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Reformvorschlag So könnte sich Arbeit wieder mehr lohnen

Friseur
Viele Friseure arbeiten für einen niedrigen Lohn
© Uwe Anspach / Picture Alliance
Finanziell lohnt es sich nicht für alle Menschen, Vollzeit zu arbeiten. Das hat eine Studie im Auftrag der Bundesregierung ergeben. Die Forscher machen auch einen Vorschlag, das zu ändern

Lohnt sich Arbeit noch?

Ja, wer in Deutschland arbeitet, hat mehr als jemand, der nicht arbeitet. Aber nicht immer lohnt es sich, mehr zu arbeiten. Das liegt daran, dass Menschen mit geringem Einkommen staatliche Unterstützungsleistungen wie das Wohngeld oder ein Kinderzuschlag zustehen. 

Erhöhen diese Menschen die Zahl ihrer Arbeitsstunden und verdienen dadurch mehr Geld, riskieren sie, diese Leistungen nicht mehr zu erhalten, weil ihr Gehalt nun zu hoch ist. Der finanzielle Anreiz, mehr zu arbeiten, geht verloren. 

Das hat eine Untersuchung ergeben, die die Wirtschaftsforschungsinstitute Ifo und Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung für das Bundesministerium für Arbeit und Soziales durchgeführt haben. Die Studie ist noch nicht veröffentlicht, liegt Capital und Stern aber vor.

Wie ließe sich das ändern?

Die Forscher wollen, dass es sich lohnt, mehr zu arbeiten. Sie empfehlen, dass Menschen länger Anspruch auf staatliche Leistungen erhalten, auch wenn ihr Gehalt steigt. Die Einkommensgrenze für bestimmte Leistungen soll dazu nach oben verschoben werden. 

Bürgergeldempfänger könnten somit mehr arbeiten, ohne dass ihnen das Bürgergeld stark gekürzt wird. So könnten durch die Reform Menschen bis zu 2000 Euro verdienen und nur 70 Prozent davon würden auf das Bürgergeld angerechnet. Ein Single, der 1.500 Euro verdient, hätte dadurch 478 Euro mehr, als wenn er nicht arbeiten würde. Aktuell sind es lediglich 398 Euro.

Auch die Zuverdienstgrenzen für den Kinderzuschlag (eine Familienleistung für Geringverdiener) sollten angehoben werden, empfehlen die Forscher. Eine Alleinerziehende, die brutto 2000 Euro im Mont verdient, hätte bei einem Gehalt von 3000 Euro künftig 328 Euro mehr – zurzeit würde ihr Nettoverdienst dann nur um 60 Euro steigen. 

Ist das nicht ziemlich teuer?

Ja, durch die Reform bekämen mehr Menschen Geld vom Staat. Das kostet Geld. Die Forscher gehen aber davon aus, dass der Staat im Gegenzug höhere Einnahmen hätte: Die besseren Anreize könnten zu einem deutlichen Anstieg der geleisteten Arbeitsstunden führen, eine Summe, die bis zu 165.000 Vollzeitstellen entspricht. Durch die zusätzlichen Steuern und Sozialabgaben könnte der Staat die Mehrausgaben ausgleichen.

Wieso sollen Menschen überhaupt mehr arbeiten?

In vielen Berufen herrscht ein großer Mangel an Beschäftigen. Gleichzeitig steigt kontinuierlich der Anteil der Menschen in Teilzeit. Laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung arbeiteten im dritten Quartal 2023 39,2 Prozent aller Beschäftigten in Teilzeit – so viele wie nie zuvor. Wenn der Staat Menschen dazu bringen möchte, mehr zu arbeiten, muss er sich also Gedanken darum machen, ob sich das für sie auch lohnt.

Was hat das mit der Kindergrundsicherung und dem Bürgergeld zu tun?

Bürgergeld und Kindergrundsicherung sind die zwei großen sozialpolitischen Maßnahmen, die sich die Ampelkoalition zu Beginn ihrer Regierungszeit vorgenommen hatte.

Mit Einführung des Bürgergelds hatte die Regierung die Zuverdienstgrenzen bereits angepasst, so dass Menschen länger Bürgergeld erhalten – auch wenn sie arbeiten. Sie hat aber auch vereinbart, die Erwerbsanreize nochmal genauer untersuchen zu wollen. Der Bericht ist nun das Ergebnis dieser Untersuchung.

Die Kindergrundsicherung ist noch nicht eingeführt und die Regierungsparteien streiten um sie. Von Seiten der FDP hieß es, man wolle den nun vorliegenden Bericht abwarten, bevor man sich entscheidet, in welcher Form sie kommt, um keine Fehlanreize zu setzen.

Die grundsätzliche Schwierigkeit, besteht darin, dass die Reform zweierlei vermeiden soll: dass der Staat mehr zahlen muss. Und dass Menschen Leistungen gestrichen werden, die ihnen bisher zustehen. Statt die Leistungen für Geringverdiener auszubauen, könnte man auch die Leistungen für Bürgergeld-Empfänger reduzieren, so dass der sogenannte Lohn-Abstand größer ist. Das lehnt die Koalition aber mehrheitlich ab. 

Und nun?

Nun wird zunächst das Arbeitsministerium den Reformvorschlag prüfen. Die zuständige Staatssekretärin Annette Kramme äußerte bereits Skepsis, was die Folgen einer solchen Reform angeht. 

Dieser Text erschien zuerst bei stern.de.

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