
Andrew Hill schreibt in der Financial Times regelmäßig eine Kolumne über Managementthemen
Der Ex-Chef der Royal Bank of Scotland, Fred Goodwin, war berüchtigt für seine „morning beatings“: Wut und Häme des Chefs gingen regelmäßig auf die Führungskräfte in seiner Umgebung nieder. Auch Richard Fuld, Chef von Lehman Brothers, war bekannt für seine Launen und seinen einschüchternden Stil. Der Zorn von Robert Maxwell, dem verstorbenen Medientycoon, war episch.
In den Porträts erfolgreicher Bosse ist es heute allerdings angesagt, diejenigen zu loben, die immer cool bleiben und nie die Fassung verlieren. Es gibt Ausnahmen wie Meg Whitman von Hewlett-Packard oder Liu Chuanzhi von Lenovo, die ebenfalls launisch sein sollen. Aber im Allgemeinen wird angenommen, dass Wut am Arbeitsplatz geschäftsschädigend ist, und dass Manager nur „positive“ Emotionen pflegen sollten.
ein bisschen Wut muss sein
Selbstverständlich gibt es ein vorrangiges Recht, arbeiten zu können, ohne eingeschüchtert zu werden. Mobbereien à la Fuld sind inakzeptabel. Ungehemmte Feindseligkeit ist auch richtig teuer, wenn man all die Fälle einrechnet, in denen Launen in Aggressionen umschlagen, die dann aufwändig untersucht und aufgearbeitet werden müssen.
Trotzdem fürchte ich, dass die klinische Säuberung der Gefühle am Arbeitsplatz zu weit gegangen ist. Es ist unrealistisch und auch potenziell kontraproduktiv, jegliche Wut vom Arbeitsplatz fernzuhalten. Diese Sorge wird auch von einigen Wissenschaftlern geteilt, die in der vergangenen Woche bei der Jahrestagung der Academy of Management ein Symposium „Zur Verteidigung der Wut“ abhielten. Der Rest ihrer Tagesordnung bestand daraus, dass die Professoren über negative Emotionen am Arbeitsplatz klagten. Aber Dirk Lindebaum von der University of Liverpool hat mir gesagt, dass es produktiver sei, Emotionen danach zu beurteilen, ob sie nützlich sind – statt sie pauschal mit Etiketten wie „Freude – positiv“, „Wut – negativ“ zu belegen.
In einer Sondernummer der Zeitschrift „Human Relations“, die Lindebaum herausgibt, ist kürzlich eine Studie erschienen, nach der mehr als zwei Drittel aller emotional negativen Erlebnisse zu einem positiven Ergebnis führen. Eine andere Studie zeigte, dass Beschäftigte im Gesundheitswesen, die Gefühle wie Stress, Feindseligkeit und Empörung unterdrückten, letztlich schlechtere Leistungen erbrachten als diejenigen, die ihre „schlechten“ Gefühle erkennbar werden ließen.
Streit befördert Lösungen
Kollegen stürzen sich manchmal lächelnd auf eine Lösung, ohne dass es zuvor eine unangenehme Auseinandersetzung gab, in der man wichtige Probleme erkannt hätte. Um das zu vermeiden hat der Autobauer Honda sogenannte Waigaya-Sitzungen eingeführt, in denen die Arbeiter oftmals wochenlang über Prozessverbesserungen streiten.
Professor Lindebaum hat Projektmanager aus der Bauwirtschaft interviewt, die Wutausbrüche nutzen, um den Terminplan zu halten und Komplikationen zu lösen. Selbst bei der im Allgemeinen recht kollegialen Financial Times wissen die Redakteure, dass es gelegentlich Wunder wirken kann, einen Reporter, der spät dran ist, kräftig anzuschnauzen.
Wenn es ein Ventil für selbstgerechte und gerechte Wut gibt, dann ermuntert das auch dazu, die entscheidenden kritischen Fragen zu stellen. Bei der Barclays Bank etwa hatte Ex-Chef Bob Diamond die „No-Jerk“-Regel: Niemand durfte ein A... sein. Aber es wäre vielleicht besser gewesen, wenn einige „Jerks“ angesichts der Kultur von Zinsmanipulationen ausgerastet wären. Tatsächlich zeigt der E-Mail-Verkehr, dass es bei diesen Manipulationen zum Teil zu einem übertrieben „positiven“ und höflichen Austausch zwischen den Kollegen kam, die sich absprachen.
Wutanfälle brauchen Übung
Ich zögere, Managern einen täglichen Wutanfall zu verschreiben, weil es doch potenzielle Nebenwirkungen gibt. In einem der wenigen Fälle, in denen ich gegenüber einem Kollegen wirklich die Fassung verloren habe, kostete es mich fast den ganzen Tag, sie wiederzugewinnen. So wie bei jeder Management-Technik braucht es Übung, damit normalerweise friedliche Menschen wie ich einen nützlichen Wutanfall entwickeln können, den sie kontrolliert an- und ausschalten können. Und damit die ewig Gereizten ihre Wut auf geeignete Situationen beschränken können.
Steve Jobs war der bekannteste aller wütenden Chefs. Er neigte zu Stimmungsschwankungen und war manchmal ein regelrechter Tyrann, keineswegs ein Vorzeigemanager. Sein Biograph Walter Isaacson erkennt an, dass diese Garstigkeit den Apple-Mitgründer mehr behindert hat als dass sie ihm geholfen hätte. Aber Isaacson schreibt dann auch, dass „Dutzende der Kollegen, die von Jobs am heftigsten misshandelt wurden, ihre Litanei der Horrorstories damit abschlossen, dass sie sagten, er habe sie dazu gebracht, Dinge zu tun, von denen sie nie geglaubt hätten, dass sie möglich sind“.
Wenn Ihnen also das nächste Mal heiß unter dem Kragen wird, dann fragen Sie sich: Was wird dieser heraufziehende Anfall bewirken – schlechte Gefühle und Stress? Oder das nächste iPhone?
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