Arbeiten wir mehr, wenn wir einen Bonus bekommen? Sollte man Schulschwänzer dafür bezahlen, dass sie zum Unterricht erscheinen? Wäre es sinnvoll, wenn der Staat Rauchern finanzielle Anreize bietet, damit sie sich von den Zigaretten verabschieden?
Die neoklassische Volkswirtschaftslehre würde wohl all diese Fragen bejahen. Sie geht davon aus, dass Menschen sich mehr anstrengen, wenn sie dafür eine Belohnung erwarten können. Und die modernen Marktwirtschaften halten sich auch in vielerlei Hinsicht an dieses Prinzip. Allerdings hat sich auch herausgestellt, dass Boni nicht immer besonders präzise wirken und manchmal sogar kontraproduktiv sind. Was also stimmt?
Der Soziologe Max Weber beobachtete einst in Schlesien einen überraschenden Effekt: Der Lohn eines Hilfsarbeiters, der ein Stück Land mähen sollte, wurde verdoppelt. Der Arbeiter reduzierte seine Leistung daraufhin um die Hälfte. Weber gab einer Form von „primitivem Traditionalismus“ die Schuld an diesem Verhalten und zeigte sich überzeugt, dass die mangelnde Empfänglichkeit für materielle Anreize bald dem Geist des Kapitalismus weichen werde.
Lohnarbeit als okkulte Handlung
Tatsächlich sind in traditionellen Gesellschaften häufig kulturelle Probleme beim Übergang zur Marktwirtschaft zu beobachten. Europäische Kaufleute in den 30er-Jahren verzweifelten, als sie die Bewohner der Trobriand-Inseln in der Südsee dazu bewegen wollten, nach Perlen zu tauchen. Wenn es genug zu essen gab, waren sie für alle anderen Verlockungen unempfänglich. „Die verdammten Nigger wollen nicht schwimmen, auch wenn man sie mit Kaloma-Muscheln und Tabak überhäuft“, zitierte der Anthropologe Bronislaw Malinowski einen erbosten Händler.
Im Westen Kameruns wurde Lohnarbeit anfänglich als geradezu okkulte Handlung wahrgenommen: Wer sich vom Plantagenbesitzer bezahlen ließ, galt als verhext, ihm wurde nachgesagt, er habe seine Verwandten und Kinder getötet und habe sie in Zombies verwandelt, die auf einem fernen Berg zur Arbeit gezwungen würden.
Nun ist es nicht verwunderlich, dass es beim Übergang von der Agrargesellschaft zum modernen Kapitalismus zu Reibungen kommt: Zwischen Bauern und einer echten Arbeiterklasse gibt es eben deutliche Unterschiede, die zunächst einmal überwunden werden müssen. Man sollte also annehmen, dass es in modernen europäischen Gesellschaften einen deutlich klareren Zusammenhang zwischen höheren Löhnen sowie Sonderanreizen und einer steigenden Leistungsbereitschaft gibt. Doch auch das ist alles andere als eindeutig. Bei mechanischen, sich wiederholenden Tätigkeiten in der Industrie können sinnvolle Anreize die Produktivität steigern.
Geld kann die eigene Motivation mindern
Aber sobald es um Kreativität geht, geht der Schuss oft nach hinten los. In einem Experiment der Harvard Business School wurden 23 hauptberufliche Künstler gebeten, ihre Arbeiten einer Jury zu präsentieren. Jeweils zehn Kunstwerke waren Auftragsarbeiten, zehn weitere waren auf eigene Initiative entstanden. Die Experten, die über das Ziel der Studie nicht informiert waren, gaben den bezahlten Kunstwerken durch die Bank schlechtere Noten im Hinblick auf Kreativität und technische Ausführung.
Ähnliche Phänomene zeigen sich bei Blutspenden, da einige Studien darauf hinweisen, dass eine Bezahlung der Spender zu abnehmender Hilfsbereitschaft führt. Überhaupt scheinen anderen Versuchen zufolge Prämien oder „Danke schön“-Geschenke für Spender aller Art oft dazu beizutragen, dass die Menge der Gaben abnimmt. Der Vorgang der Spende wird gewissermaßen durch das Motiv der Gewinnsucht verunreinigt und damit weniger attraktiv.
Skeptiker werden nun einwenden: Okay, bei Künstlern und wohltätigen Spendern mag das alles stimmen, aber in der „echten Welt“ ist es doch das Geld, das den Ausschlag gibt. Doch auch da sind große Zweifel angebracht. Bernd Irlenbusch von der London School of Economics zeigte 2009 in 51 Fallstudien, dass „das Angebot von Anreizen die gesamte Arbeitsleistung negativ beeinflussen kann“. Der Grund: Finanzielle Verlockungen können die eigentliche Motivation mindern und zudem dazu beitragen, dass ethische Normen wie Fairness am Arbeitsplatz eine geringere Rolle spielen.
Erste Firmen wie Apple oder der US-Online-Schuhversand Zappos tragen diesem Umstand bereits Rechnung und kehren das Anreizprinzip um. Sie bieten ihren Beschäftigten keine leistungsbezogenen Belohnungen, sondern zahlen stattdessen, wenn ein Mitarbeiter das Unternehmen verlässt. Bei Zappos sind das derzeit 1000 Dollar. Auf diese Weise soll ermittelt werden, wer sich nicht mit den Werten des Unternehmens identifiziert. Der Grundgedanke: Es ist sinnvoller, dafür zu bezahlen, dass die gehen, die die Vision des Unternehmens nicht teilen als zu versuchen, sie mit Geld dazu zu bringen, dass sie ihre Meinung ändern.