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E-Bike Vanmoofs Lock-In-Problem

Vanmoof E-Bike S4
Das Vanmoof S4 sollte die Marke wieder auf Kurs bringen. Am einzigartigen Design der E-Bikes scheiterte das Start-up jedenfalls nicht
© PR
Die E-Bikes von Vanmoof galten als Computer auf zwei Rädern. Nun ist der Hersteller insolvent – und die Räder drohen als Elektroschrott zu enden. Ein Lehrstück über digitale Abhängigkeiten

Die Unordnung hinter den dunklen Ladenfenstern lässt erahnen, wie abrupt das Ende kam. So als hätten die Mitarbeiter der Berliner Vanmoof-Filiale von jetzt auf gleich aufgegeben: In der Werkstatt hängt noch ein Fahrrad im Reparaturstand, auf einem Whiteboard steht die Auftragsliste des letzten Öffnungstages, im Showroom reihen sich dutzende Räder bis zum Eingang, bereit zur Abholung. Doch das ist momentan nicht möglich.

Der niederländische E-Bike-Hersteller hat im Juli Insolvenz angemeldet – und über Nacht seine mehr als 20 Fahrradläden geschlossen. Seit dieser Woche steht zwar fest, dass der zum MacLaren-Imperium gehörende Tretroller-Hersteller Lavoie das insolvente Start-up kaufen wird. Dennoch bleibt weiter unklar, wann die Kunden ihre reparierten E-Bikes wiederbekommen werden. Und ob sich der neue Eigentümer auch in Zukunft um Software und Service für die Hightech-Räder kümmern wird.

Entsprechend wütend fallen die Bewertungen auf Google aus, wo manch ein Kunde schon einen Totalschaden befürchtet. „>3000 Euro futsch“, schreibt einer. „Nun kann ich nur noch hoffen, dass irgendjemand die Dinger reparieren kann“, ein anderer. Denn ohne Updates und Wartung sind die App-gesteuerten E-Bikes über kurz oder lang Elektroschrott.

Damit ist der Fall auch ein Lehrstück über die Risiken von smarten Geräten – und die Abhängigkeiten, in die sich Kunden begeben. Denn der Lock-in-Effekt – also das geschlossene System – war bei Vanmoof von Anfang an Teil des Geschäftsmodells.

Computer auf zwei Rädern

Für Firmengründer Taco Carlier sollte Vanmoof mehr als nur ein Radhersteller sein. „Wir wenden die Regeln von Tesla und Apple einfach auf die Fahrradindustrie an“, sagte er noch vor einem Jahr im Interview mit Capital. Seine Vision: ein E-Bike als Computer auf zwei Rädern.

Entsprechend technologisiert fallen die jüngsten Modelle des Herstellers aus: Das E-Bike erkennt etwa automatisch, wenn das Handy des Besitzers in der Nähe ist. Per App öffnet und schließt das Rahmenschloss. Ein GPS-Modul sorgt dafür, dass man das E-Bike leicht orten kann. Macht sich dennoch ein Dieb am Rad zu schaffen, schrillt nach ein paar Sekunden die Alarmanlage. Auch die Gangschaltung lässt sich per App einstellen.

Die Hightech- Rädern haben deswegen einen stolzen Preis: Rund 3500 Euro kosten die neuesten Modelle. Wer sich ein Vanmoof-Produkt kauft, ist allerdings ein Fahrradleben lang an die Firma gebunden. Die passenden Ersatzteile, Software-Updates und Reparaturen für das E-Bike gibt es nur bei Vanmoof. Im Umkehrschluss kann eine normale Fahrradwerkstatt im Schadensfall nicht wirklich weiterhelfen.

Mit dem Lock-in-Effekt hat das Start-up auch gutes Geld verdient: Kunden konnten etwa Zusatzservices wie eine Diebstahlversicherung für 350 Euro und eine Reparatur-Flatrate für 300 Euro abschließen.

144 Mio. Euro Schulden

Die volle Kontrolle über Design, Produktion und die Kundenbeziehung hat für Vanmoof allerdings auch einen Nachteil: Sie kostet viel Geld. Für den Aufbau der Wertschöpfungskette haben die Niederländer bis heute über 182 Mio. Dollar an Risikokapital aufgenommen.

Und trotzdem hat das Geld offenbar nicht gereicht. Wie die niederländische Finanzzeitung „Financieele Dagblad“ berichtet, beliefen sich die Schulden zum Zeitpunkt der Insolvenz auf rund 144 Mio. Euro.

Nach einem starken Wachstum in den Corona-Jahren waren die Kosten für das laufende Geschäft  offenbar außer Kontrolle geraten. Insbesondere Fehler bei der Technik und sich häufende Reparaturfälle schienen dem Start-up in jüngster Zeit Probleme bereitet zu haben.

In Onlineforen wie Trustpilot etwa beschwerten sich Vanmoof-Besitzer über Fehlermeldungen in der Software, schleppende Kommunikation mit dem Support und wochenlange Wartezeiten für Reparaturtermine. „Der Service ist eine Katastrophe“, hieß es dort immer wieder. Das Hyperwachstum, so scheint es, wurde für Vanmoof zur Zerreißprobe – die es am Ende nicht bestand.

An der Eingangstür zur Berliner Vanmoof-Filiale klebt seit dieser Woche ein neuer Zettel. Es ist ein Brief der Hausverwaltung: „Ihren Unmut über ausbleibende Lieferungen Ihrer Bestellungen können wir gut nachvollziehen“, steht dort. Bei der Befreiung der eingeschlossenen Räder könne man aber nicht helfen, da man als Vermieter der Ladenfläche auch noch etwaige Forderungen bei Vanmoof anzumelden habe. Kunden mögen sich wegen ihrer Räder bitte direkt an den Insolvenzverwalter wenden.

Der Unmut darüber ist klar zu sehen: In den vergangenen Wochen hat sich jemand an dem Werbespruch auf der Glasfassade des Ladens zu schaffen gemacht hat. Statt „Just Ride“ steht dort nun „Just Rid“. Zu deutsch: einfach weg.

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