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Taiwan-Repräsentant Shieh Jhy-wey „China ist abhängig von Importen, das sollte den Deutschen bewusst sein“

In Reaktion auf den Besuch von US-Politikerin Nancy Pelosi startete China Manöver an der taiwanesischen Grenze
In Reaktion auf den Besuch von US-Politikerin Nancy Pelosi startete China Manöver an der taiwanesischen Grenze
© IMAGO/Xinhua
Taiwan bezahlt den Besuch von Nancy Pelosi mit tagelangen chinesischen Manövern und Sanktionen gegen den eigenen Exportsektor. Taiwans Repräsentant in Deutschland, Shieh Jhy-wey, sagt dennoch, das sei es wert gewesen. Für sein Land gehe es ums nackte Überleben

Dieser Artikel liegt Capital.de im Zuge einer Kooperation mit dem China.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn China.Table am 8. August 2022.

Herr Shieh, Nancy Pelosi war vergangene Woche nur wenige Stunden in Taiwan. Die wirtschaftlichen Konsequenzen für ihr Land könnten hingegen wesentlich länger andauern. War es das wert?

SHIEH JHY-WEY: Sanktionen schmerzen natürlich immer. Aber unsere Demokratie ist nicht verhandelbar. Deswegen empfinde ich es vor allem als große Freude, dass Nancy Pelosi trotz der Drohungen aus Peking ihren Besuch wahr gemacht hat. Sie hat ein ungeheuer wichtiges Signal gesetzt, dass Demokratien sich gegenseitig unterstützen müssen. Wenn wir dafür einen Preis zahlen müssen, dann sind wir dazu bereit. Das ist es wert.

Glauben Sie, dass andere Demokratien diese Lektion gelernt haben?

Das glaube ich ganz sicher. Was Pelosi erreicht hat mit dem Besuch, ist ein Meilenstein, eine regelrechte Zäsur. Es gab immer ein stillschweigendes Einverständnis der Demokratien untereinander, dass man füreinander einsteht. Dieses Einverständnis wurde durch ihren Besuch artikuliert. Hier geht es ja nicht nur um China und Taiwan, sondern um einen Konflikt zwischen den Werten der Freiheit und den Werten der Diktatur.

Positioniert sich Deutschland angemessen?

Jeder gewalttätige Versuch, den Status quo in der Taiwanstraße zu ändern, ist völlig inakzeptabel. Das muss den Chinesen gegenüber klipp und klar formuliert werden. Gewalt hat nichts mit Politik zu tun. Die Fehler, die man im Verhältnis zu Russland gemacht hat, dürfen nicht wiederholt werden. Außenministerin Baerbock hat gesagt, dass man nicht akzeptiert, wenn das internationale Recht gebrochen wird und ein größerer Nachbar völkerrechtswidrig seinen kleineren Nachbarn überfällt. Das hat sie einerseits auf Russland bezogen, aber andererseits auch explizit China in diesem Zusammenhang erwähnt. Auch das war ein sehr wichtiges Signal, das in Taiwan sehr wohl wahrgenommen wurde.

Trotz Baerbocks Aussagen tobte tagelang ein chinesisches Militärmanöver um Taiwan.

Mit den Manövern versucht Xi Jinping, sein Gesicht zu wahren. Er hat so hoch gepokert und war überzeugt, dass die Drohungen Frau Pelosis Besuch verhindern würden. Diese Abschreckungstaktik war in den vergangenen Jahren immer erfolgreich. Jetzt nicht. Xi hat keine Alternative. Er muss sein Volk, das seine Drohungen stets für bare Münze nimmt, beschwichtigen und befahl die Manöver. Das zeigt dem Westen auch mal, dass chinesische Drohungen nicht zwingend in die Tat umgesetzt werden.

Zeigen solche Manöver in Taiwan überhaupt noch Wirkung?

Wir als Betroffene können es uns nicht leisten, solche Drohungen auf die leichte Schulter zu nehmen. Sie sind real und keine Einbildung. Aber noch einmal: Unsere Demokratie ist nicht verhandelbar. Taiwan hat sich diese Freiheit teuer erkämpft. Das Glück vieler Familien wurde dafür geopfert. Das geben wir nicht wieder her. Unsere Präsidentin Tsai Ing-wen hat mehrfach gesagt, dass Taiwan seine Demokratie bis zum letzten Mann verteidigen wird. Wir haben sie häufiger in Militäruniform auftreten sehen. Sie versucht, ein Krisenbewusstsein vor allem bei jungen Leuten zu schaffen.

Deutschland bekennt sich klipp und klar zur Ein-China-Politik. Hilft das Taiwan weiter?

