Anzeige

Industrieansiedlung Norden schlägt Süden: Bringen erneuerbare Energien Standortvorteile?

Offshore Windpark Baltic 1 in der Ostsee
Offshore Windpark Baltic 1: Auf See bläst der Wind stärker als im Binnenland
© IMAGO / imagebroker
Haben die norddeutschen Bundesländer einen Standortvorteil, weil sie mehr Energie aus Windkraft produzieren? Eine neue Studie kommt zu diesem Ergebnis. Doch ganz so einfach ist die Rechnung nicht

Elon Musks neues Tesla-Werk steht in Brandenburg, Schleswig-Holstein wird neuer Standort für das Batterie-Start-up Northvolt, und Sachsen-Anhalt bekommt das Werk des US-Chipherstellers Intel. Ist es nur Zufall, dass diese Bundesländer auch Vorreiter beim Ausbau der erneuerbaren Energien sind? Die ersten Ergebnisse einer neuen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) zeigen: Der Standortvorteil durch erneuerbare Energien wächst.

„Wir sehen bereits ein Nord-Süd-Gefälle in Deutschland“, erklärt Dennis Bakalis, Ökonom für Digitalisierung und Klimapolitik am IW und einer der Autoren der neuen Studie, im Interview mit ntv.de. „Gerade in Norddeutschland gibt es durch den Ausbau der Windenergie einen zunehmenden Standortvorteil.“

80 Prozent der knapp 1.000 befragten Unternehmen bewerteten in der Umfrage die Perspektiven bezüglich einer klimaneutralen Energieversorgung in Norddeutschland mit „eher gut“ oder „sehr gut“. Über die südlichen Bundesländer sagen dies dagegen nur 30 Prozent der Unternehmen. Das berichtete das „Handelsblatt“ vorab über die Ergebnisse der IW-Studie.

Schon jetzt ist der Anteil erneuerbarer Energien je nach Bundesland sehr unterschiedlich. 81 Prozent des in Mecklenburg-Vorpommern erzeugten Stroms stammten 2020 aus erneuerbaren Energien. Dahinter lagen Schleswig-Holstein mit 63 Prozent und Thüringen mit 62 Prozent. In Baden-Württemberg hingegen waren 40 Prozent der Energieerzeugung erneuerbar. In Nordrhein-Westfalen waren es nur 16 Prozent.

Wie wichtig die unmittelbare Nähe zu Windparks & Co. ist, zeigt auch die Entscheidung von Musk, seine Gigafactory in Brandenburg zu bauen. Der Milliardär aus den USA nannte dies ausdrücklich als einen der zentralen Aspekte für seine Standortwahl. Die Gigafactory soll zu 100 Prozent mit erneuerbarem Strom betrieben werden. In den ersten Antragsunterlagen zur Umweltverträglichkeitsprüfung war von 109 Megawatt elektrischer Leistung die Rede ­ so viel wie eine Stadt mit 40.000 Einwohnern verbraucht. In der aktuellen Version sind es nur noch 72 Megawatt.

Einheitlicher Strompreis

Brandenburg ist tatsächlich beim Ausbau der erneuerbaren Energien ein Vorreiter in Deutschland. Zwar waren im Jahr 2020 nur 37 Prozent der Energieerzeugung erneuerbar. Aber die großen Flächen des Landes bieten viel Potenzial. 2022 war Brandenburg eines der führenden Bundesländer beim Ausbau der Windenergie. Woher genau die Energiemengen für Tesla kommen sollen, ist allerdings noch unklar. Musk hat angedeutet, dass er kein eigenes Kraftwerk bauen will. Es könnte sogar sein, dass am Ende ein Stromabnahmevertrag mit einem Offshore-Windpark in der Nordsee oder einem Solarfeld in Spanien abgeschlossen wird.

Denn preislich macht es eigentlich keinen Unterschied, ob Ökostrom aus der Nordsee in Schleswig-Holstein oder Brandenburg verwendet wird: In Deutschland gibt es einen einheitlichen Strompreis. „Es muss grundsätzlich egal sein, wo der Strom produziert wird, denn ein leistungsfähiges Stromübertragungsnetz in Deutschland ist eine Grundvoraussetzung der Energiewende“, sagt Norbert Ammann, Energieexperte der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern, im Gespräch mit ntv.de.

