Er hat ihn immer wieder verteidigt. Hat jede Kritik zurückgewiesen. Hat die gute Zusammenarbeit gelobt, als längst jeder sehen konnte, dass zwischen den beiden wenig zusammenlief, schon gar nichts Gutes. Damit ist nun Schluss. Friedrich Merz hat sich entschieden, es fiel ihm nicht leicht, aber es muss wohl sein: Der CDU-Chef tauscht seinen Generalsekretär aus. Mario Czaja, 47, muss gehen, nach nur eineinhalb Jahren.
Der neue Mann an Merzens Seite ist die geringste Überraschung dieses alles in allem dann doch etwas überraschenden Manövers. Carsten Linnemann, 45, bislang einer von fünf stellvertretenden Parteivorsitzenden, trat schon seit einiger Zeit auf wie eine Art Schatten-General. Als Chef der Grundsatzkommission treibt er die inhaltliche Erneuerung der CDU voran. Jetzt übernimmt er ein Amt, mit dem er immer schon liebäugelte. Ein Mann, am Ziel seiner Träume. Vorerst.
Im politischen Berlin kennt man ihn als christdemokratische Version von Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel: Kaum hat er ein Thema entdeckt, eine Idee verkündet, eine Initiative gestartet, kommt gleich die nächste hinterher. Nicht jede davon ist neu. Was Linnemann nicht daran hindert, sie so zu verkaufen.
Er hat ein Gesellschaftsjahr für alle gefordert und eine Vorschulpflicht für Kinder, die kaum Deutsch sprechen. Er hat Bücher über den Mittelstand geschrieben und eines über den politischen Islam herausgegeben. Und er hat sich mit Themen befasst, die andere meiden, weil man damit die eigenen Anhänger aufscheuchen kann: mit Steuer- und Rentenpolitik.
In einer Partei, in der die meisten einfach nur regieren möchten, gehört Linnemann zu denen, die ab und an auch ein bisschen nachdenken wollen. Die ihre Parteifreunde mit inhaltlichen Lücken und offenen Flanken konfrontieren: Was sollte die Union denn umsetzen, wenn sie regiert.
Er hat gemahnt und gewarnt, stets vergebens
Viele Jahre wollten sie in der Partei davon wenig wissen. Angela Merkel regierte vier lange Legislaturperioden. Es war eine Zeit, in der die Deutschen gut und gerne gelebt haben. Und in der sich wenige in der CDU den Kopf darüber zerbrechen wollten, was eigentlich danach kommen könnte.
Linnemann hat gemahnt und gewarnt, stets vergebens. Er wurde belächelt, manchmal sogar verspottet – bis zu dem Wahlabend im September 2021, der ihm recht gab. Aber da war es zu spät. Da war der Schaden angerichtet. Die Union hatte die Wahl verloren, glückloser Kandidat, uninspiriertes Programm – und fiel tief in die Sinnkrise.
Und Carsten Linnemann? Wollte jetzt so richtig loslegen. Er formulierte fünfzehn Ideen für eine bessere Politik, packte sie in ein Buch und verpasste dem Ganzen einen Titel, der möglichst viele Menschen da abholen soll, wo er sie vermutet: „Die ticken doch nicht richtig!: Warum Politik neu denken muss.“
Früher wäre es dabei geblieben. Linnemann hatte mal wieder ein paar Ideen. Parteifossil Wolfgang Bosbach gefällt das. Einige Medien berichten. Das war's. Anders als früher allerdings ist die Union inzwischen in der Opposition. Und auch da trotz der Ampel-Misere nicht besonders erfolgreich. Da kann sie einen wie Linnemann gebrauchen.
Aufgewachsen ist der immer noch extrem jungen-, dabei aber nicht amthorhafte 45-Jährige als Sohn einer Buchhändlerfamilie in Schwaney, einem kleinen Ort in der Nähe von Paderborn. Bis heute vertritt er den dortigen Wahlkreis, vier Mal in Folge hat er ihn für die CDU gewonnen hat – bei der vergangenen Bundestagswahl mit fast 50 Prozent der Erststimmen. Linnemann studierte Betriebswirtschaftslehre, promovierte als Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung in Volkswirtschaftslehre und arbeitete unter anderem als Assistent des Chefökonomen der Deutschen Bank, bevor er 2009 erstmals in den Bundestag einzog. Von 2013 bis 2021 war er Chef der Mittelstandsunion, der neoliberale Vordenker der Erhard-Erben. Entsprechend kalt kam er damals rüber, wie ein nassforsches BWLer-Jüngelchen.
Die Aufgabe, die auf den neuen Generalsekretär zukommt, ist alles andere als trivial, um es mit Angela Merkel zu sagen, was Linnemann mit Sicherheit gar nicht so recht wäre. Die Altkanzlerin und Ex-Vorsitzende seiner Partei hält er dank ihres Kurses der „asymmetrischen Demobilisierung“ für maßgeblich mitverantwortlich dafür, dass die CDU an Profil, klarer programmatischer Kante und damit an Zugkraft bei der konservativen Klientel verloren hat. Merkel hat die Wähler eingeschläfert, um ihre Macht zu sichern – und die Partei dummerweise gleich mit. So jedenfalls sieht es der ebenso scharfsichtige wie scharfzüngige Linnemann.
