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Haushaltskrise Sozialausgaben kürzen? Der Ökonom Achim Truger hält das für eine schlechte Idee

Porträtaufnahme von Achim Truger vor einer blauen Wand
Kürzungen bei Sozialausgaben würden nicht nur zu „ernsten sozialen Problemen“ führen, sondern sie wären auch schlecht für die Wirtschaft, sagt Ökonom Achim Truger
© IPON / IMAGO
In der Haushaltskrise überschlagen sich die Forderungen nach Kürzungen bei den Sozialausgaben. Für das Mitglied im Sachverständigenrat Wirtschaft, Achim Truger, wäre das der falsche Weg

Achim Truger

Der Professor für Sozioökonomie ist Mitglied im „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“. Und damit einer von fünf sogenannten Wirtschaftsweisen, die die Regierung in Wirtschaftsfragen beraten. Truger lehrt und forscht an der Universität Duisburg-Essen.

Herr Truger, 17 Milliarden fehlen im Haushalt 2024, sagt Finanzminister Lindner. Wo soll die Regierung die am besten einsparen?  
Das ist die falsche Diskussion. Das Geld, das durch das Urteil aus Karlsruhe in den nächsten Jahren nicht mehr zur Verfügung steht, war für kreditfinanzierte Investitionen gedacht. Die finanziert die Ampel am besten, indem sie einen Weg findet, wie sie Kredite dafür aufnehmen kann. Ich denke an eine Reform der Schuldenbremse oder eine Art „Klimasondervermögen“. Ähnlich wie es bereits das Sondervermögen für die Bundeswehr gibt, das mit den Stimmen der Union im Grundgesetz verankert wurde.  

Das wäre wohl auch SPD und Grünen am liebsten. Aber diesmal sperrt sich die Union. Und auch die FDP will, dass die Ampel mit dem vorhandenen Geld besser haushält.  
Wenn die Regierung Geld einsparen will, sollte sie auf die klimaschädlichen Subventionen schauen. Deren Abschaffung ist im Koalitionsvertrag bereits angekündigt. Kürzt die Ampel aber tatsächlich bei den Sozialausgaben, wie das einige nun fordern, führt das nicht nur zu ernsten sozialen Problemen, es wäre zudem schlecht für die Wirtschaft. 

Das müssen Sie erklären. 
Die Finanzpolitik für das kommende Jahr war ohnehin schon restriktiv ausgerichtet. Wenn man nun im sozialen Bereich kürzt, setzt man einen zusätzlichen restriktiven Impuls. Dadurch wird es wahrscheinlicher, dass die Regierung die Wirtschaft in eine Rezession stürzt. Wir brauchen Investitionen in der Höhe, wie sie der Klima- und Transformationsfonds und der Wirtschaftsstabilisierungsfonds vorsahen. Wenn die wegfallen, sinkt das Wirtschaftswachstum um 0,9 Prozentpunkte. 

Es gibt zahlreiche Vorschläge für Kürzungen bei den Sozialausgaben. Die kommen längst nicht nur von Union und FDP, sondern auch von anderen Wirtschaftswissenschaftlern. 
Was wir im Moment beobachten, ist ein großes Spiel mit dem Namen „Was ich schon immer mal sagen wollte“. Viele nehmen das Urteil aus Karlsruhe als einen Vorwand für Kürzungsvorschläge, die sie davor auch schon vorgeschlagen haben.  

Sind die Ideen denn alle so falsch?  
Manche Vorschläge kann man diskutieren. Sie würden uns bloß in der jetzigen Situation mit einem akuten Loch im Haushalt nicht weiterhelfen. Andere Vorschläge hätten jedoch massive negative Auswirkungen auf die Ärmsten der Gesellschaft. Und das zeigt die Absurdität der ganzen Debatte: Weil sich die Regierung total verhauen hat mit der Finanzierung von klimafreundlichen Investitionen sollen das nun arme Rentnerinnen und Rentner ausbaden?  

