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Kolumne Nehmt Jeremy Corbyn ernst!

Jeremy Corbyn, Favorit für den Vorsitz der Labour Party, gilt als linkes Schreckgespenst. Zu Unrecht, meint Robert Skidelsky
Robert Skidelsky
Robert Skidelsky
© Getty Images

Robert Skidelsky ist Mitglied des britischen Oberhauses und emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Warwick.

In Großbritannien sind haushaltspolitische Sparmaßnahmen zu einer regelrechten Standardmethode geworden, so dass jeder, der sie in Frage stellt, als gefährlicher Linker gebrandmarkt wird. Das jüngste Opfer dieser Verunglimpfungswelle ist Jeremy Corbyn, der Favorit für den Vorsitz der britischen Labour Party. Einige seiner Positionen sind haltlos. Aber seine Aussagen zur Wirtschaftspolitik sind nicht dumm und verdienen eine gründliche Untersuchung.

Zur aktuellen britischen Sparpolitik hat Corbyn zwei Alternativen vorgeschlagen: eine Nationale Investitionsbank, die durch den Abbau von Steuererleichterungen und Subventionen für den privaten Sektor kapitalisiert werden soll; und das, was er „quantitative Erleichterung für Menschen“ nennt – kurz gesagt, ein Infrastrukturprogramm, das die Regierung durch die Aufnahme von Krediten bei der Bank of England finanziert.

Die erste Idee ist weder neu noch extrem. Es gibt eine Europäische Investitionsbank, eine Nordische Investitionsbank und viele andere. Sie alle werden von Staaten oder Staatengemeinschaften mit Kapital ausgestattet, um durch die Aufnahme von Krediten an den Kapitalmärkten geplante Projekte zu finanzieren. Der Leitgedanke hinter dieser Art von Institution beruht darauf, was der große Sozialtheoretiker Adam Smith die Verantwortung des Staates für den „Aufbau und Erhalt“ derjenigen „öffentlichen Werke und Institutionen“ genannt hat, die zwar keine privaten Profite abwerfen, aber von großem Nutzen für die Gesellschaft sind.

Mit anderen Worten, der Staat muss immer auch eine Investitionsfunktion haben. Diese Funktion an eine spezialisierte Institution zu delegieren, könnte für die Aufstellung des öffentlichen Haushalts von Vorteil sein.

Anleihen für die Entwicklung der Infrastruktur

Ein zweiter Grund für die Einführung einer Nationalen Investitionsbank ergibt sich aus den besonderen wirtschaftlichen Umständen der heutigen Zeit. Während eines Abschwungs oder Stillstands werden größere Mengen privater Ersparnisse in Form von Bargeld oder nahen Äquivalenten des Bargelds (wie kurzfristige Schuldverschreibungen) gehalten als sonst. Diese „ungenutzten“ Ersparnisse könnten durch eine Nationale Investitionsbank dazu verwendet werden, Anleihen für die Entwicklung der Infrastruktur auszugeben.

Solche Anleihen würden gegenüber Staatsanleihen eine kleine Überrendite abwerfen und könnten langfristige Investoren wie Pensionsfonds anziehen, die sich sonst mit keinen oder gar negativen Realzinsen zufrieden geben müssten. Die Europäische Investitionsbank beispielsweise wird mit einem Mittelaufwand von 21 Mrd. Euro Investitionen im Wert von mindestens 315 Mrd. Euro finanzieren.

Die „quantitative Erleichterung für Menschen“ ist eine etwas unorthodoxere – und interessantere – Version dieser Idee. Im Rahmen der konventionellen quantitativen Erleichterung (QE) kauft die Zentralbank Staatsanleihen von Banken oder Konzernen und vertraut darauf, dass durch das dadurch zusätzlich „gedruckte“ Geld die privaten Ausgaben stimuliert werden. Aber Studien zeigen, dass ein großer Teil dieses Geldes nicht für produktive Investitionen verwendet wird, sondern in spekulative Aktivitäten fließt, wo es Preisblasen verursachen kann.