„Wir waren nicht mehr gut genug“
Was sein wichtigster Job sein wird, hat Linnemann sich bereits vor sechs Jahren selbst aufgeschrieben. Wenn die CDU nicht ihren Charakter als Volkspartei verlieren wolle, müsse sie „sich wieder eine unverwechselbare Erkennungsmelodie geben. Sie muss wieder klar sagen, wofür sie steht und wofür nicht. Sie muss sich verabschieden von der sogenannten >asymmetrischen Demobilisierung<, bei der durch das Vermeiden klarer Positionen versucht wird, die potenziellen Wähler des politischen Gegners von der Wahlurne fernzuhalten oder sie für sich zu gewinnen.“
Die Sätze stammen aus einem weiteren Buch aus Linnemanns Ideenschmiede: „Die machen eh, was sie wollen – Wut, Frust, Unbehagen. Politik muss besser werden.“ Wobei man mit einiger Berechtigung sagen kann: Wut, Frust und Unbehagen hatten sich da auch bei ihm selbst schon aufgestaut, über seine Partei, besser: über seine Parteiführung.
„Wir brauchen glaubwürdige Charaktere, die auch mal mit ungewöhnlichen Lösungsansätzen abseits des Mainstreams auf sich aufmerksam machen“, postulierte Linnemann, „kantige Profile“.
Klang alles schon nach Selbstbeschreibung. Aufmerksamkeit erregen kann er jedenfalls, deutlich mehr als sein unglücklich agierender Vorgänger. Unverwechselbare Erkennungsmelodie auch. Wobei Linnemann eher die lautere Tröte bevorzugt statt der rhetorischen Piccolo-Flöte. Beispiele gefällig? Bitte schön:
„Merkel hat eklatante Fehler gemacht.“
„Die Ampel muss aufhören, Märchen zu erzählen.“
„Wir waren nicht mehr gut genug.“ Wobei „wir“ für die CDU nach der vergeigten Bundestagswahl 2021 stand.
Nach dem Leisetreter Czaja nun also wieder mal ein Lautsprecher. Ist ja lange her, dass sich die CDU einen Generalsekretär der alten Heiner-Geißler-Schule hielt, der immer nach dem Motto verfuhr: Angriff ist die beste Attacke, auf sie mit Gebrüll.
Aber vielleicht ist das ja die richtige Strategie. Dass ein leiser General in der Opposition wenig hilft, hat Linnemann bei seinem Vorgänger beobachten können. Czaja fremdelte von Beginn an mit der neuen Aufgabe. Und schrammt wohl nur knapp an der Kategorie Generalsekretär vorbei, für den sie im Unionsvokabular die Bezeichnung „Missgriff“ reserviert haben.
Merz probiert das Gegenmodell
Dem früheren Berliner Gesundheitssenator Czaja war kurz zuvor bei der Bundestagswahl das Kunststück gelungen, der Linken Petra Pau tief im Osten Berlins das Direktmandat abzuluchsen. Nun hätte er Merz dabei helfen sollen, der Partei ein weicheres Image zu geben, eine Seite, die dem Parteichef selbst bis heute abgeht. Schneidig, das kann Merz ja selbst am besten. Als komplementäres Duo hat es aber nicht harmoniert.
Dass es nicht gut lief, war schon länger klar. Dass sich ein anderer längst warmlief – auch. Linnemann sah Czajas Schwächen früh, vermied es aber, sich intern gegen den Generalsekretär in Stellung zu bringen. Keinesfalls sollte es so wirken, als wolle er Czajas Job. Nun hat er ihn.
Mit Linnemann probiert Merz das Gegenmodell: den Klon an seiner Seite. Ein strammer Wirtschaftspolitiker, scharfer Kommentator, noch dazu aus Nordrhein-Westfalen, aus einer Gegend unweit des Sauerlands – drei Mal wie Merz. Folgt auf das Modell „Komplementär“ nun der Versuch „Kongruent“?
Wie der Parteichef scheut Linnemann selten den Konflikt und sucht die Konfrontation mit dem Gegner – auch in der Partei. In seiner Zeit als Chef des Wirtschaftsflügels brachte er regelmäßig die Sozialausschüsse der CDU gegen sich auf. Dass er integrieren kann, muss er erst noch beweisen. Loyal hingegen ist er – zumindest gegenüber Merz. Linnemann unterstützte den Sauerländer bei allen Kandidaturen für den Vorsitz, schied aber gerade wegen dieser Nähe zunächst als Generalsekretär aus. Nun prägen zwei sehr ähnliche Figuren das Bild der CDU. Das kann gut gehen, ist aber nicht ohne Risiko.
Für Merz‘ Vertraute kommt der Wechsel dennoch nicht überraschend. Intern hatte der Parteichef zuletzt keinen Hehl aus seiner Enttäuschung über seinen Generalsekretär gemacht. Für zu blass habe er ihn gehalten, für zu wenig offensiv. Dass von Czaja seit seinem Antritt kaum mal eine inhaltliche Initiative kam, habe Merz verärgert, heißt es. Auch deshalb habe der Vorsitzende selbst zuweilen so agiert wie ein Generalsekretär – was seinem Bild in der Öffentlichkeit wiederum wenig half.
Für Merz ist der Wechsel auch eine persönliche Niederlage. Mit Czaja an seiner Seite wollte er die CDU vielseitiger machen, nach außen zeigen, dass er auch jene integrieren kann, die politisch anders ticken als er selbst. Dieses Experiment ist nun gescheitert.
Mitarbeit: Andreas Hoidn-Borchers, Veit Medick, Jan Rosenkranz