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Gastkommentar Warum die Regierungen handeln müssen

Als Angebotskrise hat sie begonnen, als Nachfragekrise kehrt sie zurück. Die EU-Regierungen müssen gegensteuern. Von Gustav Horn
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Gustav Horn ist Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung. Er lehrt an der Universität Duisburg-Essen

Die schlechten Nachrichten scheinen kein Ende zu nehmen. Entgegen den Erwartungen vieler hat sich die Stimmung in der deutschen Industrie immer weiter verschlechtert, und die Konjunkturprognosen werden laufend nach unten revidiert. Noch wird das fatale R-Wort vermieden, doch hinter verschlossenen Türen mag niemand mehr eine Rezession, nicht nur im Euroraum, sondern auch in Deutschland, ausschließen. Das Gespenst der Unsicherheit tritt aus dem Schatten der Finanzmarktkrise und der Krise des Euroraums.

Denn beide Krisen sind entgegen landläufiger Ansichten noch nicht überwunden. Zwar konnte sich Deutschland zeitweise über recht hohe Wachstumsraten freuen, zudem ist die Beschäftigungslage bei uns nach wie vor relativ günstig. Doch im Hintergrund schwelten die Krisen weiter. Im Finanzsektor ist trotz eines insgesamt positiven Resultates europäischer Banken beim Stresstest der EZB noch keine verlässliche Stabilität erkennbar. Die strengere Regulierung kommt nur schleppend voran. Weiterhin gehen einzelne Banken und vor allem Schattenbanken erhebliche Risiken ein, die wegen der Größe der einzelnen Institute immer noch eine Bedrohung für die wirtschaftliche Stabilität zumindest in Europa darstellen.

Auch die Hoffnungen auf ein allmähliches Abklingen der Krise im Euroraum haben getrogen. Zwar ist der Schrumpfungsprozess in den Krisenländern weitgehend zum Stillstand gekommen. In einzelnen Ländern wie Spanien ist sogar wieder ein zaghaftes Wachstum zu beobachten. Doch gleichzeitig schwächt sich nunmehr das Wachstum in den wesentlich größeren Volkswirtschaften Italien, Frankreich und auch Deutschland ab.

Bittere Medizin mit unerwünschten Nebenwirkungen

Die Krise ist also noch da. Sie hat jedoch ihren Charakter verändert. Am Anfang standen strukturelle Probleme des Euroraums als Ganzem und Wettbewerbsprobleme auf der Angebotsseite in den bekannten Krisenländern durch zu hohe Inflationsraten über eine zu lange Zeit. Dagegen wurde die bittere Medizin einer Austeritätspolitik verabreicht, die über massive Sparprogramme im öffentlichen Sektor, Lohnkürzungen und Arbeitsmarktreformen zu Lasten der Beschäftigten, die Verschuldungs- und Angebotsprobleme zu überwinden versuchte.

Diese Therapie hat in gewisser Hinsicht angeschlagen, aber nicht ganz so wie die Ärzte es gewollt und erwartet haben: Zwar hat man das Problem überhöhter Inflationsraten in den Krisenländern durch den massiven Nachfrageentzug wie erhofft in den Griff bekommen; allerdings in stärkerem Umfang als gewünscht. In Griechenland herrscht mittlerweile Deflation und die übrigen Länder sind nicht weit davon entfernt. Das mag zwar günstig für die Exporte sein, lähmt aber die Binnenwirtschaft umso mehr. Im Ergebnis schrumpfen diese Volkswirtschaften weiter oder stagnieren mehr oder minder, was auch dazu führt, dass der Schuldenabbau nicht vorankommt.

Zugleich entfalten sich zunehmend die fatalen Nebenwirkungen der angewandten Therapie. Der Nachfragentzug in den Krisenländern wurde von Anfang an nicht durch eine kompensatorische Wirtschaftspolitik in den nicht unmittelbar von der Krise betroffenen Ländern des Euroraums begleitet. Die Geldpolitik war und ist gegen manche Widerstände gerade aus Deutschland voll damit beschäftigt, den Finanzsektor durch niedrige Zinsen und großzügige Liquiditätszufuhr zu stabilisieren. Das war soweit erfolgreich, greift aber in Zeiten großer Unsicherheit nicht auf die Realwirtschaft über. Mittlerweile ist die Geldpolitik bei Zinsen in der Nähe von Null am Ende ihrer Möglichkeiten angelangt. Sie bedarf der Unterstützung.

Sparen ist das falsche Rezept

Mittlerweile hat sich nämlich der zunächst partielle Nachfrageentzug wegen der unterlassenen Hilfeleistung seitens der Wirtschaftspolitik zu einem gesamteuropäischen ausgeweitet. Er betrifft gerade die großen Länder wie Frankreich und Deutschland, deren Exporte hierunter stark leiden. Im Ergebnis ist die Krise, die als Angebotskrise begann, nunmehr als Nachfragekrise zurückgekehrt.

Leider wird dies seitens der Wirtschaftspolitik allenfalls hinter verschlossenen Türen anerkannt. Entsprechend zögerlich fällt die Reaktion aus, wenn von einer Reaktion überhaupt die Rede sein kann. Im Gegenteil, es besteht die Gefahr, dass nunmehr mit Verweis auf die schlechtere Wirtschaftsentwicklung der Sparkurs in den großen Ländern verschärft wird. Wenn wie in Deutschland die schwarze Null oberste wirtschaftspolitische Priorität hat, heißt dies: Die Regierung verzichtet darauf, Wachstum und Beschäftigung zu stabilisieren. Das geschieht in der stillen und trügerischen Hoffnung, der Markt möge seine Krisen selbsttätig überwinden. Das hat er noch nie geschafft.

Setzt die Bundesregierung also ihren bisherigen Kurs fort, wird sie sich an weitere schlechte Nachrichten gewöhnen müssen. Auch sie wird dann erneut ihre Konjunkturprognosen nach unten revidieren müssen. Schlimmer noch für sie: Weil die schlechtere Konjunktur auf die Steuereinnahmen drückt, wird dann auch die schwarze Null ins Wanken geraten. Und das wäre wohl die ultimative Horrormeldung.

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