Bill – wer? Als der Name vor ein paar Wochen als neuer CEO von Bayer auf dem Radar erschien, da mussten selbst Analysten des Pharmasektors erst einmal googeln. Bill Anderson aus Texas hatte niemand auf dem Radar für eine der Top-Positionen der deutschen Wirtschaft. Doch wer ist nun dieser Neue? Wie tickt der künftige Vorstandschef, der am 1. Juni den Posten von Werner Baumann übernehmen wird? Und vor allem: Was will er aus dem Bayer-Konzern machen?
Der gestrige Dienstag ist erst der zweite Tag für Bill Anderson in Leverkusen. Morgens ist er lange mit seinem Vorgänger Baumann zusammengesessen und hat sich mit Tipps und Tricks versorgen lassen. Abends nun hat er zum Kennenlernen in die Konzenzentrale eingeladen. Um 19.15 schlendert Anderson ins Baykomm Communication Center, einem im Grünen gelegenen Glaspavillon. Ein Mittfünfziger, mittelgroß, grau meliertes Haar, schlaksige Statur. Nicht der Typ, der morgens schon die Rudermaschine traktiert und abends für den Marathon trainiert. T-Shirt, darüber ein Sakko, Sportschuhe, casual für Bayer-Standards.
Anderson ist ein kurzweiliger Unterhalter, in seinem Vortrag wimmelt es von lustigen Anekdoten aus seinem Leben, viel Privates. Man erfährt, dass er eine Überraschung („accident“) für seine Eltern war, die schon Mitte vierzig waren, als er in Texas zur Welt kam; man lernt die Familie kennen, seine Frau Cathy, eine Ernährungswissenschaftlerin, die Söhne, die Tochter in Singapur; es tauchen Cousins, Eltern und Großeltern auf. Sie alle wachsen einem im Laufe des einstündigen Talks ans Herz.
Anderson, auch das bleibt hängen, ist in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen und hat es mit Ehrgeiz und Fleiß weit gebracht. Als Sechsjähriger verkaufte er im Bollerwagen die Tomaten aus dem Familiengarten und lernte so, wie wichtig „Ownership“ ist. Es ist sein großes Managementthema: Wie schafft man es als Führungskraft in großen Organisationen, dass Mitarbeiter mehr Verantwortung übernehmen, wie kann man Angestellte „empowern“, dass sie so handeln, als ob es um ihr eigenes Business gehe? Von der Magie der Selbstorganisation ist die Rede. Es klingt nach Harvard Business School für Fortgeschrittene. Doch die Frage ist: Wie kann das bei einem durch und durch hierarchisch organisierten Unternehmen praktisch funktionieren, in einem Konzern, der über Jahrzehnte von einer anderen Kultur geprägt wurde?
Mit Komplimenten über seinen neuen Arbeitgeber trägt er dick auf, „von einem unglaublichen Erbe“, einer „amazing company“ ist die Rede, die „tolle Produkte macht, um Menschen zu helfen, gesund zu bleiben“. Den Slogan „Health for all – hungry for none” findet er mutig. Und wenn man glaubt, mehr geht nicht mehr, wird es fast rührend: Jackson, Texas, seine Heimat, sei fast wie Leverkusen, es fühle sich für ihn an, wie nach Hause zu kommen.
Amerikanischer Überschwang in Perfektion. Nur vereinzelt Töne, aus denen hervorgeht, dass er um die Herausforderung weiß, den dicken Tanker Bayer beweglicher zu machen. Der Konzern stehe vor einer „unique challenge“, wie eigentlich die gesamte deutsche Industrie. Dann wird's wieder weicher: „Wir haben eine Vision und viele talentierte Leute.“
Natürlich wird er gefragt, was er vorhat, ob er Bayer in kleinere Einheiten zerlegen will, einzelne Bereiche abspalten wird. Und dann kommt sie natürlich, die Frage nach Monsanto: Ob er damals, an Baumanns Stelle, den Laden gekauft hätte? Nice try. Anderson lacht sein gewinnendes Lachen. „I am on day two.“ Und er erzählt stattdessen, dass es darum gehe, zehn Milliarden Menschen zu ernähren und weniger Gift auf die Böden und Pflanzen zu spritzen. Ansonsten: Er sei offen für alles, würde alles in Erwägung ziehen, aber das Bedürfnis nach einer neuen Strategie sei allgemein überzogen.
Tag zwei in Leverkusen ist geschafft. Dann erzählt er noch wie an Tag zwei in Basel bei Roche (wo er zehn Jahr gearbeitet hat) fast untergegangen wäre. Es war Mai, 32 Grad, und den Manager zog es ans Wasser. Mitsamt der Familie schwamm Anderson im Rhein, die Strömung war überraschend stark, das Wasser stand hoch. Als er tags drauf von seinem Abenteuer erzählte, schaute er in schockierte Gesichter. Der Mann neigt zum Mut; ob er Bayer mitreißen kann, werden die nächsten Monate zeigen.