Chinas Leistungsbilanzüberschüsse – von durchschnittlich knapp 220 Mrd. Dollar jährlich ab dem Jahr 2000 - haben in den letzten Jahren viel Kritik aus dem Rest der Welt auf sich gezogen. Deutschlands ähnlich große Überschüsse, die sich seit der Euro-Einführung 1999 auf durchschnittlich 170 Mrd. Dollar belaufen, sind dagegen bis vor kurzem weitgehend unbeachtet geblieben.
Der Unterschied, so wurde argumentiert, sei die Währungsunion. Solange in der Eurozone als Ganze ein relatives Gleichgewicht herrschte, galten die deutschen Überschüsse als irrelevant – ganz so, wie etwa die Überschüsse von Texas innerhalb der USA nie als Problem angesehen wurden. Die chinesischen Überschüsse dagegen wurden als Ursache globaler Ungleichgewichte betrachtet.
Dieses Argument stimmt insoweit, als davon auszugehen ist, dass es der Überschuss bzw. das Defizit in der Leistungsbilanz einer Währungsunion als Ganzer sind, die Auswirkungen auf den Wechselkurs haben. Und anders als China hat Deutschland keinen „nationalen“ Wechselkurs mehr, der sich als Reaktion auf seinen Leistungsbilanzüberschuss anpassen lässt. Diese Faktoren haben – zusammen mit dem Mangel an Handelsdaten für landesinterne Regionen – dazu geführt, dass sich die Ökonomen nur selten mit den internen Überschüssen oder Defiziten von Ländern befasst haben.
Doch wenn die Exporte größer sind als die Importe, „verkleinert“ eine Region innerhalb eines Landes – oder wie im Fall Deutschlands ein Land oder eine Teilregion innerhalb einer Währungsunion – unterm Strich trotzdem die nationale bzw. globale Gesamtnachfrage. Man beachte, wie die Ausgabensenkungen durch die Regierungen der US-Bundesstaaten, von denen viele durch ihre Verfassungen verpflichtet sind, ausgeglichene Haushalte vorzulegen, das enorme Konjunkturprogramm der US-Bundesregierung der Jahre 2010-2011 in gewissem Umfang konterkariert haben.
Auch Niederlande und Österreich im Plus
Aus diesem Grund ist es relevant, ob ein Land von der Größe Deutschlands – oder selbst ein großer Einzelstaat wie Kalifornien oder Texas – die globale Gesamtnachfrage steigert oder verringert. (Tatsächlich hätten Kalifornien und Texas, wären sie eigenständige Länder, 2012 die zwölft- bzw. vierzehntgrößten Volkswirtschaften gehabt – vor den Niederlanden, Mexiko und Südkorea.)
Diese Frage ist umso wichtiger, als die Niederlande und Österreich, zwei von Deutschlands nordeuropäischen Nachbarn in der Eurozone, weiter Leistungsbilanzüberschüsse aufweisen, während die Krisenländer Südeuropas ihre großen Defizite zurückgefahren haben, da aufgrund der Sparpolitik dort die Binnennachfrage zurückgegangen ist und Platz für eine Zunahme der Exporte geschaffen hat. Deshalb wird die Eurozone als Ganze dieses Jahr einen Überschuss von knapp 260 Mrd. Dollar erzielen – ein neues globales Ungleichgewicht, das sich direkter mit dem Chinas während des vergangenen Jahrzehnts vergleichen lässt.
Die nicht zur Eurozone gehörenden europäischen Überschussländer – Schweden, Dänemark, die Schweiz und Norwegen (die alle ihre Wechselkurse zu einem gewissen Grad an den Euro koppeln) – vergrößern dieses globale Ungleichgewicht. Nordeuropa – also diese vier Länder sowie Deutschland, die Niederlande und Österreich – weist einen enormen Leistungsbilanzüberschuss von rund 550 Mrd. Dollar auf. Dagegen dürfte der Überschuss Chinas in diesem Jahr 150 Mrd. Dollar kaum überschreiten. Tatsächlich betrug der bisher höchste Jahresüberschuss Chinas (2007-2008) etwa 400 Mrd. Dollar – das war, als die USA kurz davor standen, Handelssanktionen gegen das Land zu verhängen, weil sie dieses Ungleichgewicht als Gefahr für die Stabilität der US-Volkswirtschaft und der Weltwirtschaft ansahen.
Krisenländer können einem leidtun
Am problematischsten an der Lage der Eurozone ist, dass die Arbeitslosigkeit in einigen Krisenländern – Spanien und Griechenland – weiter bei mehr als 20 Prozent liegt. Diese Länder versuchen, eine schwierige „interne Abwertung“ (also eine Verringerung ihrer inländischen Lohnstückkosten im Vergleich zu den stärkeren Volkswirtschaften der Eurozone) herbeizuführen, während der von Nordeuropa verursachte Gesamtüberschuss der Eurozone deren Wechselkurs in die Höhe treibt und so die Wettbewerbsfähigkeit der Krisenländer außerhalb der Währungsunion untergräbt.
Spanien und Griechenland haben es in diesem Jahr geschafft, eine interne Abwertung von etwa fünf Prozent gegenüber Deutschland herbeizuführen. Ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den USA und den an den Dollar geknüpften Ländern freilich hat sich nicht verbessert, weil der Euro gegenüber dem Dollar um mehr als fünf Prozent aufgewertet hat. Tatsächlich ist die Aufwertung des Euro berechtigt, weil die Eurozone als Ganze nun einen großen Leistungsbilanzüberschuss aufweist.
Die südeuropäischen Länder können einem nur leidtun. Sie sollten den Franzosen für ihre Unfähigkeit, wirksame Einsparungen umzusetzen, und für das dadurch bedingte kleine französische Leistungsbilanzdefizit fast dankbar sein, denn das hat einen noch höheren Überschuss der Eurozone verhindert.
Doch Mitleid allein – egal wie viel – ist keine Hilfe. Die nordeuropäischen Länder haben viel Spielraum für Lohnerhöhungen und die Umsetzung einer stärker expansiven Politik. Sie müssen ihn nutzen. Die nordeuropäischen Bürger würden profitieren; zugleich würde es den Euro-Kurs drücken, wodurch Wachstum, Anpassungen in Südeuropa und in der Weltwirtschaft insgesamt gefördert werden.
Aus dem Englischen von Jan Doolan
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