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Streikrecht „Streiks sollten immer verhältnismäßig sein“

Von Donnerstag bis Dienstag dieser Woche haben die Lokführer den Bahnverkehr lahmgelegt – und ein Ende des Arbeitskampfes ist nicht in Sicht
Von Donnerstag bis Dienstag dieser Woche haben die Lokführer den Bahnverkehr lahmgelegt – und ein Ende des Arbeitskampfes ist nicht in Sicht
© Christian Schroedter / IMAGO
Die Lokführer haben gestreikt und das ganze Land lahmgelegt. Viele schimpfen über die Lokführergewerkschaft GDL. Die Mittelstandvereinigung der Union will nun Streiks erschweren. Der Anwalt Dirk Streifler über die Möglichkeiten und Grenzen der Politik beim Streikrecht

Dirk Streifler ist Anwalt in Berlin, der sich unter anderem mit Arbeitsrecht befasst. Er vertritt auch Arbeitgeber in Insolvenz- und Sanierungsfällen – und kennt daher auch die Gegenseite.

BILD
Dirk Streifler
© Dirk Streifler

Capital: Die wichtigste Frage vorweg: Kann man das Streikrecht überhaupt verschärfen?

DIRK STREIFLER: Ja, das geht. Der Gesetzgeber versucht natürlich, auch im Streikgeschehen immer präsent zu sein. Das gilt auch für die Politik. Dazu muss man aber sagen, dass die Maßnahmen die da im Politikbetrieb, ich sage mal aus dem Ärmel geschüttelt werden, nicht immer zu Ende gedacht sind. Das sehen wir auch bei anderen Gesetzesänderungen. Da werden oft systematische Aspekte außen vorgelassen.

Wie meinen Sie das?

Wenn ich das alles richtig verstanden habe, muss ich sagen, dass die von der Union vorgeschlagenen Maßnahmen sehr tiefgreifend sein würden. Das kann man nicht mal einfach so durchsetzen. Die gingen nicht nur gegen das deutsche, sondern auch gegen Europarecht.

Inwiefern ist das Europarecht gefragt, wenn es um Streiks der Lokführer in Deutschland geht?

Die Europäische Union hat die Kompetenz, die Grenzen des Streikrechtes mitzubestimmen. Da geht es um Grundrechte wie Koalitionsfreiheit und Versammlungsfreiheit. Beim deutschen Streikrecht muss man also die vielfältigen Richtlinien der EU immer mitdenken. Das Europarecht schränkt die Änderungsmöglichkeiten also ein, die der Gesetzgeber hat.

Sie sprachen auch von Maßnahmen, die nicht zu Ende gedacht seien – welche sind das in dem Vorstoß?

In dem, was die Union da jetzt vorgelegt hat, sind einige Ideen drin, die sehe ich entspannt. Die Verhältnismäßigkeit von Streiks etwa wird regelmäßig überprüft . Da sind wir ständig vor Gericht und da gibt es auch eine Vielzahl von Entscheidungen. Außerdem ist es eben typisch, dass Dritte bei Streikmaßnahmen betroffen sind. Das liegt in der Natur der Sache. Kritisch sehe ich allerdings die Idee, dass eine Urabstimmung machen muss, bevor man streiken darf.

Warum?

Wer sind denn 50 Prozent der Belegschaft. Sollte das Streikrecht so ausgelegt werden, dass alle Bahnangestellten abstimmen, wenn die Lokführer streiken wollen? Andere Branche, ähnliche Frage: Sollte auch das Bodenpersonal gefragt werden, wenn die Piloten einer Airline in den Streik treten? Es ist gar nicht klar, was der Bezugsrahmen für die 50 Prozent ist. Außerdem habe ich mich gefragt: Was ist, wenn in einer Branche gestreikt werden soll, in der gar nicht so viele Mitarbeiter Mitglied einer Gewerkschaft sind – darf dann da überhaupt kein Arbeitskampf mehr stattfinden?

Was ist also ihr Fazit zu dem Ganzen?

Ich glaube, dass man das so nicht machen kann.

Statistik: Haben Sie Verständnis für den Streik der Lokführer? (im August 2021) | Statista

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Es lässt sich also vermuten, dass es eine Wahlkampftaktik ist, um vom Bahnstreik frustrierte Wähler anzusprechen?

Ja, die Vermutung liegt nahe.

Lassen wir uns doch einmal auf das Gedankenexperiment ein, es wäre keine Wahlkampftaktik: Was würde das für das Streikrecht bedeuten?

Das würde ein wichtiges Druckmittel der Angestellten ihrer Arbeitgeber gegenüber abschwächen. Eigentlich das einzige. Denn: Welchen Hebel haben Arbeitnehmer sonst? Ein Streik ist immer Ausdruck eines Verteilungskampfes und in Deutschland, das muss man sagen, läuft das immer weitgehend gesittet ab. Zumindest heutzutage. Das war früher anders, da gab es Fabrikbesetzungen, da gingen die Leute mit anderen Mitteln auf die Straße. Es ist gut, dass sich das inzwischen geändert hat. Streiks sind aber dennoch ganz klar ein ausgleichendes Moment in den typischerweise vorliegenden Machtverhältnissen, die ja meistens ein Machtgefälle sind.

Und würden Sie sagen, dass der Arbeitskampf, den wir gerade erleben, im Grunde gerechtfertigt ist?

Ja, das würde ich schon sagen. Er trifft aber verhältnismäßig viele Dritte, um die Terminologie des Unionsvorschlages zu verwenden.

Finales Fazit: Was halten Sie davon, deshalb über eine Verschärfung des Streikrechts zu reden?

Wenn wir darüber sprechen, wie ein Streik ausgerichtet ist, ist das zulässig. Streiks müssen immer verhältnismäßig sein. In dem, was die Union vorgelegt hat, sehe ich aber Punkte, denen ich so nicht folgen kann.

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