Eine Alternative wäre, das von der Zentralbank neu geschaffene Geld direkt an Wohnungsbauunternehmen, lokale Regierungen oder nationale und regionale Investitionsbanken weiterzuleiten – an Organisationen, die Infrastrukturprojekte stemmen können. Das ist es, was Corbyn vorschlägt.

gute Gründe für die „Monetarisierung Zwei“

Diese Idee der monetären Finanzierung von Haushaltsdefiziten (der Kreditaufnahme bei der Zentralbank anstatt auf den Anleihemärkten) hatte bereits einmal einen prominenten Fürsprecher. In einer Vorlesung an der Cass Business School im Februar 2012 kam ein solcher Vorschlag von Adair Turner, dem früheren Vorsitzenden der britischen Financial Services Authority, als Möglichkeit für den Fall, dass eine weitere Kreditaufnahme an den Märkten politisch oder finanziell unmöglich ist.

Corbyns Vorschlag würde im Gegensatz zur orthodoxen monetären Finanzierung die Staatsverschuldung nicht vergrößern – ein großer Vorteil. Die orthodoxe QE – die wir „Monetarisierung Eins“ nennen können – soll damit umgekehrt werden. Dazu werden Steuergelder zu dem Zweck verwendet, die Ablösung von Staatsanleihen zu finanzieren, die von der Zentralbank gehalten werden. Die Erwartung künftiger Steuererhöhungen könnte die Menschen dazu verleiten, einen Teil des neuen Geldes zu sparen, anstatt es auszugeben. Die unorthodoxe QE („Monetarisierung Zwei“) vermeidet dieses Problem, da die Kredite der Zentralbank nicht zurückgezahlt werden. Die Aktiva der Zentralbank entsprechen genau den Passiva der Regierung. Deshalb sollten wir diesen Vorschlag nicht von vornherein ausschließen.

In der Eurozone, die von Nullwachstum und Deflation geprägt ist, gibt es gute Gründe für diese „Monetarisierung Zwei“. Tatsächlich besteht das von der Europäischen Zentralbank im Januar enthüllte QE-Programm zwar hauptsächlich aus Ankäufen von Staatsschulden, aber die EZB kauft auch Anleihen der Europäischen Kommission und der Europäischen Investitionsbank auf – was Schlüsselelemente der „Monetarisierung Zwei“ sind. Auf diese Weise unterstützt sie die Finanzierung von Infrastrukturinvestitionen.

Aber gerade jetzt benötigt die britische Wirtschaft bei einem momentanen jährlichen Wachstum von etwa drei Prozent kein weiteres QE-Programm. Am Anleihenmarkt kann sich die Regierung all ihre Kreditwünsche zu Zinssätzen nahe Null erfüllen. Eine Auslagerung dieser Kreditwürdigkeit in eine Nationale Investitionsbank wäre lediglich ein Signal, dass alle zusätzlichen Kredite nicht für den regulären Haushalt verwendet werden, sondern für Investitionen.

Corbyn hat Lob verdient

Für die Gründung einer solchen Institution gäbe es heute in Großbritannien zwei gute Gründe: Erstens liegt der Anteil privater Investitionen gemessen am BIP immer noch unter dem Vorkrisenniveau von elf Prozent. Daran kann man erkennen, dass Investoren kein Vertrauen in eine dauerhafte Erholung haben.

Zweitens bietet ein staatlich geführtes Investitionsprogramm – abhängig vom Mandat der Institution – eine Gelegenheit, die britische Wirtschaft weg von privaten Spekulationsaktivitäten und hin zu langfristigen Investitionen in nachhaltiges Wachstum neu auszurichten. Ebenso könnte sich der Schwerpunkt vom Südosten des Landes mehr in Richtung Midlands und Nordengland verlagern. Kurz gesagt, es bietet die Möglichkeit, das Problem von „privatem Überfluss und öffentlichem Elend“ zu lösen, das John Kenneth Galbraith in den 1950er-Jahren erkannt hat.

Dafür, dass Corbyn diese ernsten Probleme der Rolle des Staates und der besten Möglichkeiten der Finanzierung seiner Aktivitäten ins öffentliche Bewusstsein bringt, sollte er nicht bestraft, sondern gelobt werden. Die Tatsache, dass er dafür abgelehnt wird, verdeutlicht die gefährliche Trägheit der heutigen politischen Eliten. Millionen Menschen in Europa fühlen zu Recht, dass ihre Interessen von der momentanen politischen Ordnung nicht vertreten werden. Was werden sie tun, wenn ihre Proteste einfach ignoriert werden?

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

Copyright: Project Syndicate, 2015.
www.project-syndicate.org

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