Finanzminister Wolfgang Schäuble hat vor seinem Urlaub am Wochenende noch mal ein paar gute Nachrichten unter die Wähler gebracht. Die Neuverschuldung in Europa gehe stark zurück, sie sei im Schnitt jetzt nur noch halb so groß wie vor drei Jahren, berichtete er am Wochenende im „BamS“-Interview. Auch mit den Reformen für mehr Wachstum sei man „auf einem guten Weg“. Einen neuen Schuldenschnitt für Griechenland, von dem in der Öffentlichkeit immer wieder die Rede ist, werde es auf keinen Fall geben. Bei seinem Athen-Besuch Mitte Juli hatte er ja auch die Griechen schon entsprechend ermahnt: „Mein Rat ist, diese Diskussion nicht fortzuführen.“
Glaubt man Schäuble, dann ist jetzt das einzige Problem, dass die Haushaltslöcher in Europa noch nicht restlos geschlossen sind. Es gebe eben leider noch immer neue Schulden – „und darum wächst bei einigen auch der Gesamtschuldenstand“.
Das ist leider, freundlich gesagt, noch immer ein wenig verkürzt.
Richtig ist, dass die laufenden Defizite in der Tat sinken. Die Staaten reformieren und kürzen strukturell bei ihren Ausgaben. Das wird die Tragfähigkeit ihrer Finanzen langfristig verbessern.
Die schlechte Nachricht ist allerdings: Auch die Wirtschaftsleistung schrumpft zum Teil weiter. Die Rezession in Griechenland etwa soll frühestens im nächsten Jahr enden. Weshalb – und das ist die ganz schlechte Nachricht – der griechische Schuldenberg relativ zum Einkommen immer weiter wächst. Man kann es auch so sagen: Das Leck wird zwar allmählich mit Erfolg abgedichtet. Aber das Boot hängt schon fast bis zur Bordkante im Wasser, und es sinkt immer tiefer.
Die Zahlen für Griechenland sind und bleiben dramatisch. Von 2009 bis 2011 war hier die Staatsschuldenquote geradezu explodiert, von 130 auf über 170 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. (Das einst in Maastricht vereinbarte Euro-Limit lag bei 60 Prozent.) Erst der Schuldenschnitt, sprich ein Teil-Bankrott, senkte die Last wieder auf eine vielleicht annähernd tragbare Größenordnung. Nach Angaben von Eurostat lag die griechische Staatsschuldenquote im ersten Quartal 2012 wieder bei knapp 137 Prozent.
Aber was ist ein Jahr später? Selbst bei freundlichster Beurteilung der Spar- und Reformpolitik in Athen ist die Entwicklung des Schuldenstands alarmierend. Griechenlands Schuldenquote lag im ersten Quartal 2013 bereits wieder bei über 160 Prozent. Der IWF prognostiziert für das Gesamtjahr einen Wert von 179. Anders gesagt: Innerhalb von nur zwölf Monaten ist der griechische Schuldenstand wieder um knapp ein Viertel des BIP gestiegen, bis zum Jahresende dürfte es mehr als ein gutes Drittel werden. Schuld daran ist nicht nur der Widerstand gegen Spar- und Reformprogramme, sondern ebenso der fortgesetzte Einbruch der Wirtschaftsleistung. Vornehm als der „Nenner-Effekt“ bezeichnet.
Die Schuldenquote setzt die aufgelaufenen Verbindlichkeiten ins Verhältnis zur Wirtschaftsleistung. Wenn der Nenner dieser Quote, also das nominale BIP, stagniert oder sogar schrumpft, dann werden auch Fortschritte bei der Verringerung der Neuverschuldung konterkariert. Je länger der Prozess der Einkommensschrumpfung weitergeht, desto schwieriger wird es, die bereits aufgetürmten Altschulden zu tragen.
Griechenland ist der brisanteste Fall, aber auch einige andere Länder leiden unter dem Effekt. Die Schuldenquote des ebenfalls rezessionsgeplagten Portugal stieg vom ersten Quartal 2012 bis zum ersten Quartal 2013 von 112 auf 127, ein Anstieg um 15 Punkte respektive ein knappes Sechstel des BIP. Die portugiesische Quote liegt schon jetzt oberhalb des Wertes, den der IWF für das Gesamtjahr prognostiziert (123). Von einer wirklichen Trendwende könnte erst dann gesprochen werden, wenn die Boote sich allmählich wieder heben, wenn also die Wirtschaft wenigstens nominal kräftig wächst und die Perspektive einer allmählich sinkenden Schuldenstandsquote erkennbar wird.
Schäuble mag Recht damit behalten, dass es keinen weiteren offenen Schuldenschnitt für die Griechen geben wird. Die Europäer finden vielleicht auch andere finanzielle Wege, das hoffnungslos überschuldete Land immer weiter über Wasser zu halten. Es wird dann praktisch dauerhaft unter der Kuratel seiner europäischen Geldgeber leben.
Vielleicht muss man bei Wolfgang Schäuble aber auch einfach nur wieder mal besonders genau hinhören. Vor seiner jüngsten Griechenland-Reise hat er gesagt, es rede niemand von einem weiteren Schuldenschnitt „für die privaten Gläubiger". Den bräuchte es in der Tat nicht. Die meisten griechischen Schulden werden schließlich längst nicht mehr von Privaten gehalten. Die Kreditgeber sind Griechenlands Partnerstaaten. Wenn also doch jemand Forderungen abschreiben muss, dann werden es die europäischen Steuerzahler sein.
Christian Schütte schreibt an dieser Stelle jeweils am Dienstag über Ökonomie und Politik. Seine letzten Kolumnen: Staatsanwälte wählt man nicht, Sag jetzt nichts, und Licht aus Frankreich.
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