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Kommentar Tsipras muss rasch erwachsen werden

Die neue griechische Regierung bekommt eine Chance, die ihre Vorgänger nie hatten. Sie sollte sie nicht verspielen. Von Ines Zöttl
Die linkspopulistische Syriza von Alexis Tsipras (M.) führt in den Umfragen
Die Zeit des Feierns ist vorbei: Alexis Tsipras muss den harten Realitätstest bestehen (Foto: Getty Images)
© Getty Images

Martin Schulz, der Präsident des Europäischen Parlaments, eilt der Ruf voraus, offen zu sagen, was er denkt. Uns so war es auch diesmal Schulz, der inmitten all der Aufregung und des Rätselns über den Kurs der Griechen in Sachen Schuldenpolitik ins Schwarze traf. Die Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras müsse erst noch „in ihren Job hineinwachsen“, sagte Schulz letzte Woche in Brüssel, als die Verhandlungen in der Eurogruppe gerade mit lautem Knall geplatzt waren. Darin steckte ein doppelter Ratschlag: zu mehr Gelassenheit für die Eurostaaten und mehr Realitätssinn für die Griechen. Beide Seiten täten gut daran, auf Schulz zu hören.

Nicht einmal einen Monat sind Tsipras, sein Finanzminister Janis Varoufakis und der Rest des Kabinetts im Amt. Seitdem haben die „new kids on the block“ (Varoufakis) einen Crashkurs in europäischer Zusammenarbeit absolviert. Und nicht jede der praktischen Übungen war für die Neuzugänge eine angenehme Unterrichtseinheit. So lernte der überbordend selbstbewusste Ökonom Varoufakis auf die harte Tour, dass es nicht reicht, sich im Besitz der der ökonomischen Wahrheit zu glauben. Seine 18 Kollegen brachten ihm in einem Abendseminar in Brüssel bei, dass auch sie legitime Überzeugungen – und Wähler – haben.

Einmalige Chance für Griechenland

Seitdem wechseln sich in Athen Beschwichtigungen und Angriffsgeschrei ab. Schäuble & Co sollten das mit Gelassenheit ertragen. Tsipras steht unter einem ungeheuren Druck: Er hat seinen Wähler etwas versprochen, was er nicht halten kann. Griechenland wird das „Joch“ der Troika nicht abschütteln – jedenfalls nicht, wenn das Land im Euro bleiben will. Tsipras hat keine Zeit, diese Wahrheit seinen Wählern schonend beizubringen. Da muss er durch.

Kriegt er das aber hin, bekäme Griechenland eine Chance wie nie zuvor seit Beginn der Krise 2008. Tsipras könnte das schaffen, woran seine Vorgänger kläglich gescheitert sind,und zwar an den Umständen genauso wie am eigenen Unvermögen. Die alten Regierungen haben erste Reformen eingeleitet, wenn auch halbherzig. Für die damit verbundenen Härten sind sie von den Wählern bestraft worden. Doch dass sich etwas ändern muss, haben die meisten Griechen verstanden. Die neue Regierung könnte fortsetzen, was begonnen wurde. Vieles von dem, was sie angekündigt hat, klingt durchaus ermutigend: Korruption bekämpfen, Seilschaften aufbrechen, Steuergerechtigkeit schaffen, Verwaltung und Wirtschaft modernisieren. Bei all dem hätte sie die verhasste Troika fest an ihrer Seite. Und könnte deren Sachverstand nutzen.

Die Ausgangsvoraussetzungen für Syriza sind nicht so schlecht wie es scheint. Nicht nur, dass die Talsohle des Wirtschaftsabschwungs durchschritten ist. Die Gläubigerstaaten sind heute zu Zugeständnissen bereit, die sie Tsipras Vorgängern verweigert haben. Denn bei vielen Politikern ist die Einsicht gewachsen, dass echte Reformen wichtiger sind als sparen, sparen, sparen. Ob der Primärüberschuss (ohne Zinszahlungen) im griechischen Haushalt in diesem Jahr nun bei vier Prozent oder nur einem Prozent liegt, ist letztlich nebensächlich. Dass Griechenland sich nicht innerhalb weniger Jahre aus einer Staatsverschuldung von 170 Prozent heraussparen kann, ist allen Beteiligten heute klar.

Alle wünschen Tsipras den Erfolg

Entscheidend ist etwas anderes: Nur wenn die anderen europäischen Regierungen, die EZB und der IWF überzeugt sind, dass Tsipras den Willen und die Entschlossenheit zu Veränderungen hat, werden sie ihn stützen. Das Schlüsselwort heißt Vertrauen. Die finnische, die deutsche, die holländische Regierung – sie können und wollen Zugeständnisse nur dann vor den eigenen Wählern vertreten, wenn sie nicht fürchten müssen, in einem Jahr wieder dort zu stehen, wo sie begonnen haben. Die Kennzahlen und Vorgaben des Memorandum of Understanding waren immer auch ein Ersatz für fehlendes Vertrauen.

Die Aufregung der letzten Tage täuscht darüber hinweg: Alle in der Eurozone wollen, dass Tsipras und sein Finanzminister Varoufakis Erfolg haben. Sie wollen die Währungsunion zusammenhalten. Viel Zeit bleibt dafür nicht. Mit jedem Tag verschlechtern sich die finanziellen Bedingungen in Griechenland: Vermögen flieht, Steuern bleiben aus, Investoren legen ihre Pläne auf Eis. Die neue Regierung hat eine Chance. Aber nur wenn sie sehr schnell in ihren Job hineinwächst.

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