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deutsche Konjunktur Ökonom Lars Feld: „Wir sind weit weg vom Untergang des Abendlandes“

Lars Feld, 56, ist Leiter des Freiburger Walter Eucken Instituts und war bis 2021 Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
Lars Feld, 56, ist Leiter des Freiburger Walter Eucken Instituts und war bis 2021 Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
© IMAGO/Ipon
Schlechte Prognosen, aber immerhin kein Einbruch im zweiten Quartal. Wie es um die deutsche Wirtschaft wirklich steht, und warum er nichts von den Milliardensubventionen hält, erklärt Spitzenökonom Lars Feld im Interview

Capital: Herr Feld, wenn man zurzeit die Schlagzeilen rund um die deutsche Wirtschaft liest, dann bekommt den Eindruck, Deutschland stehe vor der De-Industrialisierung. Wie schlimm ist die Lage aus Ihrer Sicht wirklich? 
LARS FELD: So langsam nervt die Hysterie. Die Diskussion war schon im März übertrieben, als wir eine technische Rezession von zwei negativen Quartalen in Folge feststellten. Wir haben eine schwache Wirtschaftsentwicklung, ja – aber allenfalls eine moderate Rezession. Dies ist kein schwerer Einbruch wie in der Finanz- oder Coronakrise. An der aktuellen Wirtschaftslage gibt es nichts zu beschönigen, aber wir sind weit weg vom Untergang des Abendlandes. Im Grunde befinden wir uns seit Monaten in der Stagflation. Das heißt: Wir haben ein schwaches Wirtschaftswachstum und hohe Inflation. Alleine weil die Inflation mit höheren Zinsen bekämpft werden muss, trübt sich die Konjunktur ein. Genau das ist von der Geldpolitik gewünscht. Insofern sollte niemand überrascht sein.  

Die höheren Zinskosten haben andere Länder doch auch. Warum trifft es Deutschland so hart? 
In Deutschland kommt ein kräftiger Strukturwandel hinzu. Der ist immer mit Unsicherheiten verbunden und führt dazu, dass Investoren ihr Geld aktuell lieber zurückhalten oder im Ausland investieren. Das hat weniger mit den Energiekosten zu tun – auch wenn Lobbyisten gerne so tun und nach Subventionen schreien –, sondern viel mehr mit dem Strukturwandel in der internationalen Arbeitsteilung – weil sich Unternehmen wegen politischer Risiken aus einzelnen Ländern zurückziehen. Das China-Geschäft läuft eben nicht mehr so gut.

In dieser Woche waren mit dem Ifo-Geschäftsklimaindex, der Höhe der Firmenkredite und der IWF-Prognose gleich drei wichtige Konjunkturindikatoren stark negativ. Ist das kein Warnzeichen?
Natürlich müssen wir uns Gedanken machen. Die Zahlen passen in das Bild eines stagflationären Umfelds, der Rückgang der Firmenkredite insbesondere zur restriktiveren Geldpolitik. Klar ist aber, dass Dynamik fehlt; das zeigt sich nicht zuletzt in den genannten Erwartungsindikatoren. Auch die Prognose der Bundesregierung ist aus meiner Sicht noch zu optimistisch. Ich wäre vorsichtiger, beim Wirtschaftswachstum 2024 wirklich eine eins vor dem Komma zu sehen.  

Welche Zahlen nehmen Sie vor allem in den Blick? 
Ich schaue mir alles an. Interessant ist aktuell der Arbeitsmarkt, der traditionell ein nachlaufender Konjunkturindikator ist. Die Konjunkturschwäche schlägt sich dort langsam nieder. Es bleibt abzuwarten, was dies vor dem Hintergrund struktureller Bedingungen bedeutet.

Bislang war der Arbeitsmarkt erstaunlich robust, weil viele Firmen Angst hatten, nach der Krise kein geeignetes Personal wiederzufinden. Sehen wir jetzt tatsächlich mal wieder Arbeitslosigkeit auf breiter Basis? 
Dafür sind die strukturellen Bedingungen eigentlich nicht gegeben – allein durch die demografische Entwicklung, die ab 2025 richtig zuschlagen wird, aber auch durch Corona-geschwächte Branchen, die immer noch mit Personalengpässen zu kämpfen haben. Ich erwarte daher insgesamt keinen kräftigen Einbruch am Arbeitsmarkt, aber trotzdem einen spürbaren Effekt. In der Baubranche wurde ständig von Arbeitskräftemangel geredet, dabei war das eine Überauslastung der Kapazitäten. Jetzt ist sie unterausgelastet und es gibt wieder Handwerker. Das zeigt, wie sich der Arbeitsmarkt drehen kann. 

