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Kommentar Raus aus dem Billionen-Bazooka-Modus

Der Scheck von Donald Trump war nicht die letzte Corona-Hilfe für die Amerikaner
Der Scheck von Donald Trump war nicht die letzte Corona-Hilfe für die Amerikaner
© Levine-Roberts / IMAGO
Für die Bewältigung der Corona-Krise werden immer aberwitzigere Summen aufgerufen - zuletzt in den USA. Zu viel Geld, monieren Kritiker. Tatsächlich müssen sich die Staaten langsam aus dem Billionen-Spiel verabschieden und zur Normalität zurückkehren

Ein Gespenst ist zurück, über dessen Fähigkeit zu spuken wir seit vielen Jahren gerätselt haben: die Inflation. Denn im Grunde ist das Problem seit etlichen Jahren ein anderes: Die Notenbanken versuchen verzweifelt, die Inflation in den angestrebten Korridor von rund zwei Prozent hochzuhieven – vergeblich. Das ist, neben dem Verschwinden des Zinses, das Grundmotiv der Ära des billigen Geldes.

Seit einigen Wochen wird über das mögliche Comeback der Inflation gesprochen und orakelt. In manchen Analysen ganz konkret und alltäglich: In Deutschland etwa ist die Mehrwertsteuersenkung ausgelaufen, der Ölpreis klettert und die CO2-Steuer macht die Energie teurer. Wenn nach dem Ende der Lockdowns nun die Menschen mit all ihrem ersparten Geld – die Sparquote ist 2020 deutlich gestiegen – zurück ins Leben streben und das Geld auf den Kopf hauen, werden die Preise anziehen. Andere, breiter angelegte Analysen sehen mächtigere Kräfte am Werk, ja eine Zäsur aufgrund der demografischen Entwicklung: Die Babyboomer gehen in Rente, es gibt weniger Arbeitskräfte und deswegen werden die Löhne steigen (eine Analyse meines Kollegen Roland Lindenblatt lesen Sie hier ).

In den USA ist nun eine bemerkenswerte Debatte ausgebrochen – bei der es um einen plötzlichen Inflationsdruck und die mögliche Überhitzung der Wirtschaft geht. Bemerkenswert deshalb, weil sie von dem ehemaligen US-Finanzminister Larry Summers angestoßen wurde, dem in der Vergangenheit kein Konjunkturprogramm groß genug war und der seit Jahren für intelligente – will heißen mehr – Schulden trommelt. Das 1,9 Billionen-Paket der neuen US-Regierung unter Joe Biden sei zwar der „kühnste Akt einer makroökonomischen Stabilisierungspolitik in der Geschichte der USA“ , befand Summers. Aber es sei schlicht zu groß, und zwar dreimal so groß wie die Lücke, die es füllen soll.

Überhitzt die US-Wirtschaft

Nach dem 2,2-Billionen-Stimulus im Frühjahr, der aufgestockt wurde, folgte Ende 2020 unter der scheidenden Trump-Regierung nochmal ein Paket in Höhe von 900 Mrd. Dollar. Allein dadurch, so Summers, sinke die Lücke im potenziellen Output der US-Wirtschaft von 50 auf 20 Mrd. Dollar im Monat. Darauf noch mal die Nachfrage von 150 Mrd. Dollar pro Monat draufzupacken – die Folgeeffekte und Multiplikatoren sind dabei noch gar nicht eingerechnet –, sei gefährlich. Zumal die Amerikaner, traditionell ein Volk mit niedriger Sparquote, inzwischen auf 1,5 Billionen Dollar Ersparnissen sitzen. Die amerikanische Wirtschaft könnte in diesem Sommer also schnell überhitzen und die US-Notenbank Fed gezwungen sein, gegenzusteuern und die Zinsen anzuheben, was zu einem Schock auf den Aktien- und Anleihemärkten führen würde.

