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Logistik Wie notwendig sind zehnspurige Autobahnen?

Zehnspurige Autobahnen sind in China Alltag 
Zehnspurige Autobahnen sind in China Alltag 
© IMAGO / VCG
Die FDP und ihr Verkehrsminister plädieren für einen Ausbau der deutschen Autobahnen, möglicherweise auch zehnspurig. Mobilitätsforscher und Bahnvertreter sehen die Zukunft anderswo – nämlich auf der Schiene

Ein Stau, der sich bis ins Unendliche erstreckt. Landstraßen voller Lastwagen. Amazon-LKWs, die über die Autobahnen donnern. Solche Bilder könnten den Eindruck erwecken, dass ein Ausbau der Autobahnen in Deutschland dringend notwendig ist. Dem würde auch Verkehrsminister Volker Wissing vehement zustimmen. Wenn es nach der FDP ginge, würden die Autobahnen auf bis zu zehn Spuren ausgebaut, sagte ihr Fraktionschef Christian Dürr in der ARD.

Dass es überfüllte Straßen und Autobahnen gibt, bestreitet niemand. Doch wie die Lösung dieses Problems aussieht, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Während Wissing dem Wirtschaftsstandort Deutschland eine düstere Zukunft voraussagt, wenn die Autobahnen nicht weiter ausgebaut werden, fordert der Mobilitätsforscher Andreas Knie ein „Moratorium für den Bau neuer Autobahnen“. 

Denn das Problem lasse sich nicht mit mehr Autobahnen lösen, sagt Knie, der am Wissenschaftszentrum Berlin die Forschungsgruppe digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung leitet. Die Forschung zeige immer wieder, dass mehr Straßen auf Dauer zu mehr Verkehr führen – nicht andersherum, wie Wissing sagt. Das Problem mit überfüllten Autobahnen seien vielmehr die billigen Transportkosten, so Knie. Sie stehen oft in keinem Verhältnis zu den Kosten der Güter und führen dazu, dass alles „alles was nicht Niet und Nagel fest ist wird von links nach rechts transportiert“.

Knie fordert deshalb eine massive Erhöhung der Straßenverkehrspreise, damit die Unternehmen ihre Lieferwege effizienter gestalten. Bahnverbände sehen die Lösung für die überlasteten Straßen in einer Verlagerung auf die Schiene. „Wir glauben, dass wir hier unterschätzt werden“, sagt Daniela Morling, Pressesprecherin des Verbands „Die Güterbahnen“, einem Netzwerk europäischer Eisenbahnen, bei einer Pressekonferenz am Montag. 

Verzerrte Zahlen

Tatsächlich geht Wissing davon aus, dass nicht genug Güter von der Straße auf die Schiene verlagert werden können. Auf der Straße würden zehnmal so viele Güter transportiert wie auf der Schiene, sagte der Verkehrsminister. Jedes Jahr komme mehr Fracht hinzu – und die Schiene allein könne sie nicht aufnehmen.

Die Zahl bezieht sich jedoch auf die beförderten Tonnen von Gütern. Rechnet man die Entfernung dieser transportierten Tonnen hinzu, schneidet die Schiene deutlich besser ab. Im Jahr 2021 wurden 131 Mrd. Tonnenkilometer an Gütern auf der Schiene transportiert – 506 Mrd. auf der Straße. Umgerechnet bedeutet das, dass die Bahn zwar weniger transportiert als LKWs – aber nicht zehnmal weniger, sondern knapp viermal weniger.

Dazu gehen Wissing und sein Ressort davon aus, dass sich der Gütertransport immer stärker auf die Straße verlagern wird. „Nach einer aktuellen Untersuchung wird der Güterverkehr auf der Straße bis zum Jahr 2051 um 34 Prozent zunehmen“, sagte Wissing dem „Reutlinger General-Anzeiger“. Nach Angaben der Bahn- und Güterverkehrsverbände ist unklar, woher diese Zahl kommt, wie die Sprecher auf der Pressekonferenz betonen.

Die Prognosen des Verbands „Die Güterbahnen“ zeigen ein ganz anderes Bild. Derzeit macht der Schienengüterverkehr 20,2 Prozent des Marktes aus. Bis 2053 könnte er auf 35 Prozent ansteigen. Das würde bedeuten, dass 10 bis 15 Prozent weniger LKW auf deutschen Straßen unterwegs sein müssten, so der Verband.

Dafür müsse es aber Planungs- und Finanzierungssicherheit geben. Private Investoren setzten bereits ohne öffentliche Förderung auf den Ausbau des Schienengüterverkehrs, sagt Malte Lawrenz vom Verband der Güterwagenhalter (VPI) bei der Presseveranstaltung. Doch die großen Projekte wie der Ausbau der Infrastruktur und die Automatisierung und Digitalisierung der Schiene könne die Privatwirtschaft nicht allein stemmen.

Dekarbonisierung auf der Autobahn?

Zudem werden viele Probleme des Güterverkehrs durch den Ausbau der Autobahnen nicht gelöst. Wie der Mangel an LKW-Fahrern oder der Platzmangel auf Rastplätzen. Vor allem wird er eines der größten Probleme nicht lösen, das Wissing angehen muss: die Dekarbonisierung des Verkehrs. 

Und hier hängt der FDP-Politiker besonders hinterher. Nach dem novellierten Klimaschutzgesetz von 2021 darf der Verkehrssektor im Jahr 2030 nur noch 85 Mio. Tonnen CO2 emittieren. 2021 waren es rund 148 Mio. Tonnen – drei Millionen mehr als für das Jahr vorgegeben war.

Das Sorgenkind der Klimaziele will die Vorgaben aus dem Klimaschutzgesetz mit dem Einsatz von mehr klimaneutralen Fahrzeugen erreichen. Wissing will „klimaneutralen Verkehr auf der Straße ermöglichen, mit mehr E-Autos und CO2-neutralen Kraftstoffen, auch im Güterverkehr“, sagte er der „Bild am Sonntag“. Mobilitätsforscher Knie hält diesen Plan für unrealistisch: „Wir haben eine Handvoll LKW, die mit Batterien oder Wasserstoff fahren“, sagt er. „In den nächsten 10 bis 25 Jahren werden wir in dieser Hinsicht nichts Relevantes auf der Straße haben.“

Was aber bereits vorhanden ist und mit ein wenig Geld und Zeit ausgebaut werden könnte, ist das Schienennetz. Das werde oft vergessen, beklagte Matthias Gather, Professor für Verkehrspolitik und Raumplanung an der Fachhochschule Erfurt, auf der Veranstaltung. Während viele kreative Lösungsansätze für die Zukunft des Personenverkehrs diskutiert würden, stehe der Güterverkehr in der „Schmuddelecke der Verkehrspolitik“. Seine Botschaft: Wenn Wissing das Problem lösen will, darf das so nicht weitergehen.

Dieser Artikel ist zuerst auf ntv.de erschienen 

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