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Währungsfonds Vorwürfe gegen IWF-Chefin Georgiewa: „Es bleibt ein Glaubwürdigkeitsproblem“

IWF-Chefin Kristalina Georgiewa. Sie wurde von dem Vorwurf entlastet, in ihrer Zeit bei der Weltbank ein wichtiges Länderranking zugunsten Chinas beeinflusst zu haben.
IWF-Chefin Kristalina Georgiewa. Sie wurde von dem Vorwurf entlastet, in ihrer Zeit bei der Weltbank ein wichtiges Länderranking zugunsten Chinas beeinflusst zu haben.
© Getty Images
Die Krise an der Spitze des Internationalen Währungsfonds ist zwar ausgestanden. IWF-Chefin Kristalina Georgiewa sitzt wieder fest im Sattel, meint Professor Axel Dreher. Aber Person und Institution haben Schaden genommen

CAPITAL: Die Führungskrise im Internationalen Währungsfonds (IWF) ist erst einmal ausgestanden. Die Chefin Kristalina Georgiewa darf trotz Manipulationsvorwürfen von Daten zugunsten Chinas bleiben. Sitzt sie nun wieder fest im Sattel?

AXEL DREHER: Ja, das tut sie. Die Sache ist durch. Ich sehe nicht, dass sie womöglich noch aus eigenen Stücken zurücktreten würde. Der Punkt war ja, dass es im Ergebnis keine eindeutigen Beweise zu den Vorwürfen gibt. Sie sagt, sie habe lediglich die Anweisung gegeben, einen dritten Blick auf die Daten zu werfen. Sie habe weder manipuliert noch Manipulationen beauftragt oder gutgeheißen. Es müsste jetzt schon ein Mitarbeiter behaupten, sie habe ihn selbst angewiesen, das Doing Business-Ranking zu manipulieren, damit China weiter nach oben kommt. Solange keine solche neue Sachlage entsteht, ist sie wieder fest im Sattel – in dem Sinne, dass sie ihren Job behält. Allerdings bleiben natürlich Reputations- und Glaubwürdigkeitsprobleme.

Es bleiben also Zweifel?

Axel Dreher ist Professor für Internationale und Entwicklungspolitik an der Universität Heidelberg und Herausgeber der Review of International Organizations. Er forscht und lehrt in politischer Ökonomik, wirtschaftlicher Entwicklung und Globalisierung.
Axel Dreher ist Professor für Internationale und Entwicklungspolitik an der Universität Heidelberg und Herausgeber der Review of International Organizations. Er forscht und lehrt in politischer Ökonomik, wirtschaftlicher Entwicklung und Globalisierung.
© Heidelberg University

Das Glaubwürdigkeitsproblem wird Georgiewa in der Zukunft nicht mehr loswerden. Es kann immer wieder aufkommen. Wer einmal im Verdacht steht, in besagtem Sinn nachgegeben zu haben, wird auch in Zukunft in dem Verdacht stehen. Der IWF arbeitet so viel mit Daten: Wann immer Dinge nicht ganz eindeutig sind, besonders wenn sie mit China zu tun haben, wird man sich an die Geschichte erinnern. Dabei ist sie für Kenner von IWF und Weltbank gar nicht so erstaunlich. Ich habe selbst einmal ein Ranking entwickelt und jahrelang betreut, den KOF Globalisierungsindex. Über die Jahre klopften alle möglichen Botschafter und Politiker an und fragten, wie es aussieht mit ihrem Land. Zum Beispiel warum Taiwan nicht gelistet sei. Das ist bei wichtigen Rankings Alltag.

Versuche der politischen Einflussnahme sind also chronisch?

Botschafter aller möglichen Ländern stellten immer wieder Fragen, woran ihr Abschneiden liege und was man machen könnte, um es zu verbessern. Das mag bei einem Globalisierungsindex keine große Rolle spielen. Aber bei einem Ranking wie dem Doing Business der Weltbank kann man sich gut vorstellen, dass der Druck weitaus größer ist. Gerade in einer Situation, in der China Reformen eingeleitet hat, von einem Jahr auf das andere aber stattdessen im Ranking abrutscht. Das sieht natürlich schlecht aus. Ich bin an der Universität unabhängig. Aber die Weltbank bewertet genau diejenigen, die auch ihre „Aktionäre“ sind – die Mitgliedsländer, die dort das Sagen haben. Es ist völlig klar, dass China vom Stimmengewicht her ein wichtiger Spieler ist. Und unzählige Studien zeigen immer wieder, dass es politische Einflussnahme gibt, sowohl bei der Weltbank wie beim IWF. Es überrascht nicht.

