Jim O’Neill hat als einer der Ersten den Boom der großen Schwellenländer erkannt und für diese Gruppe das Kürzel BRIC (Brasilien, Russland, Indien, China) geprägt. Der in Manchester geborene Ökonom arbeitete fast 20 Jahre bei Goldman Sachs.
Was für ein wilder Januar, was für außergewöhnliche Finanzmärkte. Aber die außergewöhnlichste Bewegung von allen ist der Höhenflug des Schweizer Franken.
Ich bin seit bald 35 Jahren im Finanzgeschäft und habe einen großen Teil der Zeit an Devisenmärkten verbracht. Ich denke, der Franken hat eine der größten absoluten Kursänderungen seit Jahrzehnten erlebt, vergleichbar mit dem Ausstieg des Pfunds aus dem Europäischen Währungssystem (EWS) 1992, dem Dollar-Fall nach dem Plaza-Abkommen 1985 und der Erholung des Yen 1998, nachdem die USA ihre Haltung zu Interventionen änderten.
Sein 35-Prozent-Plus in der Stunde nach dem Schweizer Abschied vom 1,20-Euro-Mindestkurs war vermutlich die größte Bewegung einer liquiden Währung seit dem Ende von Bretton Woods. Während aber andere Bewegungen meist zum Vorteil des Landes waren, das sie auslöste, ist hier schwer zu erkennen, wie dieser Anstieg gut für die Schweiz sein kann.
Harte Zeiten für Uhren- und Schokoladenhersteller
Für die Realwirtschaft könnte er desaströs werden, besonders für die Exporteure, aber auch für den Handel in den Grenzregionen. Die Schweiz ist eine extrem offene Wirtschaft, umgeben von den drei größten Euroländern Deutschland, Frankreich und Italien. Diese sind die größten Exportmärkte der Schweiz, und von dort kommen natürlich oft ihre wichtigsten Wettbewerber.
Weil der Franken seit Langem stark ist, kann sich die Schweiz nur auf Exportbranchen mit höchster Wertschöpfung konzentrieren – Präzisionsuhren etwa. In der Autoindustrie wäre sie chancenlos. Jetzt wird das Leben aber auch für scheinbar bombensichere Branchen sehr viel härter – einschließlich Uhren und vielleicht sogar Luxusschokolade.
Hinzu kommt etwas, das viele unterschätzen: Bleibt das Öl billig, schmälert das vermutlich den Kapitalzustrom aus Förderländern, von Russland über Nahost bis Afrika.
Bisher ist das natürlich noch nicht so, denn sonst wäre es für die Schweizer Nationalbank (SNB) einfacher, die Aufwertung des Franken abzuwehren. Vermutlich empfand sie die monetären Kosten ihrer Interventionen als zu hoch und war besorgt wegen der Geldpolitik der EZB.
Tatsache ist aber auch, dass sie gezwungen war, negative Zinsen einzuführen. Und falls sie sich Sorgen über eine zu extreme unorthodoxe Politik gemacht hat, die sie zwang, riesige Devisenreserven aufzubauen, dann muss sie jetzt eine andere unorthodoxe Politik betreiben, die noch extremer werden kann.
Franken um 40 Prozent überbewertet
Da fragt man sich schon, ob sie vielleicht über diese Reserven als solche besorgt war: Vielleicht störte die SNB nicht nur ihre monetäre Expansion. Sondern sie sieht die Zukunft des ganzen Europrojekts besonders negativ und befürchtet, am Ende zu viele Anlagen in einer Währung zu halten, deren Emittenten Probleme haben dahinterzustehen.
Jedenfalls hat sie nun einen Franken, der nach Schätzungen, die ich respektiere, um 40 Prozent oder mehr überbewertet ist. Sie hat ein Riesenproblem und muss etwas tun.
Wahrscheinlich hofft sie, dass die Grexit-Angst verfliegt. Sinkt der Franken dann aber nicht von selbst, muss sie radikalere Schritte prüfen. Vielleicht Minuszinsen von zehn Prozent, damit Anleger merken, dass ein Halten von Franken wirklich bestraft wird. Oder etwas gänzlich Unschweizerisches: Kapitalverkehrskontrollen, die etwa einströmendes Geld für zwei Jahre im Land binden. Außergewöhnliche Zeiten verlangen außergewöhnliche Maßnahmen.
Jim O'Neill gehört neben Heleen Mees (Niederlande), David McWilliams (Irland) und Michael Pettis (USA) zu unserem Ökonomischen Quartett. Jeden Monat schreibt bei Capital einer dieser vier Ökonomen. Sie stammen aus verschiedenen Ländern, und jeder hat damit eine andere Perspektive auf die Welt.
Der Beitrag von Jim O'Neill erschien zuerst in der aktuellen Capital. Hier können Sie sich die iPad-Ausgabe der neuen Capital herunterladen. Hier geht es zum Abo-Shop, wenn Sie die Print-Ausgabe bestellen möchten.