Diese Woche geben die Amerikaner bei den wichtigsten Zwischenwahlen der jüngsten Vergangenheit ihre Stimme ab. Die große Frage ist, ob wir die prognostizierte „blaue Welle“ wütender Demokraten sehen werden, die zur Rückeroberung des Repräsentantenhauses führt. Falls es so kommt, werden Analysten das Ende der Trump-Ära verkünden.
Tatsächlich wird es aber nur die nächste Phase einer schwierigen Aufgabe für die Demokraten sein. Die Partei ist gespalten: Auf der einen Seite gibt es die alten Establishmentgrößen wie Nancy Pelosi, die als erste Sprecherin des Repräsentantenhauses seit sechs Jahrzehnten ihre Position wiedererlangen könnte, und auf der anderen Seite Progressive, zu denen Elizabeth Warren, Bernie Sanders und ihre jüngeren Gefolgsleute wie Alexandria Ocasio-Cortez gehören.
Es ist eine Spaltung, die von einer schweren Sünde der Demokratischen Partei herrührt: Sie hat es versäumt, sich den Interessen der Unternehmen zu widersetzen. Seit den 90er-Jahren haben Progressive allzu oft einfach nur republikanische Ideen über Handel, Kapitalmärkte oder Gesundheitsversorgung übernommen, um sie dann ein wenig freundlicher und sanfter zu gestalten.
Oder sie entwickelten Strategien, die - wirtschaftlich und politisch - nach hinten losgegangen sind, etwa als sie zuließen, dass sich „too big to fail“-Banken bildeten und Plattformunternehmen eine dominante Stellung erlangen konnten. Kein Wunder, dass sich viele Liberale lieber auf Identitätsfragen konzentrieren und keine neue Ideen entwickeln, um die Mittelschicht zu stärken. Es ist einfacher.
Andere treiben die Entwicklung voran
Die Herausforderung für die Demokraten sieht mittelfristig nicht anders aus als die Aufgabenstellung für viele Unternehmen. Sie alle stehen unter dem Druck, ihren Zweck und ihre Haltung in einer Zeit zu definieren, in der das Vertrauen in den Kapitalismus und die liberale Demokratie schwindet. Unternehmen wie Liberale finden es viel einfacher, über soziale Fehlentwicklungen – gleich ob real oder als wahr empfunden – zu sprechen, als sie zu korrigieren. Jeder mir bekannte Unternehmensführer tut sich schwer damit, Themen wie Waffenkontrolle, Schwulen- und Lesben-Rechte, Rassismus und #MeToo anzusprechen. Antriebskräfte sind eine junge, fortschrittliche Kundschaft und Beschäftigte, wie jüngst der weltweite Protest der Google-Mitarbeiter gegen Sexismus am Arbeitsplatz zeigte.
Natürlich ist es viel einfacher, eine Arbeitsniederlegung wegen sozialer Fragen zu inszenieren, als Geschäftsmodelle zu ändern, von denen meistens die Spitzen auf der sozioökonomischen Leiter profitieren. Schauen wir uns beispielsweise den Niedergang von Sears an: Die Vermögenswerte des Unternehmens wurden ausgeschlachtet zu einer Zeit, als der heutige Finanzminister Steven Mnuchin im Vorstand saß. Es ging darum Investoren zu bezahlen.
Zwischen 2005 und 2012 gab Sears 6 Mrd. Dollar für Aktienrückkäufe aus, obwohl der Konzern nur 1,8 Mrd. Dollar an operativen Mitteln generierte. Wir sprechen von einem Unternehmen, das in seinen glorreichen Tagen stolz darauf war, zehn Prozent seines Gewinns mit seinen Mitarbeitern zu teilen. Amazon, das neue Sears, hat den Mindestlohn für seine Beschäftigten auf 15 Dollar pro Stunde erhöht, nachdem Bernie Sanders Druck ausgeübt hat. Dafür bekommen die in den Amazon-Warenlagern Beschäftigten aber auch keine Aktienoptionen mehr. Ich denke mal, Gründer Jeff Bezos ist bei diesem Deal gut weggekommen.
It's the Economy Stupid!
Doch obwohl sich Politiker und Unternehmen auf Identitätsfragen konzentrieren, stehen wirtschaftliche Probleme für die meisten Wähler im Vordergrund. Die Ausgaben für das Gesundheitswesen stiegen im vergangenen Jahr um 8,5 Prozent, viermal schneller als die Inflation. Umfragen zeigen, dass dieses Thema für die meisten Amerikaner viel wichtiger ist als die Frage, welches Geschlecht welchen Waschraum benutzt.
Einige Menschen werden am Dienstag gegen die Republikaner stimmen aus aufrichtiger Wut über Präsident Donald Trumps Umgang mit den rassistischen und gewalttätigen Protesten des letzten Jahres in Charlottesville, die Behandlung von Migrantenkindern durch seine Regierung oder seine Frauenverachtung. Aber bei einem genaueren Blick stellt man fest, dass die mittelfristigen Debatten mit Wirtschaft zu tun haben.
Die größte politische Kluft in den USA besteht zwischen weißen Männern der Arbeiterklasse, die republikanisch wählen, und weiblichen Demokraten mit Hochschulbildung. Ich glaube, es geht weniger um das Geschlecht als vielmehr um eine Wirtschaft, in der zwei Drittel der gut bezahlten neu entstehenden Jobs mindestens zwei Jahre College erfordern.
Ein neues Wohlstandsversprechen für alle muss her
Demokraten schneiden überall dort gut ab, wo man binnen 20 Minuten einen Whole-Foods-Biomarkt erreichen kann (eine hochpreisige Lebensmittelkette, die zu Amazon gehört und die sogar in meiner wohlhabenden Nachbarschaft als „Whole Paycheque“ bekannt ist). Trump gewann dagegen 76 Prozent der Wahlbezirke mit einem Restaurant der Kette Cracker Barrel, wo es Steaks für 10 Dollar gibt und Nostalgie großgeschrieben wird.
Es erstaunt mich immer wieder, dass ein Mann wie Trump, der für mich der korrupteste und raffgierigste Präsident aller Zeiten ist, es geschafft hat, sich den verzweifelten Menschen in den ärmeren Teilen der USA als ihr Retter zu präsentieren. Aber sein Gerede ist hohl, und mit seiner Politik einschließlich der Steuersenkungen zum Anheizen der Konjunktur, wird er eine Bruchlandung hinlegen.
Das ist die Chance aber auch eine Herausforderung für die Demokraten. Wenn sie eine Zukunft haben wollen, müssen sie eine neue ökonomische Plattform anbieten, die für weite Teile des Landes funktioniert, auch für diejenigen, die Eisbergsalat statt Rucola essen. Sie müssen sowohl Führungskräfte aus Unternehmen als auch den Wirtschaftsflügel der eigenen Partei von diesem Kurs überzeugen.
Die meisten Amerikaner, liberale wie konservative, sind sich einig in ihrer Definition dessen, was eine „gerechte“ Wirtschaft ausmacht - es geht darum, den Wohlstand zu mehren sowie die Bezahlung und die Lebensverhältnisse der Arbeiternehmer zu verbessern. Es wäre klug, wenn sich sowohl Politiker als auch Unternehmen auf solche Ideen konzentrieren würden, die Menschen zusammenbringen, und nicht auf die, die sie auseinander bringen.
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