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Kommentar Stoppt die Verschwendung von Lebensmitteln!

Viel zu viele brauchbare Nahrungsmittel landen in der Mülltonne. Ein wichtiger Teil zur Lösung der weltweiten Hungerprobleme wird so verschwendet. Von José Graziano da Silva und Achim Steiner
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© Getty Images

José Graziano da Silva ist Direktor der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO). Achim Steiner ist Exekutivdirektor des UN-Umweltprogramms (UNEP). Ihre Organisationen sind Gründungspartner der Anfang dieses Jahres ins Leben gerufenen Kampagne Think Eat Save – Reduce Your Foodprint.

Jedes Jahr verschwenden oder verlieren wir 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel – ein Drittel der jährlichen weltweiten Nahrungsmittelproduktion. Das schiere Ausmaß lässt diese Zahl beinahe unbegreiflich erscheinen, egal aus welcher Perspektive man sie betrachtet. Man stelle sich 143.000 Eiffeltürme übereinander gestapelt vor oder eine Anhäufung von zehn Billionen Bananen.

Diese Zahl ist umso unfassbarer als neben gewaltiger Verschwendung und Schwund 840 Millionen Menschen täglich an chronischem Hunger leiden. Viele weitere Millionen leiden an „stillem Hunger“ – also an Unterernährung und einem Mangel an Mikronährstoffen.

Schäden für die Umwelt

Achim Steiner
Achim Steiner
© Project Syndicate

Für ökonomisch denkende Menschen sei noch eine Zahl genannt: Verschwendung und Schwund von Lebensmitteln kosten, nach Erzeugerpreisen berechnet, ungefähr 750 Mrd. Dollar pro Jahr. Würde man auf Grundlage von Einzelhandelspreisen rechnen und die weitreichenderen Auswirkungen auf die Umwelt, einschließlich des Klimawandels, miteinkalkulieren, ergäbe sich eine noch viel höhere Zahl.

Im Zeitalter der Sparpolitik ist es schwer zu begreifen, wie ein derartig massiver Verlust von Ressourcen unbeachtet bleiben kann. Tatsächlich steigt die Lebensmittelverschwendung mancherorts noch an.

Ein neuer Bericht der Weltenährungsorganisation (FAO) konzentriert sich jetzt auf einen weiteren beunruhigenden Aspekt des Problems: nämlich auf die negativen Folgen für Umwelt und natürliche Ressourcen, von denen unser Überleben abhängt.

Bei Verlust oder Verschwendung von Nahrungsmitteln werden auch die zu ihrer Produktion verwendeten Ressourcen an Energie, Anbauflächen und Wasser vergeudet. Zugleich werden während der Produktion, der Verarbeitung oder beim Kochen enorme Mengen an Treibhausgasen in die Atmosphäre freigesetzt.

Null-Hunger-Programm

Egal ob wir das Problem aus ethischer, wirtschaftlicher, ökologischer Sicht oder aus der Perspektive der Nahrungsmittelsicherheit betrachten: Wir können die jährliche Verschwendung von 1,3 Milliarden Tonnen an Lebensmitteln nicht einfach hinnehmen. Aus diesem Grund ist eine substanzielle Verringerung des Verlusts und der Verschwendung von Nahrungsmitteln eines von fünf Elementen des „Null-Hunger-Programms” von Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon und ein wichtiger Schwerpunkt der Arbeit der Hochrangigen Arbeitsgruppe für die weltweite Nahrungsmittelkrise der Vereinten Nationen. Wir kooperieren innerhalb des Uno-Systems und arbeiten mit einer breiten Koalition anderer Partner zusammen, um ganzjährig einen universellen Zugang zu ausreichend Nahrungsmitteln zu gewährleisten, Entwicklungshemmnisse in der Kindheit zu beseitigen, sämtliche Nahrungsmittelsysteme auf eine nachhaltige Basis zu stellen und die Armut in ländlichen Gebieten zu eliminieren.

Kommende Woche wird das Global Green Growth Forum in Kopenhagen einen tieferen Einblick in die Thematik ermöglichen. Zunächst müssen Verlust und Verschwendung von Lebensmitteln als ein Querschnittsthema betrachtet werden und nicht als eine Frage des Lebensstils, die man den einzelnen Verbrauchern und ihrem Gewissen überlassen kann. Die Welt muss sich der Notwendigkeit von Strategien bewusst werden, die sich allen Phasen der Nahrungsmittelkette von der Produktion bis zum Konsum widmen.

Der Schwund von Nahrungsmitteln – auf Bauernhöfen, bei der Verarbeitung, während des Transports und auf Märkten – untergräbt die Nahrungsmittelsicherheit in den meisten Entwicklungsländern, wo Nachernteverluste bis zu 40 Prozent der Produktion erreichen können. Investitionen in die Infrastruktur für Transport, Lagerung und Vermarktung der Lebensmittel sind ebenso dringend nötig wie Schulungsprogramme für Landwirte, wo diese mit bewährten Methoden vertraut gemacht werden.

Hässlich ist nicht schlecht

In den Industrieländern ist die Praxis im Lebensmittel-Einzelhandel zu überdenken. So ist beispielsweise die Aussortierung von Nahrungsmittel aus ästhetischen Gründen eine der Hauptursachen der Verschwendung. Manche Supermärkte haben bereits damit begonnen, ihre Standards hinsichtlich des Erscheinungsbildes von Obst zu lockern und verkaufen mittlerweile auch „deformierte“ Früchte zu reduzierten Preisen. Damit helfen sie ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass hässlich nicht gleich schlecht ist. Es bedarf weiterer ähnlicher Ansätze – und konzertierter Anstrengungen, um Märkte oder Verwendungsmöglichkeiten für überschüssige Nahrungsmittel zu erschließen.

Unternehmen ebenso wie private Haushalte sollten darauf achten, wo und wie sie Nahrungsmittel verschwenden und ihr Verhalten korrigieren, denn die Vermeidung von Lebensmittelverschwendung ist noch wichtiger als Recycling oder Kompostierung.

Ja, 1,3 Milliarden Tonnen ist eine unvorstellbare Zahl. Doch diese simplen Maßnahmen sind leicht zu verstehen – und auch von allen umzusetzen. Die Welt steht vor zahlreichen scheinbar unlösbaren Problemen. Gegen die Verschwendung von Nahrungsmitteln können wir jetzt alle etwas unternehmen.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

© Project Syndicate 1995–2013

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