Also zeigt die Episode letztlich die Schwächen der Organisationen auf?

In der Forschung ist das bekannt. Leider sind Anekdoten, die die systematische empirische Evidenz anschaulich machen, ganz schwer zu finden. Die statistische Evidenz ist aber völlig klar: Temporäre Mitglieder im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen bekommen während der Mitgliedschaft mehr Projekte von der Weltbank. Länder, die in der UN Vollversammlung häufiger mit dem wichtigsten Anteilseigner – den USA – stimmen, bekommen höhere Kredite und weniger Kreditauflagen. Das gilt für IWF und Weltbank. Auch beim regelmäßigen Dialog mit den Mitgliedsländern über die Auswirkungen ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik, den Artikel-IV-Konsultationen des IWF, zählen nicht nur objektive Zahlen – und so weiter. Es gibt jede Menge Evidenz, dass wichtige Anteilseigner und mit ihnen „befreundete“ Länder besser wegkommen.

Wenn dies nun politisch sichtbarer wird, ist das zum bleibenden Schaden für IWF und Weltbank?

Ich würde schon sagen, es gibt ein Glaubwürdigkeitsproblem. Aber Politiker wissen es, Mitarbeiter wissen es. Es wurden viele ehemalige hochrangige Mitarbeiter zitiert, die sagen: Ist doch klar! Anekdoten wie diese kann man aber politisch ausschlachten, und wenn jetzt eine breitere Öffentlichkeit darauf aufmerksam wird, ist das auch wichtig. Wenn Mittel erhöht werden sollen, muss man die Wähler auf seiner Seite haben. Wenn sich aber ein Bild verfestigt, dass IWF und Weltbank doch nur Instrumente der Mächtigen sind, kann das in Ländern, die häufig Kredite bekommen durchaus ein heißes Thema werden. Soll man sich für einen Kredit wieder an den IWF wenden? Ist er nur Handlanger der USA oder eine unabhängige Instanz? Es kann langfristiger Schaden entstehen. So etwas setzt sich fest.

Von beiden Institutionen wird ja auch sozusagen der Goldstandard aller Daten erwartet.

Ich verwende auch viele Daten von Weltbank und IWF. Wir Forscher sind jetzt nicht so überrascht, weil wir wissen, dass solche Daten Fehler haben – gerade Rankings. Medien nehmen diese ernster in der Annahme, es bedeutet etwas, ob man auf Platz 78 ist, oder auf 85. Tatsächlich macht das keinen wirklichen Unterschied. Manchmal ergibt sich eine Veränderung nur aus kleinen Korrekturen der Methodik oder bereinigten Datenfehlern. In der Presse wird häufig ein Riesending daraus gemacht, wenn ein Land um einige Positionen verrutscht. Tatsächlich ist das aber ohne große Bedeutung.

Nun hat aber auch der „Economist“, der nicht der schnellen skandalträchtigen Nachricht verdächtig ist, Georgiewas Rücktritt gefordert.

Wenn man hohe moralische Standards anlegt, wäre das natürlich richtig gewesen. Jemand, der sich in einer führenden Position solchen Vorwürfen ausgesetzt sieht und Rückgrat hat, wäre vor zehn Jahren wahrscheinlich zurückgetreten. Mittlerweile lassen diese Standards nach. Auch Politiker weltweit halten trotz des einen oder anderen Vorwurfs am Amt fest. Das ist eine moralische Frage. Andere wären vielleicht zurückgetreten, in vielen Fällen reicht der Verdacht.

Die Untersuchung wirft zugleich ein schlechtes Licht auf Jim Yong Kim, der 2017 Weltbankpräsident war? Er hat Sitzungen anberaumt, um nach Wegen zur Verbesserung von Chinas Ranking zu suchen.

Für ihn gilt das gleiche, aber er ist nicht mehr im Amt. Wir müssen unterscheiden zwischen Wahrnehmungen auf drei Ebenen. Für Politiker und internationale Bürokraten war der ‚Skandal‘ keine Überraschung, wohl aber für Journalisten und die Öffentlichkeit. Für Forscher sind es wunderbare Anekdoten, die belegen, was wir sowieso schon wissen.

Ist es jetzt damit getan, einen Bericht, der auch in Investitionsentscheidungen einging, einfach einzustellen?

