Zum deutschen WM-Sieg wehten in Washington deutsche Flaggen. Die Botschaften Deutschlands und Argentiniens hatten zum Endspiel in die National Portrait Gallery eingeladen. Im Publikum jubelten auch viele Amerikaner, als kurz vor Schluss das erlösende Tor fiel. In den Bars ringsum wurde mit so manchem Glas Hefeweizen und so mancher Bratwurst gefeiert.
Deutscher Sport, deutsche Autos, deutsches Essen: Die Amerikaner mögen uns – und das Interesse an Deutschland ist in den USA in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Vielen gelten wir sogar politisch als Vorbild, etwa wenn es um Gesundheitsversorgung, Energiepolitik oder Arbeitsmarktgesetze geht. So beliebt wie heute waren wir in Amerika noch nie.
In Deutschland hätte man in diesen Tagen umgekehrt sicher weniger Lust, sich mit den Amerikanern über einen Triumph zu freuen. Die Deutschen erfuhren am amerikanischen Unabhängigkeitstag am 4. Juli von dem mutmaßlichen CIA-Spion beim BND. Das Misstrauen gegen die Weltmacht ist auf einen neuen Höhepunkt geklettert. „Du wirst verstehen, dass wir Dich unter den gegenwärtigen Umständen nicht in den USA besuchen wollen“, schreibt ein deutscher Freund. So unbeliebt wie heute war Amerika seit dem Irak-Krieg nicht.
Die USA brauchen Deutschland
Die deutsche Aufregung trifft auf der anderen Seite des Atlantiks auf Unverständnis. „Es ist doch normal, dass Länder einander ausspionieren“, sagen amerikanische Freunde achselzuckend. Etwas anderes anzunehmen sei doch naiv. So sahen das offenbar auch US-Präsident Barack Obama und seine Berater nach dem Ausbruch des NSA-Skandals – und hofften, dass die Deutschen sich schon wieder beruhigen würden. Ein kolossaler Irrtum, der für beide Seiten unangenehme Folgen hat.
Deutschland braucht die USA wie eh und je, ist auf die Zusammenarbeit des Militärs und ja, auch der Geheimdienste, angewiesen. Die USA brauchen Deutschland mehr als je zuvor – als größte Wirtschaftsmacht in Europa und als belastbaren Partner, der in Osteuropa und im Nahen Osten Verantwortung übernehmen kann. Zu einem Zeitpunkt, da Washingtons Beziehungen sowohl zu Russland als auch zu China auf einem Tiefpunkt sind, kann es sich die Obama-Regierung nicht leisten, auf Bundeskanzlerin Angela Merkel als Brückenbauerin zu verzichten.
Obama hat Merkel umgekehrt keine Brücke gebaut. Nachdem im Herbst bekannt geworden war, dass der Geheimdienst NSA das Handy der Kanzlerin abgehört hatte, bemühten sich deutsche Regierungsvertreter vergeblich um eine Geste aus Washington. Der deutsche Wunsch nach einem „No-Spy-Abkommen“, einer Zusage unter Verbündeten, sich gegenseitig nicht auszuspionieren, wurde ignoriert.
Merkel - Glücksfall für Washington
Nun soll die Obama-Regierung Deutschland nach einem Bloomberg-Bericht doch noch einen „No-Spy-Deal“ angeboten haben – allerdings offenbar erst wenige Stunden, bevor die Bundesregierung den CIA-Repräsentanten in Berlin bat, Deutschland zu verlassen. Angela Merkel blieb in der aufgeheizten Atmosphäre nichts anderes übrig , als auf Distanz zu den USA zu gehen.
Ausgerechnet sie. Merkel ist eigentlich ein Glücksfall für Washington: Geprägt durch ihre DDR-Vergangenheit ist sie genau wie Bundespräsident Joachim Gauck amerikafreundlicher als der deutsche Durchschnitt. Wegen dieser Vergangenheit schrecken jedoch beide Politiker beim Thema Spionage zurück.
Die Geheimdienst-Zusammenarbeit ist ein komplexes Thema. Dennoch hätte Obama nach dem NSA-Skandal aktiv auf Deutschland zugehen müssen. Er hätte außerdem nichts unversucht lassen dürfen, um über die Aktivitäten seiner Dienste in Deutschland auf dem Laufenden zu sein. Falls es stimmt, dass er bei seinem Telefonat mit Merkel kurz nach der Verhaftung des mutmaßlichen BND-Maulwurfes noch nichts von dem Fall wusste, wirft das kein gutes Licht auf ihn.
Es steht viel auf dem Spiel
Dabei hatte Obama die einmalige Chance, den schwelenden Anti-Amerikanismus der Deutschen zu überwinden. Wie hatte man ihn als Kandidaten in Berlin gefeiert! Die Deutschen hielten ihm sogar noch die Treue, als in den USA bereits die Enttäuschung über nicht eingehaltene Wahlversprechen eingesetzt hatte.
Am Ende hat er weder die Klischees überwunden noch die Realität geändert. Aus der Sicht vieler Deutscher bleiben die USA ein Land von Waffennarren, sozialer Kälte und religiösen Spinnern – und eine imperialistische Hegemonialmacht, deren Methoden denen autoritärer Regime in Russland oder China wenig nachstehen.
Der deutsche Anti-Amerikanismus trägt oft selbstgerechte und hysterische Züge – etwa wenn bei einer Protestaktion am Frankfurter Hauptbahnhof gefordert wird, Obama solle seinen Nobelpreis an Russlands Präsidenten Wladimir Putin abgeben. Das mag lächerlich sein, aber zum Lachen ist es nicht.
Denn in jedem Klischee steckt schließlich auch ein Körnchen Wahrheit. Obama hat einen groben Fehler gemacht, als er die Stimmung in Deutschland unterschätzte. Bei diesem Spiel können beide Seiten nur verlieren.