Haben all die Windräder in Brandenburg also doch keinen so entscheidenden Einfluss auf die Standortattraktivität? So einfach ist es nicht. Die Netze, wie sie derzeit gebaut sind, sind nicht auf eine klimaneutrale Welt vorbereitet. Die Nord-Süd-Trassen müssen massiv ausgebaut werden. Auch die Verteilernetze zu den Endverbrauchern sind nicht auf die großen Mengen an erneuerbaren Energien vorbereitet. Wenn immer mehr Endverbraucher grünen Strom kaufen, halten das die Netze derzeit nicht aus. Selbst wenn der Norden genug Strom für den Süden produzieren könnte, lässt er sich noch nicht dorthin transportieren. „Der Ausbau der Stromnetze ist entscheidend, um grüne Energie aus dem windreichen Norden in den Süden zu transportieren“, erklärt Bakalis. Dies sei aber nur ein Teil der Lösung, denn der Ausbau der Windkraft müsse in allen Landesteilen erfolgen.

Übertragungsnetze werden ausgebaut

Die IHK München sieht auch die Lösung im Ausbau der Stromnetze: „Die Übertragungsnetze werden weiter ausgebaut werden. Am Ende machen 150 oder 800 Kilometer Übertragungsdistanz physikalisch keinen großen Unterschied“, sagt Ammann und verweist auf die eingespielten Ausgleichsmechanismen in den europäischen Netzen, die je nach Wetterlage französischen Atomstrom nach Deutschland bringen oder süddeutschen Solar- oder Biomassenstrom in die österreichischen Pumpspeicherwerke. „Langfristig werden die erneuerbaren Energien keinen Standortvorteil im Sinne von Industrieansiedlungen bringen, da Stromerzeugung und Verbrauch für die Stabilität der Netze immer möglichst großflächig ausgeglichen werden müssen.“

Ammann weist zudem darauf hin, dass durch den Fokus auf die Windkraft der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung in Bayern oft unterschätzt wird. In Bayern wurde 2021 mit 48,5 Prozent etwas mehr Strom aus erneuerbaren Quellen generiert als im gesamtdeutschen Durchschnitt (39,8 Prozent). In Bayern spielen dabei Wasserkraft, Photovoltaik und Biomasse eine größere Rolle als in anderen Teilen Deutschlands – Windkraft dafür weniger.

CO2-Preis macht Erneuerbare attraktiv

Tesla hat sich sicher nicht allein wegen des fortgeschrittenen Ausbaus der erneuerbaren Energien in Brandenburg für den Standort Grünheide entschieden. Die große Fläche, die Nähe zur Metropole Berlin und der Zugang zu Fachkräften dürften auch eine Rolle gespielt haben. „Die Verfügbarkeit erneuerbarer Energien wird ein immer wichtigerer Standortfaktor“, sagt Bakalis. Letztendlich entscheide aber nie ein Indikator allein, auch die Infrastruktur vor Ort oder verfügbare Fachkräfte seien wichtig.

Wegen der steigenden CO2-Preise wird das Streben nach Klimaneutralität zu einem immer wichtigeren Standortfaktor. Nach den Plänen der EU soll die CO2-Bepreisung von Öl, Gas und Kraftstoffen im Jahr 2026 auf einen europaweiten Emissionshandel umgestellt werden. Der Preis für jede Tonne Emissionen wird dann über den Markt geregelt – einen einheitlichen Preis wird es nicht mehr geben. Je mehr verbraucht wird und je schneller die Zertifikate aufgebraucht sind, desto teurer wird die Tonne CO2-Emission. „Die Unternehmen rechnen schon jetzt alles durch“, sagt Norma Groß, Sprecherin der Industrie- und Handelskammer Ostbrandenburg ntv.de.

Sie glaubt aber nicht, dass Unternehmen jetzt abwandern, weil es in Brandenburg oder Schleswig-Holstein mehr Solar- und Windenergie gibt. Heutzutage werde nicht mehr so viel Industrie aufgebaut – und Umsiedeln kostet sehr viel. Nur für Solar- oder Windenergie den Betrieb zu verlegen, ist derzeit nicht realistisch. Deshalb sieht sie in den erneuerbaren Energien noch keinen direkten Standortvorteil. Sehr wohl in Zukunft, wenn zum Beispiel der Preis für CO2-Emissionen steigt. „Aber das wird noch ein bisschen dauern.“

Der Beitrag ist zuerst auf ntv.de erschienen

Mehr zum Thema

Neueste Artikel

VG-Wort Pixel