Ich hätte es besser gefunden, wenn man ihn einer unabhängigen Organisation übertragen hätte. Das ist schade. Dass die Weltbank selbst den Bericht nicht fortsetzen kann, ist klar. Da ist wieder das Glaubwürdigkeitsproblem. Es wäre nicht mehr zu vertreten, das Produkt ist nachhaltig beschädigt. Vielleicht machen unabhängige Forscher weiter. Aber das Ranking ist sehr aufwendig und braucht schon eine gewisse finanzielle Ausstattung.

Warum hat Europa sich für Georgiewa entschieden – und schließlich auch die USA?

Nach einer Art Gentleman's Agreement haben die USA ein Vorschlagsrecht für den Präsidenten der Weltbank, und die Europäer dürfen die geschäftsführende Direktorin des IWF bestimmen. Das waren somit bisher immer Europäerinnen und Europäer. Georgiewa war unter anderem Frankreichs Kandidatin. Es gab zwar in der Vergangenheit gegen den europäischen Kandidaten auch schon mal ein Veto der USA, aber dann wurde es eben ein anderer Europäer. Und hier spricht vieles für Georgiewa. Sie ist in dieser Position die erste Frau aus einem Land mit niedrigerem Einkommen, Bulgarien. Und sie ist natürlich gut vernetzt in der europäischen Politik und hat dort Rückhalt.

IWF-Chefin Kristalina Georgiewa zu Gast bei Bundeskanzlerin Angela Merkel zur G20-Afrika-Konferenz 2021.
IWF-Chefin Kristalina Georgiewa zu Gast bei Bundeskanzlerin Angela Merkel zur G20-Afrika-Konferenz 2021.
© IMAGO / Pacific Press Agency

Aus Washington kamen ja zunächst andere Signale…

Genau, aber wie gesagt, letzten Endes lässt man nach der Arbeitsteilung den Europäern den Vorrang. Sie hatte ihre Unterstützung, und den Amerikanern war die Sache nicht wichtig genug. Es gab dort zwar auch andere Stimmen, und der ein oder andere wird Präsident Biden noch vorhalten, nicht auf einen Rücktritt hingewirkt zu haben. Man muss aber auch sehen, dass die USA alleine bei der Wahl des geschäftsführenden Direktors kein Vetorecht haben.

Sollte man an der Regel für die Chefpersonalien rütteln? Oder kommt das jetzt sowieso wieder auf die Agenda?

Darüber wird immer wieder geredet, wenn gerade keine Neuwahl ansteht. Dann heißt es, man schaut mehr nach Eignung und weniger nach Nationalität. Wenn die Wahl kommt, wird es doch wieder ein Europäer. Frankreich hatte die mit Abstand höchste Zahl von geschäftsführenden Direktoren. Einige Länder drängeln sich hier mehr vor als andere. Deutschland hält sich eher zurück. Es ist aber ein politischer Posten, um den zwischen den einflussreichsten Ländern geschachert wird. Die G7 und ein paar andere Länder kommen auf mehr als 50 Prozent der Stimmen in IWF und Weltbank. Es gab zwar schon Kandidaten aus anderen Ländern, aber die konnten sich in diesem Umfeld politisch nicht durchsetzen.

Wie kommt in dieser Gemengelage China ins Spiel?

Im Prinzip hat China in IWF und Weltbank nicht so viel zu sagen, weil es nicht Teil einer starken Koalition ist. Würde man heute eine Organisation neu aufsetzen – mit objektiven Kriterien, wie Länder repräsentiert sein sollten –, dann wäre China sehr viel stärker im IWF und der Weltbank vertreten. Verändern lässt sich die Stimmengewichtung nur mit einer qualifizierten Mehrheit. Dagegen haben die USA eine Sperrminorität und können Änderungen damit blockieren. Somit ist es extrem unwahrscheinlich, dass China ein wirklich starker Spieler in diesen beiden Organisationen wird. Die USA alleine können zwar gegen einige Entscheidungen ein Veto einlegen, für das Tagesgeschäft brauchen sie aber Partner. Die haben sie. China hat keine vergleichbar starken Partner und kann daher seine Interessen kaum durchsetzen. Das wird auf absehbare Zeit so bleiben. In dem Wissen hat Peking seine eigenen multilateralen Organisationen gegründet, etwa die Asiatische Infrastrukturinvestmentbank.

Es hieß auch, Georgiewa sei im Wettstreit der USA mit China zum Spielball geworden.

