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Kommentar Wachstum ist kein Allheilmittel mehr

Globalisierung und Wachstum gelten als Anti-Krisen-Medizin. Ihre Wirkung gegen Konflikte wie in Syrien oder die wachsende Ungleichheit ist aber begrenzt. Von Gideon Rachman
World Economic Forum: In Davos herrscht der Glaube an die Kraft der Globalisierung n
World Economic Forum: In Davos herrscht der Glaube an die Kraft der Globalisierung n
© Getty Images

Mit einer gefährlichen politischen Bedrohung konfrontiert neigen Regierungen auf der ganzen Welt dazu, der gleichen magischen Medizin zu vertrauen - Wirtschaftswachstum. Als die Staats- und Regierungschefs der Welt zum Beispiel versuchten, die Wurzeln des Terrorismus anzugehen, gingen sie instinktiv davon aus, dass die langfristige Lösung in Wohlstand und Arbeitsplätzen liegen müsse. Und wenn ein regionaler Konflikt außer Kontrolle zu geraten droht – sei es in Ostasien oder im Nahen Osten – ist der Ruf nach größerer wirtschaftlicher Integration die standardisierte politische Antwort. Von Europa bis China vertrauen Regierungen auf das Wirtschaftswachstum als Schlüssel zur politischen und sozialen Stabilität.

Gideon Rachman ist Kolumnist der Financial Times
Gideon Rachman ist Kolumnist der Financial Times
© Interfoto

Aber so, wie Ärzte sich vor der Entstehung von Superbakterien fürchten, die nicht auf vorhandene Medikamente reagieren, so werden Politiker Zeuge der Entstehung neuer Formen der politischen Auseinandersetzung, die resistent sind gegen ihre traditionellen Rezepte - mehr Handel und mehr Investitionen runtergespült mit einer guten Dosis Strukturreformen.

Drei politische Superbakterien verursachen besondere Sorgen. Das erste Bakterium ist die Ausweitung des Nahost-Konflikts. Das zweite ist die zunehmende Rivalität zwischen China und Japan. Das dritte ist die wachsende Ungleichheit in der westlichen Welt - und der damit einhergehenden Gefahr sozialer Konflikte.

Die Teilnehmer des Weltwirtschaftsforums in Davos, das letzte Woche endete, glauben klassischerweise, dass Kapitalismus und Globalisierung die besten Gegenmittel gegen Konflikte sind. Dieser Glaube ist so tief verwurzelt , dass er nicht einmal mehr artikuliert werden mehr muss. Sie können das an der Reaktion des Davoser Publikums auf politische Entscheidungsträger sehen.

Rouhani ist plötzlich die Stimme der Vernunft

In diesem Jahr war es der iranische Präsident Hassan Rouhani, der mit großer Begeisterung aufgenommen wurde, vor allem weil er mehr Interesse an Handel und Investitionen als an Atomwaffen zu haben scheint. Dabei hat Rouhani die Haltung des Iran zu schwierigen politischen Fragen - wie Syrien, Israel oder Atomwaffen – in keiner bedeutenden Richtung verschoben. Aber er sendete ein wichtiges Signal, in dem er in seiner Rede das ehrgeizige Ziel ausgab, der Iran solle zu einer der zehn größten Volkswirtschaften der Welt werden. Der iranische Präsident betonte zur Erreichung dieses Ziels auch die Notwendigkeit, die Beziehungen seines Landes mit dem Rest der Welt zu verbessern. Die Betonung der Wirtschaft war für das Publikum ein Hinweis, dass Präsident Rouhani tatsächlich ein Mann ist, mit dem man Geschäfte machen kann.

Im Ergebnis ist Rouhani in der für einen iranischen Politiker neuen Position, als Stimme der Vernunft im Nahen Osten zu gelten. Aber die Statusaufwertung des Präsidenten in den Augen des Davoser Publikums ist auch ein Zeichen dafür, wie düster es anderswo in der Region aussieht.

