Anzeige

Nachruf auf Schäuble Diesen Mann zu treffen, war immer ein Erlebnis

Porträt von Wolfgang Schäuble in Schwarz-Weiß
Niemand war länger Mitglied des Bundestags als Wolfgang Schäuble. Nun ist er im Alter von 81 Jahren gestorben
© IMAGO / Sven Simon / IMAGO
Wohl kaum jemand prägte das Land so sehr, ohne jemals Kanzler gewesen zu sein. Das machte die Größe seiner Karriere aus − und ihre Tragik. Ein Nachruf auf Wolfgang Schäuble

Wolfgang Schäuble war eine besondere Persönlichkeit. Wer als Journalist zu ihm kam, wusste nie genau, was zu erwarten war. Manchmal empfing einen der leidenschaftliche Musikfreund fröhlich gestimmt in einem seiner Büros, eine Opernmelodie pfeifend. Manchmal zeigte er sich unnahbar und kühl. 

Schäuble wirkte aus sich heraus als Respektsperson mit all seiner politischen Erfahrung und seinem persönlichen Schicksal. Da fühlte man sich als Besucher schnell befangen, gelegentlich auch unterlegen. Manchmal half er einem aus dieser Lage mit Freundlichkeit heraus, manchmal ließ er den Gast im Gefühl der eigenen Nichtswürdigkeit schmoren. Mal verließ man sein Büro beeindruckt von so viel Scharfsinn, mal grübelte man beim Abhören einer Interview-Aufnahme, was er denn nun eigentlich sagen wollte. 

Aber ein Erlebnis war es immer, diesen Mann zu treffen.

Schäuble war ein Unikum der deutschen Politik. Wohl kein anderer hat das Land so gestaltet wie er, ohne dabei jemals Kanzler gewesen zu sein. Wenige haben so prägende Reden hinterlassen wie er, ohne einmal Bundespräsident gewesen zu sein. Das machte die Größe seiner politischen Karriere aus − und ihre Tragik.

Dazu passt auch, dass Schäuble 1990 mit dem deutsch-deutschen Einigungsvertrag gerade den vielleicht größten Erfolg seines politischen Lebens geschafft hatte, als ihn wenige Tage nach der Wiedervereinigung, am 12. Oktober 1990, ein Attentäter während einer Wahlkampfveranstaltung niederstreckte. Seither lebte Schäuble im Rollstuhl, kämpfte an gegen die Widrigkeiten seiner Behinderung, trieb leidenschaftlich Sport und blieb politisch mobil, haderte aber gleichzeitig mit seinem Dasein. Dem Stern sagte er 1997: Ein Krüppel als Kanzler? Die Frage muss man stellen.“

Ein gigantisches Politikerleben

Schäuble war von Haus aus Jurist. 1972 kandidierte er erstmals für ein Direktmandat im Bundestag, angeblich im festen Glauben, das klappe sowieso nicht. Insgesamt hat er den Wahlkreis Offenburg dann 14-mal hintereinander gewonnen. Außer mit Konrad Adenauer hat Schäuble mit allen Bundeskanzlern im Parlament gesessen, mal ihnen gegenüber in der Opposition oder als Fraktionschef der Regierungsfraktion, mal neben ihnen als Minister, mal etwas erhöht, als Bundestagspräsident. 

Er sei ein Mann der Exekutive, aber eben auch Parlamentarier aus Leidenschaft“, sagte die heutige Bundestagspräsidentin Bärbel Bas zu seinem 50. Parlamentsjubiläum und nannte Schäuble einen großen Verfechter des demokratischen Streits im Respekt vor dem politischen Gegenüber“.

Als Neuling im Bundestag machte sich Schäuble gleich in einem Untersuchungsausschuss einen Namen, der − zunächst ergebnislos − den Vorwürfen des Stimmenkaufs rund um das gescheiterte konstruktive Misstrauensvotum gegen Willy Brandt nachging. Schäuble hielt dazu schon 1974 eine viel beachtete Rede, in der es um die Glaubwürdigkeit des Parlaments ging. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass hier eine Krähe der anderen kein Auge aushackt“.

Schäuble war Parlamentarier durch und durch. An vielen Wegmarken seiner Karriere zog er die Aufmerksamkeit immer wieder auf den Bundestag: im Guten, wie mit seiner Rede zugunsten des Umzugs von Regierung und Parlament nach Berlin 1991, auf die er selbst stets besonders stolz war; im Schlechten acht Jahre später mit seiner falschen Aussage in der Parteispendenaffäre der CDU, die ihn Partei- und Fraktionsvorsitz kostete und womöglich auch die Kanzlerschaft.

