auch gegen „Europa“.

Wandel tut eben weh. Aber es mehren sich die Anzeichen, dass die Reformen wirken. Das Wirtschaftsklima an der Euro-Peripherie hat sich so aufgehellt, dass es mittlerweile nahe am oder sogar über dem historischen Durchschnitt dieser Länder liegt. In Spanien ist die Arbeitslosigkeit in den letzten zwölf Monaten um 350.000 gefallen. Sie ist mit 5,7 Millionen immer noch viel zu hoch. Aber die Wende ist da.

Die jüngste Umfrage des Pew-Instituts zeigt, dass die Zustimmung zur europäischen Idee in diesem Frühjahr in vielen Ländern bereits wieder etwas gestiegen ist. Der Aufschwung nach der Krise hat eingesetzt. Er kam zwar zu spät, um das Wahlergebnis noch fundamental zu ändern. Immerhin haben die meisten Protestparteien eher weniger Stimmen bekommen, als Meinungsumfragen ihnen noch vor drei Monaten zugeschrieben hatten.

Zustrom der Arbeitssuchenden aus dem Süden wird nachlassen

Ein genauer Blick auf die Wahlergebnisse zeigt zudem, dass die Erfolge der radikalen Parteien von rechts und links nicht nur ein Reflex der jüngsten Wirtschaftskrise sind. Gerade am rechten Rand konnten Parteien wie UKIP in England, der Front National in Frankreich und die AfD in Deutschland mit einer mehr oder weniger subtilen Botschaft gegen Einwanderer punkten.

Auch dies muss nicht von Dauer sein. Mit der sich anbahnenden Wende am Arbeitsmarkt der europäischen Reformländer wird der Zustrom von Arbeitssuchenden aus diesen Ländern nach Nordeuropa in wenigen Jahren spürbar nachlassen. Zudem zeigen Umfragen, dass gerade die Protestparteien von rechts bei nationalen Wahlen weit weniger Stimmen bekommen würden als bei der Europa-Wahl.

Als Reaktion auf das Ergebnis der Europa-Wahl braucht Europa nicht eine völlig andere Politik. Nein. Es muss stattdessen die Reformen vollenden, deren erste Erfolge sich langsam abzeichnen. Das werden dann auch die Wähler honorieren.

Renzi wird Reformpolitik belohnt

Die vielleicht wichtigste Botschaft der Europa-Wahl ergibt sich aus dem Vergleich Frankreichs mit Italien. In Frankreich hatten vor genau zwei Jahren die Sozialisten die nationalen Wahlen mit dem unsinnigen Versprechen gewonnen, den Franzosen alle unangenehmen Dinge wie Einschnitte im Staatshaushalt oder sogar Strukturreformen zu ersparen. Frankreichs wirtschaftlicher Niedergang hat mittlerweile eben diese Sozialisten zu einem Kurswechsel gezwungen . Die Wähler haben die Sozialisten jetzt für ihre falschen Versprechen von damals abgestraft. Aber in Italien hat der neue Premierminister Renzi den Bürgern vor der Wahl reinen Wein eingeschenkt: Er will Reformen, er will das verkrustete System Italiens aufrütteln. Dafür haben ihn die Wähler mit einem grandiosen Wahlsieg belohnt.

Natürlich hat es Renzi auch geholfen, dass sein Vorvorgänger Monti einen Teil der Drecksarbeit, nämlich das Anheben der Steuern, bereits so gründlich erledigt hatte, dass Renzi jetzt einige Steuern sogar senken kann. Aber in einem Meinungsklima, dass gerade in Italien von schrillen anti-europäischen Parolen geprägt war, hat Renzi sich vor allem mit seinem klaren Bekenntnis zu Europa und zu Reformen durchgesetzt. Er hat damit ein Beispiel gesetzt. Kurs halten. So geht Europa.

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