Natürlich wurde Summers, der vor einigen Jahren den Begriff der „säkularen Stagnation“ prägte, von mehreren Ökonomen angegriffen, zumal es das erste Paket der neuen Finanzministerin Janet Yellen ist. Er bekam allerdings auch Zuspruch von unerwarteter Seite: Der ehemalige IWF-Chefökonom Olivier Blanchard, ebenfalls ein Vordenker der „progressiven“ Staatsverschuldung, zeigte sich genauso skeptisch. Sein Tenor: Es droht nicht nur eine Überhitzung, sondern ein Feuer.

Der Streit ist mehr als nur eine akademische Debatte unter Ökonomen. Seit Ausbruch der Corona-Pandemie haben Staaten in aller Welt Rettungspakete in historischer Dimension verabschiedet, im guten Willen, die Wertschöpfung zu ersetzen, wo sie zwangsstillgelegt wurde – und um Armut und soziale Verwerfungen zu verhindern. Das gesamte Volumen wurde 2020 auf bis zu 20 Billionen Dollar weltweit geschätzt.

Nun stellen sich einige Fragen: War das vielleicht zu viel? Oder wird es irgendwann zu viel? Oder sollten die Staaten, wenn ab Sommer hoffentlich der Aufschwung einsetzt, weil in vielen Staaten ein Großteil der Menschen geimpft sein wird, ihre Programme zurückfahren? Oder zumindest keine neuen auflegen?

Das Nervenkostüm ist angespannter als der Geldbeutel

Für Deutschland scheint diese Debatte derzeit nicht so drängend, weil das Wirtschaftsministerium gerade stolz die Software für die Dezember-Hilfen (!) freigeschaltet hat. Wir haben uns zwischen den Überbrückungshilfen I und III verheddert. Unternehmer und Mittelstand klagen , während Peter Altmaier und Olaf Scholz ihren Bazooka-Evergreen („schnell und unbürokratisch“) schmettern. Ein großer Teil des deutschen Konjunkturpaketes ist zudem langfristig angelegt, da geht es um Investitionen etwa in Wasserstoff oder Batterietechnik. Eine Überhitzung in den USA und ein Kurswechsel der amerikanischen Notenbank hätten allerdings immense Folgen für die gesamte Weltwirtschaft.

Auch in Deutschland können wir nach einem Jahr Corona-Pandemie feststellen, dass die wirtschaftlichen Verwerfungen zwar erheblich sind, aber nicht so verheerend wie befürchtet. Die Kurzarbeit hat erneut Millionen Einkommen stabilisiert, die Sparquote ist auf Rekordniveau, auch der Konsum war 2020 erstaunlich robust. Gelitten haben vor allem sehr viele Selbstständige, Kleinunternehmer und Mittelständler, und hier die bekannten Branchen: Gastronomie, Kultur, Reise. Der Export brummte im Dezember wieder.

Anders gesagt: Es ist schön, dass die Menschen nun erneut einen Kinderbonus bekommen, der letztes Jahr auch freudig ausgegeben wurde und seine konjunkturelle Wirkung entfaltet hat . Er wird vielen, vor allem sozial schwachen Familien helfen. Aber die drängendere Frage ist für die meisten, wann die Schulen wieder öffnen. Das Nervenkostüm ist bei vielen angespannter als der Geldbeutel.

Die Lehre aus der letzten Finanzkrise 2008/2009 war, dass es gefährlich ist, wenn Staaten und Notenbanken zu früh ihre Hilfen zurückfahren. Diese Krise aber ist nicht wie die Finanzkrise, weil Infektion und Ansteckung nicht vom Finanzsystem ausgingen.

Nun sollten Regierungen, allen voran die der USA, langsam aus dem Billionen-Bazooka-Modus umschalten, und sich auf die Zeit nach Corona vorbereiten. Es geht nicht um neue Hilfsprogramme, die inzwischen ja auch nur noch reflexhaft in dreistelliger Milliardenhöhe ausgerufen werden. Sondern um eine Normalisierung, ja auch den Rückzug des Staates – und gezielte Hilfen, wenn etwa die Insolvenzwelle richtig losrollt. Und in Deutschland und Europa geht es vor allem darum, dass die bestehenden Hilfsprogramme tatsächlich mal fließen, wirken und genutzt werden.

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