Der dritte Streik in weniger als einem Monat, fünf Tage Ausstand und kein Interesse an einem neuen Schlichtungsversuch – die Lokführergewerkschaft GDL hat im Tarifstreit mit der Deutschen Bahn noch einmal die Daumenschrauben angezogen. Im Güterverkehr legen die Gewerkschaftler schon am Mittwochabend die Arbeit nieder, im Personenverkehr ist es am Donnerstag um zwei Uhr soweit.
Der Streit zwischen GDL und Bahnkonzern ist verfahren. Zwar ist die Bahn den GDL-Forderungen teilweise entgegengekommen, sie kündigte Ende August aber an, kein weiteres Angebot mehr vorzulegen. Während GDL-Chef Claus Weselsky dem Bahn-Management eine „Blockadehaltung“ vorwirft, fordert Bahnchef Richard Lutz die Gewerkschaft auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren und auf die „ausgestreckte Hand“ der Bahn zu reagieren .
Der bevorstehende Streik erhöht den Druck auf die Konfliktparteien und weckt gleichzeitig Erinnerungen an den letzten erbitterten Tarifstreit von 2014/15. Fast ein Jahr lang rangen Bahn und GDL miteinander um eine Einigung, neunmal schickte die GDL ihre Mitglieder in den Streik, rund 420 Stunden lang wurde das Bahnnetz durch den Ausstand lahmgelegt. Die Intensität der Streiks nahm dabei nach und nach zu und bescherten der Bahn so schließlich Umsatzausfälle von mehreren hundert Mio. Euro.
Erst Schlichter brachten die Einigung
Nach dem vorerst längsten Streik vom 4. bis 10. Mai, legte die Gewerkschaft am 19. Mai die Arbeit nieder, Streik-Ende: ungewiss. Knapp zwei Tage später dann die unerwartete Wende: Bahn und GDL stimmten einem Schlichtungsverfahren durch SPD-Politiker Matthias Platzeck und Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow als Fürsprecher von Bahn und GDL.
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Damaliger Hauptstreitpunkt zwischen Bahn und Gewerkschaft: Die GDL, die bis dato ausschließlich für die Lokführer verhandelt hatte, wollte eigene Tarifverträge für das gesamte Zugpersonal. Die hatte davor die deutlich größere Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) ausgehandelt. Die Bahn lehnte konkurrierende Verhandlungen mit beiden Gewerkschaften ab.
Am 1. Juli 2015 machten beide Seiten ihren Kompromiss offiziell: Die GDL konnte eigene Tarifverträge für das gesamte Zugpersonal abschließen. Im Gegenzug musste sie die Regelungen der EVG übernehmen. Heißt: Gleiche Regelungen für gleiche Berufsgruppen, auch wenn sie Mitglieder verschiedener Gewerkschaften sind.
Die Konstante im Konflikt: die Konkurrenz zur EVG
Auch im jüngsten Streik spielt das Verhältnis zwischen den beiden Gewerkschaften wieder die entscheidende Rolle. Grund ist das Tarifeinheitsgesetz (TEG), das seit 2015 den Einfluss von kleineren Gewerkschaften beschränken soll. Dem Gesetz zufolge gilt bei konkurrierenden Gewerkschaften im Betrieb der Tarifvertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern. Bei der Bahn kam das Gesetz vorläufig nicht zur Anwendung, stattdessen sicherte ein Grundlagenvertrag der GDL bis Ende 2020 zu, dass ihre Tarifverträge gelten.
Mit Auslauf der Frist greift das TEG allerdings und gefährdet damit den Einfluss der GDL im Bahnkonzern. Mit ihren knapp 37.000 Mitgliedern könnte sie ihren Tarifvertrag nur in 16 der rund 300 Bahnbetriebe durchsetzen, in 55 hält die EVG mit ihren 184.000 Mitgliedern die Mehrheit. Die GDL-Tarifverträge verlieren damit großflächig an Gültigkeit. „Um das zu verhindern, müsste die GDL mehr Mitglieder für sich gewinnen und selbst die stärkste Gewerkschaft werden“, sagt Tarifexpertin Helena Schneider vom IW Köln. „Und das geht am besten über Tarifabschlüsse, die über den Abschlüssen der EVG liegen.“
Für Schneider sind die jüngsten Streiks daher ein „offener Machtkampf mit der EVG um Mitglieder“. Weselsky verneint dagegen, dass man der EVG „Mitglieder abjagen“ wolle, stattdessen habe der Großteil der GDL-Neuzugänge seit Juni keiner Gewerkschaft angehört. Außerdem fordert der GDL-Chef eine gerichtliche Klärung der Kräfteverhältnisse. Umgehen ließe sich der Konfliktherd nur, wenn die Bahn das TEG erneut aussetzt. Danach sieht es nach aktuellem Stand aber nicht aus.
Bei einer Einigung zwischen Bahn und GDL führt trotzdem kaum ein Weg an der EVG vorbei. Das weiß die Gewerkschaft auch selbst und hat bereits angekündigt, bei einem besseren Ergebnis der GDL nachzuverhandeln. „Wann dieser Tarifkonflikt vorbei ist, das bestimmen wir“, sagte EVG-Chef Klaus-Dieter Hommel Ende August der dpa.
Verhandlungsspielraum deutlich geringer
Wie oft und wie lange Teile des Bahnverkehrs in den nächsten Wochen lahmgelegt werden, bestimmt dagegen die GDL. Anders als beim letzten großen Arbeitskampf haben die Lokführer die Streikdauer deutlich schneller gesteigert. Weselsky betont allerdings gleichzeitig, ein unbefristeter Streik stehe derzeit nicht zur Debatte. Von der letzten Eskalationsstufe, die die GDL 2015 schon einmal erprobt hat, ist der aktuelle Tarifstreit also noch entfernt.
Gegen eine erneute Eskalation wie 2014/15 spricht außerdem die wirtschaftliche Situation der Bahn. Die Flutkatastrophe im Westen Deutschlands und die Pandemie haben den Konzern getroffen. Allein Corona hat dem Konzern 2020 einen Verlust von 6 Mrd. Euro beschert, im ersten Halbjahr 2021 waren es 1,4 Mrd. Euro. Das schränkt den Verhandlungsspielraum der Bahn deutlich ein.
Auch an den Lokführern gehen die Streiks nicht spurlos vorbei. Denn das Streikgeld von maximal 100 Euro am Tag machen eben nur einen Teil des regulären Gehalts aus. Gerade längere Streiks treffen die eigenen Mitglieder damit auch finanziell. Gleichzeitig fällt das Verständnis der Bahnkunden durch die Pandemie geringer ausgeprägt. Insbesondere für Unternehmen haben die Streiks entlang der ohnehin schon angespannten Lieferketten auch eine wirtschaftliche Schlagkraft – und stoßen umgekehrt auf wenig Verständnis, erklärt Schneider. Längere Streiks erhöhten den öffentlichen Druck auf die GDL und bremsten damit wiederum die Streikbeigeisterung der Mitglieder. „D as könnte die GDL dann zurück an den Verhandlungstisch zwingen“, so Schneider.
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