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Kolumne Schluss mit der Anlegerbeschimpfung

Politiker und Finanzdienstleister sind schuld an der Totalverweigerung der Deutschen in Sachen Geldanlage. Von Christian Kirchner
Das Sparbuch hat bei den Deutschen noch nicht ausgedient
Das Sparbuch hat bei den Deutschen noch nicht ausgedient
© Getty Images

Über den typischen deutschen Anleger gibt es eine Menge Vorurteile. Nicht sonderlich finanziell gebildet sei er. Er neige auch daher dazu, seine Vorsorgelücke zu unterschätzen und zum falschen Zeitpunkt in Aktien einzusteigen. Und vor allem verschenke er jedes Jahr aberwitzige Summen, weil er sein Geld kaum oder gar nicht verzinst auf Sparbüchern und Girokonten herumliegen lasse.

Flankiert von diesen Sprüchen versuchen Banken, Berater, aber auch Finanzjournalisten seit Jahren, den Bürgern Altersvorsorgeprodukte schmackhaft zu machen oder die Investition in rentablere Anlageformen als das Sparbuch nahe zu legen. Ein Blick in die jüngere Vergangenheit zeigt: Mit abnehmendem Erfolg. Denn ermüdet von den guten Ratschlägen und verängstigt von der Sorge, etwas falsch zu machen und über den Tisch gezogen zu werden, tun Anleger lieber - nichts mehr. Und paradoxerweise liegen sie damit vielleicht gar nicht so falsch, wie ihnen Experten stets weismachen wollen. Will jedenfalls der Staat Bürger dazu animieren, mehr und rentablere Vorsorge zu betreiben, dann wird dies nur noch über radikale Änderungen gehen.

Christian Kirchner ist Frankfurt-Korrespondent von Capital
Christian Kirchner ist Frankfurt-Korrespondent von Capital

Denn sehen wir einmal an, wie sich das Spar- und Vorsorgeverhalten der Deutschen im Jahr 2014 darstellt – inmitten eines Aufschwungs und nach nunmehr fünf sehr guten Börsenjahren: Die Zahl der Aktionäre sinkt, die verbliebenen Anleger verkaufen netto mehr Aktien, als sie kaufen. Publikumsfonds verzeichnen Nettomittelzuflüsse im anämischen Bereich von ein bis zwei Prozent pro Jahr. Die Verbreitung der Riester-Rente stagniert ebenso, obwohl nicht einmal jeder zweite Förderberechtigte einen Vertrag hat. Die Zahl der Lebensversicherungen sinkt. Allein der Vermögensaufbau über selbstgenutzte Immobilien brummt.

Nicht alles ist demografisch zu erklären. Ein Blick in die Geldvermögenstatistik der Bundesbank zeigt, dass der Vermögensaufbau der Bürger vor allem über immer mehr Bargeld, Spar- und Sichteinlagen abläuft. Weil sie eben lieber nichts tun, als etwas falsch zu machen. Oder das Geld einfach ausgeben.

Geringe Renditeerwartung

Doch ist das überhaupt so dumm? Betrachten wir einmal den Aktienmarkt, der als eine der rentabelsten langfristigen Anlageformen gilt. Denn mit Aktien konnten Anleger langfristig stets drei bis fünf Prozentpunkte mehr verdienen als mit sicheren Anlagen wie Staatsanleihen. Diese Überrendite wird auch als Risikoprämie bezeichnet.

Nun liegen die Zinsen für zehnjährige Bundesanleihen bei lediglich 1,5 Prozent. Fünf Prozentpunkte mehr mit Aktien – das war historisch in sehr guten Börsenphasen drin. Realistisch seien aber lediglich 3 bis 3,5 Prozentpunkt mehr, schließlich lägen bereits extrem gute Börsenjahrzehnte hinter uns, wie Forscher der Credit Suisse in einer aufwändigen Studie mit Rückrechnungen bis ins Jahr 1900 festgestellt haben.

Selbst wenn wir optimistisch vier Prozentpunkte unterstellen: Von den so erzielbaren 5,5 Prozent – 1,5 Prozent risikoloser Zins plus vier Prozentpunkte Überrendite – pro Jahr hätte der Fiskus gerne noch Abgeltungsteuer in Höhe von gut einem Viertel der Gewinne. Die Fondsgesellschaft kassiert – falls der Anleger nicht auf eigene Faust direkt in Aktien oder Indexfonds investiert – 1,5 Prozent Managementgebühr pro Jahr. Der Vertrieb muss mit einem Ausgabeaufschlag von meist fünf Prozent vergütet werden. Zudem nagt – wenngleich derzeit in überschaubarem Maße und natürlich auch am Sparguthaben – die Teuerung am Vermögen. Das heißt: Über einen Zeitraum von zehn Jahren würde ein Anleger unter diesen keineswegs pessimistischen Annahmen eine reale Rendite von einem bis zwei Prozent pro Jahr kassieren.

