Die Opposition macht sich in Berlin gerade wirklich verdient, indem sie sich in die üble Datenspähaffäre verbeißt. Der Vorwurf, dass sie das doch nur aus Wahlkampfgründen tue, ist da ziemlich abstrus.
Man kann und darf einen solchen Skandal ja nicht einfach wegschließen, nur weil es sonst vielleicht ein bisschen zu heftig wird. Es ist aber nebenbei auch ein Irrglaube, dass dieser Skandal automatisch die Wahlchancen von SPD und Grünen erhöhen wird.
Ich wage hier mal eine Prognose: Diese ganze Spähaffäre wird für SPD und Grüne am Ende ein Verliererthema sein.
Das liegt an den Details des Themas selbst, aber mehr noch an einem ganz fundamentalen Punkt: Bei einer Wahl wird eben nicht die eifrigste und beste Opposition gewählt. Sondern die mutmaßlich bessere Regierung.
Die Sache an sich ist sperrig genug: Wenn Rot und Grün von der Affäre profitieren wollen, dann müssen sie das Volk davon überzeugen, dass wir erstens ein gravierendes Problem haben; dass daran zweitens die Regierung Merkel schuldhaften Anteil hat; und dass schließlich drittens so etwas unter Rot und Grün nie passiert wäre.
Ich persönlich bin vom Ersten ja schon überzeugt und sehe für das Zweite immerhin ein paar Anhaltspunkte. Das scheint aber immer noch eine Minderheitensicht zu sein.
Der dritte Punkt – unter SPD und Grünen wäre das nie passiert! - ist offenkundig absurd.
Beide haben seit Erfindung des Internet und seit Ausbruch des Kriegs gegen den Terror schon mal länger regiert. Die SPD führte damals sogar Kanzleramt, Innen-, Justiz- und Verteidigungsressort gleichzeitig.
Wir reden hier also über Kritiker der Elche - mit bekannt einschlägiger Vergangenheit.
Das noch grundsätzlichere Problem für SPD und Grüne ist aber die Rolle, in die sie sich jetzt gerade selbst hineinkämpfen. Sie treten auf als furiose Kritiker – aber weniger denn je als glaubwürdige Herausforderer. Und das macht einen riesigen Unterschied.
Ja, natürlich muss auch ein Herausforderer immer hart an den Regierenden herummäkeln. Ihre Schwächen entlarven, Skandale bloßstellen. Aber wer gewinnen will, der muss darüber hinaus vor allem vermitteln, dass die eigene Truppe viel besser wäre. Staatsanwälte wählt man nicht.
Von einem Gastro-Kritiker erwartet niemand, dass er besser kochen kann als der Sterne-Chef. Von Theaterkritikern verlangt keiner die besseren Stücke. Der beste Filmkritiker muss nicht der bessere Regisseur sein und ein Top-Musikkritiker nicht der bessere Klavierspieler.
Ein Kanzlerkandidat muss aber sehr wohl belegen, dass er selbst der bessere Kanzler wäre. Und nicht bloß - bitte kurz herhören, Peer Steinbrück - der Tollste all der ungezählten Kanzlerinnenkritiker.
Gute Oppositionsarbeit ist wichtig. Aber wie ein alter SPD-Profi lehrte: Sie ist für sich genommen „Mist“. In einer Demokratie sind die Verlierer der letzten Wahl immer zugleich auch „Regierung im Wartestand“. Deshalb gibt es britische „Schattenkabinette“, und das wäre auch der eigentliche Sinn von „Kompetenzteams“ im deutschen Wahlkampf.
Barack Obama hat das im Präsidentschaftswahlkampf 2008 fast schon bis ins Absurde übersteigert: Säulenattrappen auf der Bühne, kulissenträchtige Auslandsreden und sogar ein eigenes Pseudo-Amtssiegel – dieser Kandidat trat schon auf wie ein Präsident, als er noch überhaupt nicht gewählt war.
Peer Steinbrück macht es in der Datenaffäre inzwischen gerade anders herum. Er führt sich schon auf wie ein Oppositionsführer, noch bevor er die Wahl verloren hat.
Christian Schütte schreibt an dieser Stelle jeweils am Dienstag über Ökonomie und Politik. Seine letzten Kolumnen: Sag jetzt nichts, Licht aus Frankreich und Next Stop Checkpoint Bravo.
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