Vor einigen Jahren fragte ich den Chef eines anderen Stahlunternehmens, einen Mann mit vielen Jahrzehnten Erfahrung in der Branche, was ganz am Ende wohl von Thyssenkrupp übrigbleiben werde. Seine Antwortet lautete: nichts! Den Weg ins industrielle Nirwana aber pflastern die Manager des Essener Konzerns mit immer neuen Versprechungen. Erst schürten sie die Hoffnung auf einen Käufer der maroden Stahlsparte, die seit Jahren zu einer immer stärkeren Belastung wird. Dann verbreiteten sie die irre Erwartung, man könne das Tochterunternehmen an die Börse bringen oder irgendwie sonst in die Selbständigkeit führen. Seit Donnerstag gilt nun die Devise, der Konzern werde die Stahlsparte gesundschrumpfen. Das wäre vor zehn Jahren die richtige Strategie gewesen. Doch nun kommt alles zu spät – und es reicht auch nicht aus.
Eigentlich notwendig wäre nach Meinung vieler Branchenexperten die Halbierung der Produktionskapazitäten am Standort Duisburg. Doch nach der Mitteilung der Stahlsparte vom Donnerstag soll der Ausstoß der Hochöfen lediglich von 11,5 auf 9 bis 9,5 Millionen Tonnen fallen. Für einen radikaleren Schnitt fehlt in Essen die finanzielle Kraft – und auch der Mut, sich mit den mächtigen Betriebsräten der IG Metall anzulegen, die nach den Regeln der Montanbestimmung ein großes Wort bei allen entscheidenden Dingen mitreden. Die jetzige Strategie heißt deshalb: Tod auf Raten. Die Stahlsparte wird noch für viele Jahre so stark auf dem Gesamtkonzern lasten, dass sie die Entwicklungschancen aller anderen Bereiche massiv hemmt. Deshalb werden sie Stück für Stück verkauft – bis so gut wie nichts mehr übrigbleibt und sich die Prophezeiung des erfahrenen Ruhrmanagers erfüllt.
Zähes Ringen um Hüttenwerke
Thyssenkrupp wäre nicht Thyssenkrupp, wenn nicht auch die neuste Wendung mit Tricksereien aller Art einherginge. Mit keinem Wort erwähnt man in Essen den eigentlichen Grund für die erneute Wende: das Scheitern der Verhandlungen mit dem tschechischen Milliardär Daniel Kretinsky, der bis vor kurzem noch als „ernsthafter Interessent“ herumgereicht wurde. Und auch die Details des geplanten Abbaus von Kapazitäten und Personal bleiben im Verborgenen – es sei denn, man liest zwischen den Zeilen.
Der geplanten Kapazitätsschnitt von 2 bis 2,5 Millionen Tonnen Stahl entspricht genau der Jahresmenge, die zuletzt im Duisburger Süden bei den Hüttenwerken Krupp Mannesmann (HKM) produziert wurde. Für diesen Bereich gibt es bisher, anders als für das Schwesterwerk im Duisburger Norden, auch keine Zusage für die Umstellung auf die Produktion von „grünem Stahl“. Deshalb möchten die Essener Manager HKM am liebsten ganz schließen. Doch dazu müssen sie die beiden Minderheitsgesellschafter mit ins Boot holen: die Salzgitter AG und den französischen Konkurrenten Vallourec. Beide Teilhaber wollen aber nicht für die Schließung zahlen, wenn es nur darum geht, Thyssenkrupp aus der Patsche zu helfen.
Deshalb kann man sich auf ein weiteres, zähes Ringen gefasst macht. Und am Ende wahrscheinlich wieder auf faule Kompromisse. HKM gilt im Konzern seit vielen Jahren als ungeliebtes Kind. Über Jahre unterblieben die eigentlich dringend notwendigen Modernisierungen. Schon vor anderthalb Jahren gab es Pläne, die Hüttenwerke zu schließen. Doch die IG Metall hat HKM zur „roten Linie“ erklärt, die man auf keinen Fall überschreiten werde. Man darf gespannt sein, wie der Kampf dieses Mal ausgeht.