Das Verhältnis zu Angela Merkel blieb bis zuletzt ambivalent

Als er 50 Jahre im Bundestag saß, zitierte Bärbel Bas auch Angela Merkel, die einmal gesagt hatte: “Wolfgang Schäuble ist ein Glücksfall für die deutsche und die europäische Politik.“ Die ehemalige Kanzlerin meinte das ernst. Und doch beschrieb dieses Lob nicht im Mindesten die vielschichtige und komplizierte Beziehung zwischen Schäuble und Merkel.

Schäuble hielt sich stets zugute, Merkel schon frühzeitig entdeckt zu haben. Die beiden begegneten sich erstmals während der Verhandlungen zum Einigungsvertrag: Schäuble als BRD-Innenminister, Merkel als stellvertretende DDR-Regierungssprecherin. Er unterstützte sie in ihrer Zeit als Bundesministerin und machte sie nach dem Ende der Regierung Kohl zur Generalsekretärin der CDU.

An Schäuble vorbei lancierte Merkel jenen berühmten Artikel in der FAZ“, in dem sie ihre Partei aufforderte, die Ära des von der Parteispendenaffäre beschädigten Ex-Kanzlers zu überwinden. Als er sie fragte, warum sie ihn als Parteichef vorab nicht informiert habe, antwortete sie: Sie hätten es mir nicht erlaubt.“

Kanzler konnte Schäuble nicht werden, die Option Bundespräsident verhinderte FDP-Chef Guido Westerwelle. Als Merkel 2005 Kanzlerin wurde, war sie klug genug, Schäuble im Kabinett einzubinden, erst als Innenminister, später als Finanzminister. Er zeigte sich stets loyal, was mitnichten blinde Gefolgschaft bedeutete. Am heftigsten gerieten beide in der Euro-Krise und im Umgang mit Griechenland aneinander, jene Auseinandersetzung, in der Schäuble sein berühmtestes Kurzwort als Drohung in Richtung Athen prägte: isch over.“ 

Trotz der Differenzen hielt Merkel eisern an ihrem Finanzminister fest, auch als er wochenlang im Krankenhaus liegen und in Brüssel vertreten werden musste. Über seine Frau Ingeborg ließ Merkel Schäuble ausrichten, er solle sich alle nötige Zeit nehmen, um wieder zu genesen. Das hat er ihr nicht vergessen.

Trotzdem blieb das Verhältnis schwierig. 2017 holte Merkel ihn nicht mehr ins Kabinett, stattdessen wurde er Bundestagspräsident − angeblich widerwillig. Und doch machte er aus diesem Amt einen weiteren Höhepunkt seiner Karriere, weil er die Würde des Hauses durch seine persönliche Autorität auch gegen die oft unwürdig auftretende AfD verteidigte. 

Zwei Mal noch griff er in der CDU entscheidend ein

Es ist noch nicht lange her, dass Schäuble Konrad Adenauer, Helmut Kohl und Willy Brandt als große Kanzler bezeichnet, aber auf Nachfrage offengelassen hat, ob Angela Merkel auch dazugehöre. Es wirkte wie eine Retourkutsche auf eine kleine Gemeinheit der Frau, mit der er über 30 Jahre zusammengearbeitet hat: Nachdem die Union 2021 nicht mehr stärkste Fraktion und Schäuble nicht mehr Bundestagspräsident geworden war, hatte Merkel gesagt, sie habe viel von Schäuble gelernt, unter anderem den Spruch: respice finem – bedenke das Ende“.

Es waren Sticheleien wie Fußnoten in einer für Außenstehende nie ganz zu durchdringenden politischen Beziehung, die zwischen Respekt und Distanz oszillierte, zwischen Loyalität und Abneigung, politischer Härte und persönlichem Entgegenkommen.

In der CDU mischte sich Schäuble in den vergangenen Jahren zweimal entscheidend ein: Er half 2018 nach Monaten erbitterter Auseinandersetzung, den Streit um die Flüchtlingspolitik zwischen CDU und CSU zu schlichten. Und 2021 setzte er Armin Laschet als Kanzlerkandidaten gegen Markus Söder durch. Das hat im die CSU nicht vergessen.

Schäubles eigentlicher Favorit, sein langjähriger Freund Friedrich Merz, wird wohl erst jetzt seine Chance bekommen. Wolfgang Schäuble wird das nicht mehr erleben.

Für den nächsten Bundestag wollte Schäuble nicht mehr kandidieren. Man fragte sich gelegentlich, was dieser leidenschaftliche Politiker ohne die Politik machen würde. Jetzt ist das Schicksal der Antwort zuvorgekommen. In der Nacht zu Mittwoch ist Schäuble im Alter von 81 Jahren gestorben.

Dieser Text ist zuerst hier bei stern.de erschienen.

Mehr zum Thema

Neueste Artikel

VG-Wort Pixel