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Bernd Ziesemer Teurer Betrug von Siemens Energy

Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
© Martin Kress
Deutsche Konzerne unterschätzen immer wieder die harte Hand der amerikanischen Justiz. Jüngstes Beispiel: Siemens Energy

104 Millionen Dollar. Diese Summe ist doppelt so hoch wie der gesamte Gewinn, den Siemens Energy im letzten Quartal des laufenden Geschäftsjahres erzielen konnte. Jetzt stottert der Konzern die 104 Mio. Dollar in drei Raten ab, um ein Strafverfahren in den USA zu beenden. Der Fall führt zurück in das Jahr 2019, als sich Siemens Energy um einen großen Auftrag für Kraftwerke im US-Bundesstaat Virginia bemühte. Und sich dabei Geschäftsunterlagen des Rivalen General Electric beschaffte, um günstiger zu bieten als die Konkurrenz. Alles kam heraus und die amerikanische Justiz eröffnete ein Verfahren gegen Siemens Energy. Die Staatsanwälte sprachen von einem „schwerwiegenden Verstoß“ gegen ein Gesetz, das Geschäftsgeheimnisse schützen soll.

Als Capital vor drei Jahren die vielen schmutzigen Details des Betrugs enthüllte, wiegelte Siemens Energy noch ab. Es gehe ja nur um einen „überschaubaren Einstfall“. Und in der Tat einigten sich der deutsche Konzern bald darauf mit General Electric auf einen zivilrechtlichen Vergleich. Wie viel Geld Siemens Energy damals zahlte, um den Konkurrenten ruhig zu stellen, bleibt ein Geheimnis. Was die meisten Beobachter in Deutschland nicht auf dem Radarschirm hatten: Das Strafverfahren lief in den USA weiter – bis jetzt. Nun endet es, wenn nichts dazwischen kommt, mit der Buße von 104 Mio. Dollar.

VW und Bayer mit ähnlichen Erfahrungen

Viele deutsche Konzerne unterschätzen immer noch die harten Strafen, die US-Richter gegen Unternehmen verhängen. Der Bayer-Konzern rutschte gleich zweimal in die Falle: 2001 mit seinem Medikament Lipobay, einem Blutdrucksenker. Und ab 2016 nach der Übernahme von Monsanto mit dem Unkrautvernichter Glyphosat. Um Gerichtsurteile abzuwenden, einigte man sich auf einen Vergleich – und zahlte am Ende viele Milliarden Euro. Ähnlich beim VW-Konzern in Sachen Abgasbetrug. Neben zivilrechtlichen Verfahren ohne Ende musste sich der Autokonzern auch strafrechtlich wehren. Und zahlte bis heute über 20 Mrd. Euro. Viele deutsche Mittelständler machten eine ähnliche Erfahrung durch, nur drangen ihre Fälle nicht an die Öffentlichkeit.

Amerikanische Anwälte raten bei den sogenannten Sammelklagen, wenn sich Hunderte oder sogar Tausende Kläger gegen ein Unternehmen verbünden, so gut wie immer zum Vergleich. Die Gerichte in den USA ermitteln nicht nur den Schaden, der durch das Verhalten eines Konzerns wirklich entstanden ist. Sie verhängen darüber hinaus Strafen, die abschrecken sollen. Meist höher als der eigentliche Schadenersatz, der nach einem Urteil fällig wird. Der Fachbegriff lautet „Punitive Damages“. Und alle Unternehmen, die bei Sinnen sind, möchten diese Strafen unbedingt vermeiden.

Merkwürdigerweise kümmern sich die Anleger kaum um die Strafen, solange sie nicht Milliardenhöhen erreichen. Die Aktie von Siemens Energy reagierte Ende September kaum, als die Nachricht von den 104 Mio. Dollar durch die Medien lief. Viele Experten tun eine Strafe als „Einmalereignis“ ab, das die Geschäfte eines Konzerns mittel- und langfristig nicht tangiert. Was sie dabei vergessen: Fälle wie bei Siemens Energy sagen auch viel aus über die Unternehmenskultur. Man sollte deshalb jedes Gerichtsverfahren genau anschauen.

Transparenzhinweis: In einer früheren Version hatten wir geschrieben, dass es sich bei dem Großauftrag von Siemens Energy um Windturbinen gehandelt habe. Es waren aber sogenannte „Peaker“-Kraftwerke. Wir haben die Stelle korrigiert.

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