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Übernahme durch Nestlé „Ankerkraut ist ein knallhartes Finanzprodukt“

Die Ankerkraut-Gründer Stefan und Anne Lemcke
Die Ankerkraut-Gründer Stefan und Anne Lemcke
© IMAGO / Future Image
Der Nahrungsmittelkonzern Nestlé übernimmt die Mehrheit am Gewürz-Start-up Ankerkraut – und die Empörung im Netz ist groß. Branchenexperte Cyriacus Schultze über die Macht von Geschichten, berechenbare Kunden und den Fall Bionade

2013 gründeten Anne und Stefan Lemcke in Hamburg den Gewürzhersteller Ankerkraut. Das Food-Start-up wurde vor allem durch einen Aufritt des Gründerpaars in der TV-Show „Die Höhle der Löwen“ bekannt und wuchs in der Folge rasant. Der Umsatz lag zuletzt im zweistelligen Millionenbereich, das Unternehmen beschäftigt über 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. 2020 stieg der französische Private-Equity-Fonds EMZ ein und übernahm rund 20 Prozent der Anteile.

Am Mittwoch wurde die Übernahme der Mehrheitsanteile durch Nestlé bekannt. Die Lemckes bleiben als Gesellschafter und Markenbotschafter an Bord. Kaufpreis und die Höhe der verkauften Anteile wurden nicht kommuniziert. Branchenkenner gehen von einem dreistelligen Millionenbetrag aus.

Cyriacus Schultze ist Geschäftsführer der Lebensmittelberatung Food and Wine Culture
Cyriacus Schultze ist Geschäftsführer der Lebensmittelberatung Food and Wine Culture
© PR

Capital: Herr Schultze, hat es Sie überrascht, dass der Lebensmittelkonzern Nestlé die Mehrheit am Hamburger Gewürzhändler Ankerkraut übernimmt?

CYRIACUS SCHULTZE: Überhaupt nicht.

Wirklich nicht? Viele andere Menschen waren offensichtlich schon überrascht. Der Aufschrei in den sozialen Medien war groß. Zahlreiche Influencerinnen und Influencer verkündeten, nicht mehr mit dem Start-up zusammenarbeiten zu wollen.

Das liegt daran, dass diese Menschen die Geschichte, die nach außen hin professionell erzählt wurde – vom Gründerpaar, das mit Herzblut das Start-up führt – verwechselt haben mit dem, worum es bei dem Unternehmen Ankerkraut vor allem geht: Um wirtschaftlichen Erfolg. Ab dem Auftritt der Gründer in der „Höhle der Löwen“ und dem Einstieg des ersten Investors war klar, dass ihnen der finanzielle Aspekt ganz wichtig und ein Exit das Ziel ist. In der Branche haben alle mit so einem Deal gerechnet.

Nicht so in der Fangemeinde. Ein Facebook-Nutzer schrieb: „Ihr habt eure Seele verkauft“ – und sprach damit wohl vielen Ankerkraut-Fans aus dem Herzen.

Die Marke wurde nach außen sehr emotional aufgeladen mit dem Gründerpaar als Gallionsfiguren. Sie haben sich medial sehr inszeniert – und mit dieser Geschichte ein erstaunliches Wachstum hingelegt. Auf der anderen Seite ist Ankerkraut ein knallhartes Finanzprodukt – aber davon spricht natürlich keiner im Verbrauchermarkt. Die Menschen, die jetzt den Shitstorm lostreten, sind vom schönen Bild des Gründerpaars und allem, wofür Ankerkraut stand, verführt worden. Sie sind jetzt enttäuscht, weil sie sich emotional mit der Marke identifiziert haben, und diese nun an einen in ihren Augen bösen Industriekonzern verkauft wird.

Wird sich das nicht rächen? Kann der Einstieg von Nestlé die Marke Ankerkraut nachhaltig beschädigen?

Ich gehe eher davon aus, dass Ankerkraut es verkraften wird, einige enttäuschte Kundinnen und Influencer zu verlieren. Manche wenden sich nun ab, aber die breite Masse weiß ja oft gar nichts über die Besitzverhältnisse. Der Empörungssturm war vorherzusehen und vermutlich eingepreist. Die Geschäftsleitung reagiert in ihren Statements sehr unaufgeregt, was zeigt, dass sie damit gerechnet hat. Nach außen hin wird sich erst einmal wenig ändern und Ankerkraut wird wohl – ebenso wie Nestlé – von dem Deal profitieren. Für mich ist das eine Win-Win-Situation.

Inwiefern?

Für Nestlé ist Ankerkraut der Einstieg in den Gewürzmarkt und die Chance, junge, hippere Zielgruppen zu erreichen. Bisher sind sie dort nur mit Maggi vertreten – samt der dazugehörigen, etwas verstaubten Klientel. Nestlé wollte auch schon beim Ankerkraut-Wettbewerber Just Spices einsteigen, wurde aber vom Unternehmen Kraft Heinz ausgestochen. Und Ankerkraut hat mit Nestlé eine ganz andere Marktmacht im Rücken, um zum Beispiel zu internationalisieren.

Dennoch gibt es Fälle aus der Lebensmittelbranche, bei denen der Verkauf an einen Konzern keine gute Idee war. Bekanntestes Beispiel ist Bionade. Nachdem die Radeberger-Gruppe 2009 bei der Familienbrauerei in der Rhön eingestiegen war, war der Kultstatus dahin und die Umsätze brachen ein.

Der Einstieg von Radeberger war tatsächlich eine Schlappe. Aber das ist lange her. Seitdem Bionade 2018 von der hessischen Hassia-Gruppe übernommen wurde, hat sich die Marke wieder sehr gut entwickelt und ist mehrere Jahre in Folge zweistellig gewachsen. Heute ist Bionade Marktführer unter den Bio-Limonaden und gilt in der Branche wieder als Klassenprimus.

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