Rund 508 Meter wächst der Wolkenkratzer mit seiner an Bambus erinnernden Segmentierung in den Himmel über der Hauptstadt von Taiwan. Fünf Jahre lang war „Taipeh 101“ das höchste Gebäude der Welt, ehe Burj Khalifa in Dubai es vom Thron stieß. Durch die Straßen zieht ein nicht enden wollender Strom an E-Rollern des Marktführers Gogoro, viele gesteuert von einem der 180.000 Studenten an mehr als einem Dutzend renommierter Universitäten. Doch ich bin nicht allein für Museen, Night Markets oder die gigantischen Einkaufszentren nach Taipeh gekommen. Nein, mich zog es vor allem wegen des kürzlich eröffneten Restaurants „La Vie by Thomas Bühner“ in den 14 Flugstunden entfernten Inselstaat.
Statt für ein Hyatt oder Intercontinental habe ich mich während meines Aufenthaltes für das Eslite Hotel entschieden. Die Dependancen der großen Luxusketten sehen schließlich meist überall ähnlich bis gleich aus – und dieses Haus ist weltweit einzigartig. Das finde ich spannend. Den erfahrenen Asien-Reisenden unter Ihnen wird der Name Eslite vielleicht bekannt vorkommen. So heißt nämlich nicht nur mein Hotel, sondern zudem die größte Buchhandlung des Landes mit zig Filialen in Taiwan, Japan, Hongkong und China.
104 Zimmer und 7000 Bücher – das Eslite Hotel in Taipeh
Ganz im Zeichen des gedruckten Wortes steht auch das Hotel, das übrigens eine Premiere für das Handelsunternehmen darstellt: Überall liegen Bücher aus – auf den Zimmern, in der Lobby, sogar auf dem Frühstückstisch. Insgesamt mehr als 7000 Bände, von denen rund 1000 in den Koffern von Gästen verschwinden, wie man mir erzählt. Man könnte wohl auch „gestohlen“ sagen. Der Eslite-Buchladen nebenan wurde übrigens vom TV-Sender CNN als einer der besten weltweit ausgezeichnet und ist 24 Stunden geöffnet.
Das Hotel ist überhaupt ein Paradies für Kunst- und Kulturliebhaber, denn es steht auf dem Gelände des Songshan Cultural & Creative Park. Wo sich früher eine Tabakfabrik und ein Bahnhof befanden, wurde ein großes Kulturzentrum errichtet mit Freilicht-Museum, Performance-Zentrum, Bühnen, Grünflächen – und dem Eslite Hotel.
Mit seinen 104 Zimmern ist es im Vergleich zu den Häusern der internationalen Big Player eher klein. Der Fokus liegt eindeutig auf Qualität und Originalität. Davon zeugen die Lounge mit ihren edlen Ledersesseln und meterhohen Bücherregalen, die italienischen Möbel-Unikate in den Zimmern sowie die imponierende Kunstsammlung. All das hebt dieses sympathische Hotel wohltuend von der mächtigen Konkurrenz ab. Ebenso die Tatsache, dass es nahtlos in die Kulturszene Taipehs eingebettet ist.
„La Vie“: regionale Zutaten, französische Koch-Technik
Positiv überrascht von meiner Unterkunft und voller Vorfreude begebe ich mich am Abend ins „La Vie“, das ein wenig außerhalb des Zentrums in einer neu eröffneten Mega-Mall auf mich wartet, in der es neben Luxusmarken auch Galerien und sogar eine Eislauf-Arena gibt.
Das Restaurant von Thomas Bühner, der sich im gleichnamigen Gourmettempel in Osnabrück drei Michelin-Sterne erkochte und deutscher „Koch des Jahres 2016“ war, hat sich seit der Eröffnung 2023 zum Hotspot der Stadt entwickelt. Vielleicht gar des ganzen Landes. Statt Bühner, der viel gefragt und entsprechend ausgebucht ist, führt mich der junge Chef de Cuisine, Xavier Yeung aus Hongkong, freundlicherweise herum.
„Lokale Zutaten, europäische Ausführung“, so beschriebt die Kellnerin das Erfolgsrezept des „La Vie“, dessen Speisekarte sich beeindruckend liest. Gebratene Ente (inklusive Herz) mit Himbeermark, eingelegter Roter Bete und gesalzenem langen Pfeffer. Bambussprosse mit schwarzem australischem Wintertrüffel, Jamon-Iberico-Brühe, confiertem Eigelb und sautiertem Schellfisch. Wow.
Die Handschrift von Thomas Bühner ist klar zu erkennen: eine avantgardistische Kombination aus mutig gewählten Aromen und des Garens bei niedrigen Temperaturen. Das raffinierte Handwerk der großen französischen Küche verlassen Bühner und sein Team dabei nie. Gut so.
Das Interieur hinkt der fantastischen Küche hinterher
Sensationell, spektakulär, unvergesslich – für die Kreationen lassen sich kaum genug Lobeshymnen anstimmen. Am besten schmeckt mir der Gugelhupf à „La Vie“, der mit verschiedenen Saucen und einem feinen Vanilleeis serviert wird. Den leichten Brandy-Geschmack zaubert die Kellnerin mit einem Spray hinzu.
Das Restaurant selbst hingegen, der Gastraum, könnte ansprechender gestaltet sein. Das viele Grau und Braun der Einrichtung ist etwas uninspiriert, die Vorhänge zu schwer, zu düster, und die Stühle erinnern an das Wartezimmer einer guten Arztpraxis. Positiv hervorheben möchte ich jedoch das wundervolle, handgefertigte Porzellan von Pieter Stockmans, einem flämischen Meister seines Faches. Darin und darauf sieht die Menüfolge gleich noch einmal so appetitlich und ästhetisch aus.
Manchmal lohnt sich einfach der Mut zum Außergewöhnlichen, das macht man im Hotel Eslite vor. Auch wenn manches Deko-Objekt, wie etwa Bücher, mitunter „Beine bekommt“.