Ein Appell an die ökonomische Vernunft wird den Krieg in Syrien, in dem beide Seiten ums Überleben kämpfen, wahrscheinlich nicht beenden. Es ist auch klar, dass die Dschihadisten, die in Syrien, im Irak und anderswo aufblühen, die Früchte der Globalisierung verschmähen. Wenn nicht etwas ernsthaft schief geht, werden sie in absehbarer Zeit nicht in Davos auftauchen.

Verflechtungen schützen nicht vor Konflkten

Viele hoffen immer noch, eine Verbesserung der ökonomischen Lage im Nahen Osten werde die wirtschaftliche Verzweiflung lindern, von der angenommen wird, dass sie der Nährboden ist, auf dem der militante Islamismus gedeiht. Doch nicht alle Dschihadisten stammen aus armen Ländern oder armen Verhältnissen. Einige der Aktivisten in Syrien sind aus Europa eingereist. Andere stammen aus Saudi-Arabien oder den Golfstaaten. Dschihadismus ist eine Krankheit, die nicht auf die traditionellen ökonomischen Heilmittel reagiert.

Die zunehmenden Spannungen zwischen China und Japan ist ein noch anschaulicheres Beispiel für die Tatsache, dass wirtschaftliche Eigeninteressen kein Allheilmittel für politische Probleme sind. China ist heute Japans größter Handelspartner und der größte Empfänger japanischer Auslandsinvestitionen - Tatsachen, warum viele Analysten noch glauben, dass Konflikte zwischen den beiden Nationen weniger wahrscheinlich sind. Doch in mancher Hinsicht erhöht Chinas wachsender Wohlstand die internationalen Spannungen in Asien. Das rührt daher, dass der Aufstieg Chinas die Machtbalance zwischen Peking und Tokio verändert hat - verbunden mit der bitteren Geschichte zwischen den beiden Ländern erklärt das, warum die Beziehungen sich verschlechtern.

In Europa und Nordamerika ist es die Bedrohung durch politische und soziale Spannungen innerhalb der Nationen, statt internationaler Rivalitäten, um die sich die globale Plutokratie Sorgen macht. Ein zentrales Element des Davoser Credo ist der Glaube, dass die Globalisierung gut ist für die westliche Welt und für Schwellenländer.

Immun gegen Fremdenfeindlichkeit und Nationalismus

Allerdings ist es mittlerweile fast gängige Meinung, dass die Globalisierungsmedizin einen unangenehmen Nebeneffekt hat. Obwohl sie die Gesamtwachstumsraten steigen lässt, hat sie auch zur Lohnstagnation und zunehmenden Ungleichheit im Westen beigetragen. Im Ergebnis sind die europäischen Politiker beunruhigt wegen des möglichen Wiederauflebens der nationalistischen Rechten und der radikalen Linken. Und die Amerikaner sind zunehmend besorgt über die Kluft zwischen dem reichsten ein Prozent und dem Rest - und die politischen Konsequenzen lassen die Kluft immer größer werden.

Es ist leicht, die globale Plutokratie zu verspotten – die sich um Krieg und Ungleichheit sorgt – während sie erlesene Weine trinkt in einem Hochsicherheitsbereich in den Schweizer Bergen. Doch global agierende Banker und Geschäftsleute sind zumindest weitgehend immun gegen die Viren der Fremdenfeindlichkeit und des Nationalismus. Ihr inoffizielles Motto lautet „Geld machen, nicht Krieg“. Und sie behandeln Ausländer als potentielle Kunden statt als potentielle Feinde.

In diesem Sinne behält die Idee, dass Kapitalismus und Globalisierung die besten Gegenmittel gegen politische Konflikte - trotz aller Mängel - eine große Anziehungskraft. Auch wenn die alten Wirtschaftstherapien für politische Konflikt einiges an Kraft verloren haben, sind sie immer noch die besten, die wir haben.

© 2014 The Financial Times Limited

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