Ihre Kollegin im Gremium der Wirtschaftsweisen, Veronika Grimm, hat sich für Kürzungen auch bei den Renten ausgesprochen. Sie findet, man könnte die Rente ab 63 oder die Mütterrente zur Disposition stellen. 
Jeder kann Vorschläge machen. Ich halte diese Kürzungen aber nicht für empfehlenswert. Diese Ideen sind doch unausgegorene Schnellschüsse. Für Rentenanpassungen gibt es gültige Regeln, die man nicht zur kurzfristigen Haushaltssanierung außer Kraft setzen sollte. Bei der Mütterrente kommt hinzu, dass sie gegen Altersarmut wirkt. Kürzt man da, hätte das im untersten Einkommensbereich besonders starke negative Auswirkungen. Das würde die Armutsrisikoquote erhöhen und letztlich mehr Menschen in die Grundsicherung treiben. Das würde den Staat also an anderer Stelle belasten. Außerdem gibt es bei beiden Vorschlägen ein instrumentelles Problem: Diese Renten werden vor allem aus Beiträgen bezahlt. Streicht man sie, würde man zwar die Beitragszahler entlasten, aber gar nicht so stark im Bundeshaushalt sparen. 

Dennoch fließt der größte Teil der Sozialausgaben in die Rente. Rund 100 Mrd. Euro zahlt der Bund pro Jahr als Zuschuss an die gesetzliche Rentenversicherung. Müsste man da nicht dran?  
Das kann man so fordern, aber was ist die Konsequenz? Natürlich könnte man den Bundeszuschuss einfach reduzieren. Aber dann müssen auf der anderen Seite die Beiträge steigen. Ich denke, das hilft uns nicht weiter.  

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Dann schauen wir aufs Bürgergeld. Die Union stört sich an dessen Anhebung zum Jahresbeginn 2024 um 12,6 Prozent. 
Das ist aus meiner Sicht Populismus, reiner Theaterdonner. Dem Mechanismus, der das Bürgergeld schneller an die Inflation anpasst, hat die Union selbst zugestimmt. Davon abgesehen sind beim Bürgergeld verfassungsrechtlich enge Grenzen gesetzt, es sichert das Existenzminimum. Da kann man nicht so einfach kürzen. 

Man könnte die Kindergrundsicherung nicht einführen?  
Es sollte ein wesentliches Anliegen sein, Kinderarmut zu begrenzen. Wenn man ernsthaft will, dass mehr Menschen die Leistungen erhalten, die ihnen eigentlich zustehen, sollte man die Einführung der Kindergrundsicherung nicht verhindern. Außerdem soll sie erst 2025 kommen, ihre Streichung würde im Haushalt 2024 also überhaupt nicht helfen. 

In den vergangenen Wochen gab es massive Kritik an der Ausgestaltung der Kindergrundsicherung, nicht nur aus den Kommunen, auch vom Bundesrechnungshof und von der Agentur für Arbeit, die einen maßgeblichen Teil davon umsetzen soll. 
Natürlich muss man eine möglichst effiziente Ausgestaltung finden. Die Frage nach den Schnittstellen ist komplex und wird noch ausdiskutiert. Die Kindergrundsicherung deswegen insgesamt in Frage zu stellen, halte ich aber für unangebracht.  

Halten wir kurz fest: Man sollte nicht im Sozialbereich kürzen, aber eine Reform der Schuldenbremse oder ein neues, im Grundgesetz verankertes Sondervermögen sind derzeit politisch blockiert. Was soll die Ampel also tun?  
Wenn die Politik keine zusätzlichen Kredite aufnehmen will oder kann, muss sie auf die Einnahmenseite schauen. Ein „Klimasoli“, ähnlich wie der jetzige Solidaritätszuschlag, könnte dabei helfen, Klimaprojekte zu finanzieren. Natürlich könnte man alternativ auch die Energiesteuern oder den CO2-Preis anheben. Das wäre aus ökologischer Perspektive gut, ökonomisch jedoch auch eine Belastung. Fest steht: Wir dürfen jetzt nicht bei den Investitionen sparen. Das rächt sich in der Zukunft.

Das Interview ist zuerst bei stern.de erschienen

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