Wenn Deutschland, die USA und andere Staaten betonen, sie bekennen sich zur Ein-China-Politik, dann muss auch deutlich gemacht werden, was genau das bedeutet. Traditionell ist damit gemeint, dass man nur ein China anerkennt. Diese Interpretation stammt aber noch aus Zeiten von Mao Zedong und Chiang Kai-chek. Das ist heute nicht mehr zeitgemäß. Taiwan hat niemals das Erbe von Chiang Kai-chek angetreten, sondern am 15. Juli 1987 mit Beendigung des Kriegsrechts eine neue Ära eingeläutet und Chiang hinter sich gelassen. Deswegen dringen wir darauf, dass bei der Erwähnung der Ein-China-Politik immer auch hinzugefügt wird, dass der Status quo mit Gewalt nicht beendet werden kann. Ohne diesen Zusatz wird nicht klar artikuliert, was Deutschland akzeptiert und was nicht.

Das bedeutet, dass Taiwan mit der Formulierung Ein-China-Politik grundsätzlich leben kann?

Nein, hier geht es nicht darum, mit etwas leben zu können, sondern leider um unser Überleben. Solange man von der Ein-China-Politik spricht, spielt man den Betonköpfen in Peking in die Karten. Wenn es nach uns geht, wäre es in Ordnung, dass es nur ein China gibt, das dann Volksrepublik heißt. Aber nur, wenn das nicht bedeutet, dass Taiwan Teil davon sein soll. Anstatt von Ein-China-Politik sollten wir von einer China-Politik und einer Taiwan-Politik sprechen.

Haben Sie denn trotz Bekenntnissen zur Ein-China-Politik Vertrauen in die Solidarität der Demokratien?

Ja, das Vertrauen habe ich. Ein Angriff auf Taiwan bedeutet für die Demokratien der Welt einen Angriff auf sie selbst. Diese Erkenntnis ist auch durch die russische Invasion in der Ukraine gereift.

Vor Russlands Angriff hielt sich ihr Vertrauen in die demokratische Solidarität in Grenzen?

Amerikaner, Europäer, aber auch Japan oder Südkorea haben erkannt, dass Taiwan in einer globalisierten Welt nicht mehr isoliert betrachtet werden kann. Wir sind ja nicht nur eine Demokratie, sondern auch eine Schlüsselfigur in der Halbleiterindustrie und im Indopazifik.

Also hat die Solidarität mit Taiwan mehr mit Halbleitern und Geostrategie zu tun als mit Liebe zur Demokratie?

Das eine schließt das andere nicht aus. Demokratien müssen zueinander stehen, sonst gibt es einen Dominoeffekt. Wenn man autoritäre Staaten ständig gewähren lässt und aus Angst vor Vergeltung immer automatisch Zugeständnisse macht, dann stärkt man diese Staaten so weit, dass man sich ihnen irgendwann nicht mehr widersetzen kann.

Wenn Präsidentin Tsai sagt, Taiwan wolle bis zum letzten Mann seine Demokratie verteidigen, spricht sie dann für alle 23 Millionen Menschen oder vielleicht nur für einen Teil?

Es gibt immer Opposition in Taiwan. Deswegen sind wir eine Demokratie. Und es gibt natürlich Menschen, die sagen, ich bin unzufrieden mit der Politik der Präsidentin, weil sie China provoziert hat. Das ist normal. Aber wenn China Taiwan angreifen sollte, dann wird unsere Bevölkerung sicherlich zusammenstehen.

Weshalb sind Sie da so sicher?

Wenn China Raketen auf Taiwan abfeuert, heißt das, es ist ihnen egal, wer getroffen wird. Peking spricht immer davon, man wolle den verlorenen Sohn heim holen. Aber greift man bei einem Familienmitglied deshalb zur Gewalt? Außerdem ist der Sohn ja gar nicht verloren gegangen. Er hat bloß geheiratet und eine Familie gegründet. Das wird selbst jene Taiwaner abschrecken, die aus wirtschaftlichem Interesse engere Beziehungen zur Volksrepublik bevorzugen. Auch das Beispiel Hongkong zeigt uns, dass man der chinesischen Regierung nicht über den Weg trauen kann.

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Wie nachhaltig werden chinesische Sanktionen Taiwan wirklich schmerzen?

Das wird einzelne Sektoren treffen, die darunter leiden. Die müssen wir entschädigen. Aber die Frage, die sich stellt, ist eine andere: Weshalb kappt China nicht einfach alle unsere Exporte? 40 Prozent unserer Ausfuhren gehen in die Volksrepublik. Das würde uns wirklich sehr weh tun. Die Antwort ist: Weil China von unseren Einfuhren genauso abhängig ist und ohne unsere Produkte großen Schaden nehmen würde. China stellt es immer so dar, dass andere nur von ihm abhängig seien. Aber Chinas Bedarf an Importen ist enorm groß. Das gilt besonders auch für Importe aus Deutschland. Dieser Stärke sollte sich Deutschland wirklich bewusst sein.

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