Eines muss man Friedrich Merz lassen: Mit seinem neuen Generalsekretär ist ihm in dieser Woche ein kleines Kunststück gelungen. Der CDU-Chef schaffte es, obschon selbst gehörig unter Druck stehend, mit einer eigentlich absehbaren Personalie doch alle zu überraschen. Das muss man erstmal hinbekommen.
Dennoch fiel das Urteil über die Neubesetzung ziemlich einhellig aus: Mit Carsten Linnemann stehe nun an der Parteispitze ein zweiter Merz – konservativ, wirtschaftsliberal und stets ein bisschen zu aggressiv. Das sei riskant, hieß es, denn so verschrecke Merz den liberalen Flügel der Partei, jene Funktionäre und Wähler, die dem moderaten Kurs von Angela Merkel nachtrauern.
Doch das muss nicht so sein, zumindest nicht aus Merz’ Sicht – an der CDU-Spitze geht es im Moment nämlich eher zu wie mitunter beim Heimwerken zuhause: Doppelt hält manchmal eben doch besser.
Generalsekretäre sind immer extrem wichtige Personalien für Parteivorsitzende – im Guten wie Schlechten, über alle Parteigrenzen hinweg: Sie sind engste Mitarbeiter, wichtige Strategen, Lautsprecher, Zuspitzer und manchmal auch Weichensteller. Von Linnemanns Vorgänger, dem Berliner Mario Czaja, versprach sich Merz ein Signal an die alte Merkel-CDU: Seht her, ich bin doch gar nicht so, ich habe auch was übrig für Großstädter mit Lastenrad aus dem Prenzlauer Berg. Dieses Kalkül ging nicht auf – was allerdings weniger mit Czaja und mehr mit Merz selbst zu tun hat.
Denn je mehr Czaja seinen Parteichef nicht verstärkte, sondern lediglich ergänzte oder eher noch abmilderte und relativierte, umso mehr musste Merz wieder Merz sein – und das sorgte für eine verhängnisvolle Spirale interner Zweifel und Gereiztheit.
Bescheidene Bilanz
Um die Tragweite der Entscheidung zu verstehen, muss man sich ein bisschen in Merz’ Lage versetzen und sich einmal seine 18-monatige Bilanz als CDU-Chef ansehen. Angetreten war er mit dem Versprechen, die CDU wieder zu alten Höhen zurückzuführen und die AfD im Gegenzug zu halbieren. Herausgekommen ist dabei ein eher bescheidener Zuwachs der CDU-Werte von 24 Prozent bei der letzten Bundestagswahl auf 28 bis 29 Prozent in aktuellen Umfragen. Damit ist die Union zwar klar stärkste Kraft in den Umfragen, doch der dauerhafte Sprung über die Hürde von 30 Prozent war bisher nicht erkennbar. Zugleich aber hat sich die AfD fast verdoppelt, von zehn Prozent bei der letzten Wahl auf 19 bis 21 Prozent in den jüngsten Umfragen. Man tritt Merz kaum zu nahe, wenn man festhält: So hatte er sich das sicher nicht vorgestellt.
Zumal sich die drei Ampelparteien SPD, Grüne und FDP wirklich anstrengen, Merz eine Vorlage nach der anderen zu liefern. Doch selbst der wochenlange Heizungsstreit in der Regierung kostete CDU/CSU eher zwei bis drei Prozentpunkte als dass der Oppositionsführer gewann – profitieren konnte dagegen vor allem die AfD.
Daher überraschte es auch kaum, dass vor einigen Wochen Hendrik Wüst, der machtbewusste Ministerpräsident aus Nordrhein-Westfalen und bekennende Merkelianer, anmerkte, bei der Kanzlerkandidatur 2025 hätten auch die Landesverbände der Union ein Wörtchen mitzureden. Diese kleine Spitze war eine besonders elegante Form für die Eröffnung eines knallharten Machtkampfs: Wüst führt den mächtigsten Landesverband der CDU, der auf Parteitagen gut ein Drittel der Delegierten stellt – es ist auch Merz’ Landesverband. Es war eine gezielte Provokation, die bei Merz genau den Reflex auslöste, den Wüst wahrscheinlich im Sinn gehabt hatte: Mit seiner Reaktion sollte sich Merz noch mehr ins Abseits stellen.
„Merz hat sich nicht unter Kontrolle“
Und tatsächlich tat er Wüst diesen Gefallen: Merz attackierte im Gegenzug Wüsts schwarz-grüne Landesregierung in NRW, erklärte die Grünen (den einzig realistischen Koalitionspartner der Union nach 2025) zum „Hauptgegner“ (was Wüst und viele seiner CDU-Ministerpräsidentenkollegen mit grünen Koalitionspartnern wiederum nicht besonders klug fanden) – und weckte so nur neuerliche Zweifel an seinen strategischen Fähigkeiten. „Friedrich Merz wird niemals Kanzlerkandidat“, berichteten etliche CDUler in den Wochen darauf genervt, „er hat sich nicht unter Kontrolle.“
Ja, „die Hütte brennt“, wie selbst die konservative „FAZ“ diese Woche über den Zustand der CDU spitz feststellte.
In dieser Gemengelage aber kann der doppelte Merz nun für Merz selbst eine doppelte Entlastung bringen: Linnemann ist im Landesverband NRW eine klare Ansage an seine Kritiker und Zweifler, die Merz bereits abgeschrieben hatten. Der neue General, selbst Nordrhein-Westfale, ist eine Botschaft an die eigene Partei: So schnell gebe ich nicht auf.
Und zugleich eröffnet Linnemann dem Parteichef eine Freiheit, die dieser mit Czaja an seiner Seite nicht hatte (oder zumindest nicht glaubte zu haben): Solange nun Linnemann die Attacken auf die Grünen betreibt (und niemand glaubt, dass Linnemann in diesem Punkt anders tickt als sein Chef), kann Merz selbst etwas moderater auftreten und das Defizit ausgleichen, das seine internen Kritiker umtreibt: zu hart zu sein, nicht vermittelbar bei der jüngeren Klientel in den Großstädten.
Niemand kann heute sicher sagen, ob dieses Kalkül aufgehen wird. Doch eines ist sicher: Mit der Entscheidung für Linnemann in dieser Woche hat Merz klargemacht, dass er sich im Kampf um die Kanzlerkandidatur der Union 2025 noch lange nicht geschlagen gibt.