Politik hat Vertrieb vom Risiko entledigt

Es überrascht nicht, wenn immer weniger Anleger für diese Aussicht bereit sind, die kurzfristigen Kursrisiken zu tragen. Und, nebenbei bemerkt: Die Finanzdienstleister nicht das Rechtsrisiko, im Zuge der Protokollpflicht einem Anleger Aktienfonds empfohlen zu haben, dessen Wert sinken kann. Denn mit der Einführung des Beratungsprotokolls und der erweiterten Haftung für Berater hat Berlin quasi per Handstreich den Vertrieb von allem entledigt, was überhaupt ein Kursrisiko trägt.

Die Rechnung fällt für Versicherer nicht besser aus, sondern eher schlechter. Denn deren Renditechancen sind schon aus regulatorischen Gründen geringer, weil sie einen Großteil der ihnen anvertrauten Mittel in festverzinsliche Wertpapiere stecken müssen, für die es kaum noch Zinsen gibt. Vertriebskosten und Verwaltungsgebühren fallen bei ihnen ebenfalls an. Über einen großen Kapitaltopf können sie die Rendite für Anleger vielleicht glätten, die Niedrigzinsen aber auch nicht weghexen. Verwundert da, dass der Stern der klassischen Lebens- und Rentenversicherung sinkt?

Nun gäbe es für all das natürlich eine einfache Lösung: Steigende Kapitalmarktzinsen. Höhere Zinsen, die es wieder attraktiver machen, Geld für eine längere Zeit in dann wieder rentablere Anlageprodukte zu stecken. Doch wie realistisch ist das? Deutlich höhere Zinsen würden vermutlich ganzen Staaten die Luft abschnüren, die schon jetzt große Probleme mit dem Schuldendienst haben, so dass die Linderung der Anlagemisere durch höhere Zinsen an anderer Stelle durch Zahlungsausfälle konterkariert werden könnte.

Höhere Freibeträge, höhere Fördersummen

Kurzum: Vielleicht verhalten sich Anleger gar nicht so dumm, wenn sie Geld entweder zinslos herumliegen oder schlicht für den Konsum draufgehen lassen - sondern deutlich rationaler, als es den Anschein hat. Weil sie intuitiv ahnen, dass das Rendite-Risikoprofil der meisten Anlagen nicht stimmen könnte, vor allem nicht stimmt, wenn man die Gebühren berücksichtigt. Dass sich ein Finanzdienstleister einmalig fünf bis Prozent einer Sparrate oder Versicherungssumme als Vertriebsprovision gönnt und laufend ein bis zwei Prozent des Vermögens, mag in Zeiten verschmerzbar sein, in denen es risikolos auch fünf Prozent pro Jahr und mehr zu verdienen gibt. Aus jenen Zeiten stammen auch solche Gebührenmodelle. In Zeiten der extremen Niedrigzinsen sind sie inakzeptabel für jeden rationalen Anleger.

Ein Fehler wären es, würden Finanzdienstleister oder die Politik die immer deutlicher sichtbare Totalverweigerung vieler Bürger in Sachen Geldanlage und Vorsorge als ein temporäres Phänomen abtun oder – was besonders populär bei Produktanbietern ist – als demografisches Phänomen. Wo es weniger Junge gibt, wird eben auch weniger vorgesorgt.

Will man aber etwas ändern, braucht es vermutlich schon radikale Lösungen. Deutlich höhere Sparerfreibeträge, die auch im internationalen Vergleich in Deutschland lächerlich niedrig sind. Deutlich höhere Fördersummen und -quoten für Altersvorsorgelösungen. Oder gar einen staatlichen Vorsorgefonds mit sehr geringen laufenden Gebühren. Politische Ideen gäbe es viele. Naheliegende auch: Sich in Berlin oder in den Türmen der Banken und Versicherer an die eigene Nase zu fassen, statt Anleger für die Vorsorgemisere selbst verantwortlich zu machen, die sich immer deutlicher abzeichnet.

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