In ganz Deutschland müssen bis Ende Oktober Eigentümer ihre Grundsteuererklärung abgeben. In ganz Deutschland? Nein, es gibt 16 Gemeinden, die die Steuer nicht erheben. Warum? Anruf bei zwei Bürgermeistern
Rund 175 Euro Grundsteuer zahlten deutsche Eigentümer im vergangenen Jahr im Durchschnitt an ihre Kommunen. Etwas mehr als im Vorjahr also, was unter anderem an den acht Prozent der Kommunen liegt, die den Hebesatz erhöht haben. In den aktuellen Statistiken, die die Beratungsgesellschaft EY erhoben hat, fallen neben ein paar wenigen Gemeinden, die den Grundsteuerhebesatz verringert haben, 16 andere ganz besonders auf: Sie erheben nämlich gar keine Grundsteuer. Wie geht das? Und ziehen die Gemeinden womöglich an anderen Stellen einen Nutzen aus der vermeintlichen Vergünstigung?
Zunächst einmal: Die Grundsteuer wird auf Grundstücke und die darauf stehenden Gebäude erhoben. In die Kategorie A fallen unter anderem Forst- und Landwirtschaftsbetriebe, alle anderen in die Kategorie B. Bundesweit machen die Erträge durch diese Steuern rund 15 Mrd. Euro der Haushalte in den Gemeinden und Städten aus. Sie sind also darauf angewiesen, um Schulen, Straßen und Schwimmbäder zu bauen oder instand zu halten. So komme es häufig „gerade in Regionen mit vielen finanzschwachen Kommunen zu Anhebungen“, so Studienautor Mattias Schneider von EY.
Warum sich 16 Gemeinden diese Einnahmen entgehen lassen, scheint da auf den ersten Blick recht unverständlich. „Bei uns ist es eher eine Art Umschichtung“, erklärt Alexandra Krebs. Sie ist Ortsbürgermeisterin der Gemeinde Wahlbach im Rhein-Hunsrück-Kreis. Die Gemeinde bekommt an anderer Stelle so viel Geld in die Kassen, dass sie auf die Grundsteuer nicht mehr angewiesen ist. „Wir möchten eben etwas an unsere Bürger zurückgeben“, sagt Krebs.
Die zusätzlichen Einnahmen kommen durch die vielen Windräder, die in der Region stehen. So fallen im Rhein-Hunsrück-Kreis auf ein Windrad rund 350 Einwohner, mit Blick auf ganz Deutschland sind es beinahe 3.000. Dass vier der 16 Gemeinden, in denen keine Grundsteuer erhoben wird, aus diesem einen Kreis kommen, ist demnach kein Zufall.
Erst 2013 gingen die Windräder in Betrieb, was zuvor durch einen Bürgerentscheid der Wahlbacher ermöglicht wurde. „Schon vorher gab es Überlegungen“, berichtet Krebs, „die fielen aber gegen die Windräder aus“. Vor neun Jahren war es dann so weit. Zu dieser Zeit hatte die Gemeinde mit nicht bezahlten Krediten zu tun, zum Beispiel wegen der Renovierung des Gemeindehauses. Die Einnahmen durch die Grundsteuer waren entsprechend ein fester Bestandteil des Haushalts.
Mit den Windrädern kamen die Pachten der Betreiber in den Kreis sowie die Gemeinde Wahlbach. „Bis dahin waren wir eine eher arme Gemeinde“, sagt Krebs. 2017 entschied sich die Gemeinde dank der neuen Einnahmen schließlich dazu, zumindest die Grundsteuer B auf null zu setzen. Die Reihenfolge ist der Ortsbürgermeisterin wichtig, denn: „Dieses Mittel sollte keineswegs die Entscheidung der Bürger hinsichtlich der Windräder beeinflussen.“ Seitdem überprüft die Gemeinde alle zwei Jahre neu, ob sie die Grundsteuer weiterhin nicht erheben muss. Bisher wurde diese Frage stets bejaht.
Wahlbach als Teil des Rhein-Hunsrück-Kreises ist in einer Vorreiterrolle. Die Menschen dort leben bereits jetzt klimaneutral. Das geht nicht allein durch die Windräder. Dahinter steht eine umfassende Strategie, über die der „Stern“ im vergangenen Jahr ausführlich berichtete. Schlicht, weil sie es sich leisten können, verzichten vier Gemeinden in diesem rheinland-pfälzischen Kreis also auf die Grundsteuer.
Auch in der Gemeinde Büsingen wird keine Grundsteuer erhoben, jedoch aus einem anderen, einzigartigen Grund. Denn Büsingen grenzt wie eine Insel als deutsche Enklave nur an Schweizer Staatsgebiet – und ist Teil des Zollgebiets des Nachbarlands. Damit bezahlen die Einwohner von Büsingen auf ihre Einkäufe die schweizerische Mehrwertsteuer. Der auf Büsingen entfallende Anteil wird aber pauschal an die Gemeinde zurückerstattet. „Dennoch haben auch wir hier die Schweizer Lebenshaltungskosten“, gibt Bürgermeisterin Vera Schraner zu bedenken. Um die Bürger zu entlasten, brauchen die keine Grundsteuer zu zahlen.
Die meisten Kinder, auch Schraner, gehen oder gingen zu Schweizer Schulen. Dass der Bus auch ins deutsche Büsingen fährt, koste die Gemeinde allein rund 160.000 Euro im Jahr. „Wir sind also sehr dankbar, dass wir durch die Rückerstattung der Mehrwertsteuer abgefedert werden“, sagt Schraner.
Keine Grundsteuer zahlen zu müssen, bleibt eine sehr seltene Ausnahme, die nur durch besondere Umstände in einzelnen Gemeinden möglich ist. Für die Bewohner bedeutet es eine finanzielle Entlastung. Die ist im Rhein-Hunsrück-Kreis und Büsingen aber gut begründet – und offenbar kein Mittel, um für zugezogene Bürger oder sogar Unternehmen attraktiver zu werden. Dafür ist die Grundsteuer schlicht zu wichtig, meint Mattias Schneider von EY. „Dass die Grundsteuer gesenkt wird, kommt ohnehin nur sehr selten vor", beobachtet er. Um also keine Grundsteuer zu zahlen, müsste man in eine der 16 Gemeinden ziehen.