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Kolumne Vom Star zum Klassendeppen

Der Absturz der Türkei trägt das Muster von Schwellenlandkrisen. Kapitalverkehrskontrollen müssen her! Von David McWilliams
David McWilliams, geb. 1966, hat als Ökonom für Großbanken und die irische Notenbank gearbeitet. Heute ist er TV-Journalist, Theater- und Bestsellerautor und einer der profiliertesten Wirtschaftskommentatoren Irlands
David McWilliams hat als Ökonom für Großbanken und die irische Zentralbank gearbeitet. Heute ist er TV-Journalist, Bühnen- und Bestsellerautor. Vor Kurzem hat er seinen täglichen Weltwirtschafts-Newsletter globalmacro360.com gestartet
© Laif

Zu den interessanten Erfahrungen in einer Emerging-Market-Krise gehört es, dass sie sich mittendrin oft gar nicht so anfühlt wie eine Krise. Die Türkei etwa ist durch politische Turbulenzen und Massendemonstrationen erschüttert worden, die ohne Weiteres in dem Albtraumszenario der Ukraine hätten enden können.

Die Lage hat sich aber erst einmal beruhigt – sowohl dank der Demonstranten wie auch dank der Regierung. Das aber heißt nicht, dass die Probleme verschwunden sind. Aber beide Seiten haben sich erst einmal vom Abgrund wegbewegt.

Auf lange Sicht ist diese gewaltige Regionalmacht mit ihren 80 Millionen Menschen klar auf dem Weg nach oben. Noch vor ein paar Jahren hatte die Türkei so wenig Selbstbewusstsein, dass sie sich bei ihrer Bewerbung um den EU-Beitritt von zweitrangigen europäischen Politikern maßregeln ließ. Heute scheint das EU-Thema von der Agenda verschwunden zu sein, die Türken haben keine besondere Lust mehr darauf.

Krise wird von Märkten produziert

Die neue Capital
Die aktuelle Capital

Ihre Wirtschaft ist ein Jahrzehnt lang stark gewachsen, die Ungleichheit verringerte sich, Unternehmen wurden regionale Kraftzentren.

Das Problem ist, dass die Türkei mit anderen Schwellenländern plötzlich vom Star der Saison zum Klassendeppen geworden ist: Spekulatives Hot Money, das hereingeströmt war, fließt wieder ab, weil kurzfristig orientierte Hedgefonds gegen das Land wetten. Ähnliches geschieht in Südafrika, Brasilien und – in geringerem Umfang – in Mexiko.

Wenn das Weltfinanzsystem der geopolitischen Stabilität dienen soll, dann müssen wir es so reformieren, dass solche Bewegungen nicht die Regel werden. Denn was wir derzeit sehen, ist eine Finanzkrise, die von den Märkten produziert wird. Und einmal mehr reichen die Verursacher dieser Erschütterungen die Rechnung an andere durch.

Ohne eine Form von Kapitalverkehrskontrollen, die verhindern, dass Gelder mal rasant in Länder hinein- und dann wieder ebenso rasant hinausfließen, wird die Welt auch künftig von einer Finanzkrise zur nächsten springen – getrieben von Gier, Angst und Moden.

Die Türkei hat zu hohe Schulden

Wenn die Zukunft so unklar ist wie jetzt in der Türkei, dann ist es entscheidend, die großen Linien richtig einzuschätzen und sich nicht in Details und Spins zu verlieren, die von allen Seiten gestreut werden.

In der Türkei gibt es heftige Konflikte zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen. Apokalyptiker halten diese für unüberbrückbar. Manche meinen, es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis die Mullahs übernehmen. Die Wirtschaftskrise macht so etwas in jedem Fall wahrscheinlicher.

Der Kern dieser Krise am Bosporus sind zu hohe Schulden, die ständig refinanziert werden müssen. Wer kauft schon Lira-Bonds, wenn er weiß, dass Ankaras Zentralbank nur 40 Mrd. Dollar Reserven hat, aber allein dieses Jahr 210 Mrd. Dollar zu refinanzieren sind? Das Leistungsbilanzdefizit von 70 Mrd. Dollar wird bislang von Offshore-Spekulanten abgedeckt, die sich nun in den sicheren Dollar zurückziehen.

Im Fall meiner Heimat Irland haben wir erlebt, was passiert, wenn ein jahrelanger Kreditboom abreißt: Viele, viele Firmen gehen pleite.

Rein ökonomisch hat die Türkei letztlich dieselben Probleme wie alle anderen Schwellenländer. Und es steht dort viel zu viel auf dem Spiel, als dass man entscheidende Machthebel in den Händen einiger gieriger Hedgefonds belassen darf. Kapitalverkehrskontrollen sind eine offenkundige Lösung für die Zukunft.

Das ökonomische Quartett: David McWilliams (Irland), Heleen Mees (Niederlande), Jagdish Bhagwati (Indien), Michael Pettis (USA).Jeden Monat schreibt bei Capital einer dieser vier Ökonomen. Sie stammen aus verschiedenen Ländern, und jeder hat damit eine andere Perspektive auf die Welt.

Der Beitrag von David McWilliams erschien zuerst in der aktuellen Capital. Hier können Sie sich die iPad-Ausgabe der neuen Capital herunterladen. Hier geht es zum Abo-Shop, wenn Sie die Print-Ausgabe bestellen möchten.

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