Ein Grund für die geringe Arbeitslosigkeit ist auch die Reallohnentwicklung. Weil die Löhne nicht im gleichen Maß wie die Inflation steigen, können Firmen ihre Mitarbeiter halten. Manche Ökonomen meinen nun, dass steigende Löhne auch die deutsche Konjunktur stützen könnten, weil die Menschen dann mehr konsumieren. Würden Sie unterschreiben? 
Nein, von dem Argument habe ich noch nie viel gehalten. Steigende Löhne sind höhere Kosten für Unternehmen. Das heißt auch, dass Unternehmen ihre Inflationserwartung nach oben anpassen, was wiederum die echte Inflation nach oben treibt. Wir sehen zum Glück, dass die Lohnentwicklung noch immer einigermaßen moderat ist, und: die Firmen nutzen steuerfreie Einmalzahlungen, die nicht dauerhaft in der Lohnskala bleiben.  

Was kann die Bundesregierung denn tun, damit die Dynamik zurück in die Wirtschaft kommt? 
Als Ordnungsökonom sage ich natürlich: Sie muss die richtigen Rahmenbedingungen setzen. 

Und das heißt? 
Das heißt, sie muss die Kostenseite der Unternehmen in den Blick nehmen. Die Vorstellung, dass Unternehmen ohnehin immer investieren, ist schlicht falsch. Unternehmen investieren, wenn sie eine ordentliche Nettorendite sehen und zu diesem Kalkül gehört auch die Kostenseite. Und hier ist Deutschland regelmäßig in der Spitzengruppe. Wir haben mit die höchsten Arbeitskosten, Lohnnebenkosten und Energiekosten, aber auch eine hohe Steuerbelastung und nicht zuletzt hohe Kosten der Regulierung.  

Wo ließe sich am ehesten ansetzen? 
An den Arbeitskosten realistischerweise kaum. Da wird die Demografie den Arbeitnehmern in die Karten spielen. Bei den Lohnzusatzkosten deswegen ebenfalls nicht. Da können wir froh sein, wenn irgendwann mal Reformen der Sozialversicherungen kommen und die Beitragssätze unter Kontrolle bleiben. Bei den Energiekosten erwarte ich angesichts des erforderlichen Klimaschutzes auch keine große Verbesserung. Also muss man an den anderen beiden Punkten ansetzen. 

Der Steuerbelastung und den Regulierungskosten… 
Ja, über Steuern ließen sich viele Kosten reduzieren. Das ist bekannt. Aber gerade bei den Regulierungskosten ist die Entwicklung zuletzt besorgniserregend gewesen – und es ist ein Punkt, über den die Unternehmen aus meiner Sicht zurecht klagen. Die Kosten sind unglaublich hoch geworden. Gleichzeitig sehe ich hier eine großes Potenzial, weil der Abbau ja sogar Teil des Koalitionsvertrags ist. 

Stichwort: Bürokratieentlastungsgesetz. 
Ja, ein schöner Name. Aber manch einer in der Bundesregierung begreift noch gar nicht, inwieweit die Kosten auf die Komplexität der Regeln zurückgehen. Dabei ist das enorm. Ich brauche für jedes Gesetz mehr Personalstunden – sowohl in den Firmen als auch in der Verwaltung. Und es geht nicht nur um die Anzahl der Regeln, sondern auch darum, wie kompliziert ich sie gestalte. Eigentlich müssen wir die Regeln ändern, aber darüber wird zu wenig gesprochen.  

Woran denken Sie? 
Zum Beispiel ans sogenannte Deutschlandtempo bei den LNG-Terminals. Wenn man die Umweltverträglichkeitsprüfung aussetzt oder abschwächt, dann muss man sich nicht über das erreichte Tempo wundern. Mit anderen Worten: Staatliche Investitionen sind deswegen gehemmt, weil wir im Hinblick auf die Umweltverträglichkeit überzogen haben. Entweder wir setzen auf Infrastrukturausbau für die Transformation zur Klimaneutralität oder wir setzen auf weitgehenden Umwelt- und Lärmschutz. Beides zusammen geht nicht. Man muss diesen Zielkonflikt lösen, und das ist Aufgabe der Politik.  

Unternehmen sollen anstelle einer „Superabschreibung“ nun für bestimmte Klimaschutzinvestitionen eine staatliche Unterstützung erhalten. Was macht den Vorschlag aus Ihrer Sicht interessant? 
Bundesfinanzminister Lindner hat hierfür mit seiner Investitionsprämie für den Klimaschutz einen kompromissfähigen Aufschlag gemacht. Der Unterschied ist: Eine Superabschreibung kann ich nur tätigen, wenn ich Gewinne mache. Ansonsten lohnt sich eine Abschreibung natürlich nicht. Eine Investitionsprämie gibt es auch für Unternehmen, die Verluste schreiben. Dazu gibt es noch eine erweiterte Forschungsförderung, die ebenfalls kompromissfähig sein dürfte. Ein Problem sehe ich noch bei der Verlustverrechnung und der Thesaurierungsbegünstigung. Da erhoffe ich mir angesichts der aktuellen Konjunkturschwäche ein Einsehen in der Regierung. 