Der Einfluss Chinas auf IWF und Weltbank ist nicht so groß. Vergleichbar mit dem Deutschlands. Deutschland kann auch alleine keine Entscheidungen im IWF durchsetzen. Wir können mit Frankreich reden oder anderen europäischen Ländern, um Dinge durchzusetzen. Es gibt natürliche Partner. Das ist für China schwieriger. Es steht relativ alleine, der BRICS-Block der führenden Schwellenländer ist sich in IWF und Weltbank meist nicht einig. Natürlich ist China bilateral stark. Bei Entwicklungsgeldern ist es weltweit ein führender Spieler geworden, mit riesigen Summen und Einfluss. Aber in IWF und Weltbank hält sich das in Grenzen.

Man muss sich also keine Sorgen machen, dass die Finanzinstitutionen als Bollwerk des Westens in Gefahr sind?

Das zu ändern, ginge nur mit der Zustimmung der wichtigsten Anteilseigner, also der westlichen Länder selbst. Mit einer Sperrminorität von 15 Prozent können die USA wichtige Entscheidungen blockieren. Will man Quoten zugunsten Chinas verändern, müssen die USA zustimmen. Bislang ging es dabei nur um unwesentliche Verschiebungen im Machtgefüge, ein großer Wurf ist nicht drin. Also ja, sie bleiben ein Bollwerk des Westens.

Hat sich der IWF unter Georgiewas Führung verändert? Sie hat in der Corona-Krise auffallend auf die Nöte ärmerer Länder reagiert.

Sie kommt aus einem armen Land. Aber ob das bleibende Veränderungen sind, ist schwer zu sagen. Der IWF hat unter ihrer Führung die Notfallhilfen erhöht und eine enorme Erhöhung der Sonderziehungsrechte durchgesetzt. Aber der IWF entwickelt sich mit jeder Krise. Er war vorgesehen für die Finanzierung kurzfristiger Zahlungsbilanzkrisen. Dann kamen neue Fazilitäten zur Reaktion auf die erste und zweite Ölkrise und die lateinamerikanische Schuldenkrise. Die Structural Adjustment Facility hat er 1986 eingeführt – ein Einstieg in die „Entwicklungshilfe“.

Wie sehen Sie die Aufgaben angesichts der jüngsten Wachstumsprognosen, wonach die Ungleichheit in der wirtschaftlichen Entwicklung weiter zunimmt?

Die Aufgaben ändern sich ständig. IWF und Weltbank hatten in der Nachkriegszeit klar getrennte Mandate. Die Weltbank hat Entwicklungsprojekte finanziert, der IWF hatte mit Entwicklungsfinanzierung nichts zu tun. Das hat sich alles verändert, so dass sie sich mittlerweile in vielen Bereichen sehr ähnlich sind. Mit jeder neuen Krise versucht man, sich irgendwie nützlich zu machen und so relevant zu bleiben – und das wird auch so weitergehen.

Wie steht es mit den Krisen in überschuldeten Entwicklungsländern?

Umschuldung ist ein heißes Thema, das uns die nächsten Jahre beschäftigen wird. Es ist schwieriger geworden, weil immer mehr Länder bei China in der Kreide stehen, das bei Umschuldungsabkommen mit anderen Kreditgebern nicht mitmacht. Die Weltbank könnte unilateral auf Geld verzichten, wird es aber nur tun, wenn man zumindest mit allen offiziellen Gebern ein größeres Paket schnüren kann. Sonst fließen Gelder quasi direkt in Chinas Kasse, weil sie verwendet werden, um die Schulden anderer Kreditgeber zurückzuzahlen. Das macht die Sache schwierig. IWF und Weltbank werden hier zunehmend unwichtigere Spieler, da China ein immer wichtigerer Kreditgeber wird und in der Regel nur bilateral und intransparent umschuldet. Ich sehe Peking nicht als Teil eines großen Schuldenerlasses. Aber ohne China wird es schwierig.

Was wäre ein Ausweg zugunsten der verschuldeten Länder?

Je größer der Anteil Chinas, umso größer auch sein Interesse an einer Lösung. Man sagt ja: Wenn Sie ein bisschen verschuldet sind, ist es Ihr Problem, wenn sie hochverschuldet sind, ist es das Problem der Gläubiger. Sobald die Rückzahlung der eigenen Kredite in Gefahr ist, muss man irgendwie reagieren. China wird dann ebenfalls kein Interesse daran haben, bilateral umzuschulden, wenn mit den Geldern dann Weltbank-Kredite zurückbezahlt würden. Je stärker Länder bei China verschuldet sind und je mehr ihnen die Zahlungsunfähigkeit droht, umso größer wird Chinas Interesse, mit anderen Kreditgebern eine gemeinsame Lösung zu finden. Dann könnte ein Ausweg gefunden werden.

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