Sie haben vorhin einen Zielkonflikt zwischen Wirtschaftswachstum und Umweltschutz angesprochen. Die Bundesregierung sieht hingegen enormes Wachstumspotenzial durch grüne Technologien. Sie etwa nicht? 
Ich beziehe mich auf den Konflikt zwischen Infrastrukturausbau und Umweltschutz. Der macht sich fest am Umbau Richtung Klimaneutralität. Für diese Transformation benötige ich den Infrastrukturausbau – die Möglichkeit für Unternehmen und den Staat, hier Investitionen zu tätigen. Über den Artenschutz lässt sich eine geplante Bahnstrecke verzögern oder gar verhindern. So etwas ist fatal. Wir werden mit den aktuellen Vorschriften das erforderliche Tempo beim Klimaschutz nicht erreichen. Dafür müssen wir Abstriche beim Umweltschutz machen. Ob sich Wachstum durch grüne Technologien erreichen lässt, ist eine ganz andere Frage.  

Und wie lautet Ihre Antwort darauf? 
Man kann von der Transformation nur dann einen Wachstumsimpuls erwarten, wenn damit Innovationen einhergehen. Anders gewendet: Wenn ich einen bestehenden Kapitalstock habe, der mit fossiler Energie eigentlich gut läuft, und diesen nur durch einen Kapitalstock mit grüner Energie ersetze, ändert sich nicht viel. Rein rechnerisch erhöht dies das Bruttoinlandsprodukt allenfalls durch Einmaleffekte.  

Wir brauchen also Innovationen in Deutschland… 
Ja, ganz dringend. Wenn die Innovationen im Ausland entstehen, ist durch die grüne Transformation vielleicht etwas für den Klimaschutz, nicht aber für das Wirtschaftswachstum gewonnen.  

Viele Unternehmen und Branchen wissen das und lobbyieren für Subventionen. Sei es in der Solarbranche oder auch in der Chipindustrie, wo Intel zuletzt 10 Mrd. Euro bekommen hat. Ist das der richtige, weil notwendige industriepolitische Weg – oder führt er geradewegs in einen Subventionswettlauf, in dem der Staat ausgenommen wird? 
Wir befinden uns schon im Subventionswettlauf. Wenn wir uns anschauen, was wir in den vergangenen Jahrzehnten für grüne Technologien an Subventionen gezahlt haben, etwa durch das EEG, das gar nicht durch den Haushalt gelaufen ist, dann lässt das keinen anderen Schluss zu. In der Summe war das viel, viel höher als das, was die Amerikaner jetzt für den „Inflation Reduction Act“ (IRA) ausgeben. Allein die Beträge, die durch das „Next Generation EU“-Paket laufen, sind in ihrem Volumen ähnlich. Die USA haben mit ihrem IRA eigentlich auf uns reagiert. Und bei uns laufen jetzt die Diskussionen, dass wir eine Gegenmaßnahme auf den IRA brauchen. Das ist ein klassischer Subventionswettlauf, von dem ich nichts halte. Ich rate dringend dazu, alte Industrien nicht beim Umbau ihres Kapitalstocks zu subventionieren – wie es zuletzt bei Thyssen-Krupp passiert ist. Dass trotzdem alle nach Subventionen rufen, ist angesichts der expansiven Politik der letzten Jahre logisch. Wenn das Geld freigiebig verteilt wird, halten alle die Hand auf. Ich meine: Die Bundesregierung sollte dem ein Ende setzen.  

Dann lässt sich schon erahnen, was passiert: Unternehmen werden drohen, das Land zu verlassen. Sind das nur Erpressungsversuche oder reale Szenarien? 
Ich würde weder das eine noch das andere sagen. Die Horrorszenarien, die von Seiten der Wirtschaft aufgemacht werden, halte ich für übertrieben. Man muss schon sehen, dass Unternehmen wie BASF nach China gegangen sind, weil sie den Markt bedienen wollen – nicht, weil die Energiekosten dort so niedrig sind. Dass Unternehmen Subventionen wollen, ist verständlich. Als Bundesregierung muss man dem aber nicht nachgeben. Ich rate dazu, bei den Rahmenbedingungen anzusetzen – Steuern runter und Regulierung vereinfachen. Damit hätten wir allgemein verbesserte Bedingungen anstatt teurer Subventionen für spezifische Unternehmen und spezifische Aktivitäten.  

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