Lieferketten Lieferkettengesetz: weder Schreckgespenst noch Papiertiger

In Vietnam arbeiten nur Frauen in Spinnereien.
In Vietnam arbeiten nur Frauen in Spinnereien.
© IMAGO / Hans Lucas
Bei der Gestaltung des umstrittenen Lieferkettengesetzes für neue menschenrechtliche Sorgfaltspflichten von Unternehmen hat der Gesetzgeber auf den letzten Metern Augenmaß bewiesen, meint der Rechtsanwalt Fabian Quast im Interview

Fabian Quastist Partner im Berliner Büro der Rechtsanwaltssozietät Hengeler Mueller, Experte für Öffentliches Recht und Regulierung, Compliance-Berater und Arbeitskreisleiter im Deutschen Institut für Compliance. Er hat intensiv das Gesetzgebungsverfahren zu Sorgfaltspflichten in Lieferketten beobachtet.

Herr Quast, ist das Gesetz zu menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten in Lieferketten aus Ihrer Sicht nun ein Schreckgespenst für die deutsche Wirtschaft oder letztlich ein Papiertiger, wie Kritiker sagen?

Ich halte es weder für das eine noch für das andere. Es ist auf den letzten Metern in der Ressortabstimmung noch viel Augenmaß in den Entwurf hereingekommen. Was vorher das Potenzial hatte, ein Schreckgespenst zu sein, ist doch weitgehend ins rechte Maß gerückt worden. Mit Blick auf Bußgelder und Dokumentationspflichten schießt der Entwurf allerdings nach wie vor deutlich über das Ziel hinaus. Man hätte sich auch gewünscht, dass der Gesetzgeber die einzuhaltenden Mindeststandards selbst definiert und nicht weitgehend auf eine Anlage und dort genannte völkerrechtliche Verträge verweist. Insgesamt wird auch viel vom Vollzug des Gesetzes durch das künftig zuständige Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle abhängen.

Das Gesetz soll im ersten Jahr Unternehmen mit mehr als 3000 Beschäftigten betreffen, danach ab 1000 Beschäftigten. Ist es richtig, die Einhaltung von Mindeststandards für Menschenrechte an die Unternehmensgröße zu binden?

Wohl jedes verantwortlich handelnde Unternehmen in Deutschland wird Ihnen bestätigen, dass die Einhaltung von Menschenrechten unabhängig von der Unternehmensgröße geboten ist. Und das halte ich auch für richtig. Gleichzeitig darf man nicht vergessen, dass die Umsetzung des neuen Sorgfaltspflichtengesetzes für die meisten Unternehmen einen ganz erheblichen Zusatzaufwand bedeuten wird. Dieser Aufwand ist für größere Organisationen deutlich leichter zu stemmen. Für kleinere Unternehmen kann dieser Zusatzaufwand hingegen eine unverhältnismäßige Belastung bedeuten.

Von welchem Aufwand sprechen wir denn?

Das wird sich erst im Laufe der Zeit verlässlich abschätzen lassen. Die Gesetzesbegründung geht von einer Steigerung des jährlichen Erfüllungsaufwands durch das neue Gesetz für die Wirtschaft in Höhe von rund 43,5 Mio. Euro aus. Das erscheint mir etwas niedrig geschätzt. Unternehmen werden voraussichtlich zahlreiche Stellen, beispielsweise im Einkauf und den Rechts- oder Compliance-Abteilungen, neu schaffen müssen. Gleichzeitig werden die Unternehmensprozesse deutlich komplexer. Das verursacht erfahrungsgemäß erhebliche Kosten.

Bei Verstößen können absehbar auch Bußgelder anfallen von maximal zwei Prozent eines Jahresumsatzes, wenn der über 400 Mio. Euro liegt. Halten Sie das für verhältnismäßig?

Die Bußgeldandrohungen scheinen mir insgesamt zu hoch, vor allem mit Blick auf den Umstand, dass diese schon bei einer mindestens leicht fahrlässigen Begehung ausgelöst werden können. Angesichts der Vielzahl von unbestimmten Rechtsbegriffen im Gesetz und der komplexen grenzüberschreitenden Materie wird es selbst für Unternehmen, die das neue Gesetz einhalten wollen, häufig nicht einfach sein, bei jeder einzelnen Maßnahme immer richtig zu liegen.

Haben Sie einen Vergleich zu anderen Tatbeständen?

Nach dem derzeit geltenden Rechtsrahmen im Gesetz über Ordnungswidrigkeiten beträgt die Geldbuße gegen juristische Personen und Personenvereinigungen soweit spezialgesetzlich keine abweichenden Regelungen vorgesehen sind im Falle einer vorsätzlichen Straftat bis zu 10 Mio. Euro und im Falle einer fahrlässigen Straftat bis zu 5 Mio. Euro. Hinzu kommt gegebenenfalls noch eine Abschöpfung unrechtmäßig erzielter Gewinne. Das hätte als Bußgeldobergrenze hier in jedem Fall ausgereicht. Beim Sorgfaltspflichtengesetz muss aber nicht einmal strafrechtlich relevantes Verhalten vorliegen, um unter Umständen eine deutliche höhere Bußgeldandrohung auszulösen. Zwar gibt es auch andere Spezialmaterien wie das Kartell- oder Datenschutzrecht, das umsatzbezogene, höhere Bußgeldandrohungen enthält. Allerdings wird das Unternehmen in den genannten Bereichen für eigene Rechtsverletzungen unmittelbar im eigenen Herrschaftsbereich verantwortlich gemacht. Wenn man beim Sorgfaltspflichtengesetz beispielsweise an die Nichtverhinderung einer Rechtsverletzung durch einen Zulieferer ein Bußgeld knüpft, liegt das wertungsmäßig deutlich anders.

Was wäre denn ein typisches Unternehmen, das sich jetzt auf dieses Gesetz mit menschenrechtlichen Standards umstellen muss?

Ein deutsches Unternehmen etwa aus dem produzierenden Gewerbe hätte beispielsweise die Pflicht, im eigenen und im Geschäftsbereich seiner ersten Zuliefererebene eine menschenrechtliche Risikoanalyse durchzuführen. Schon die erste Zuliefererebene sind beispielsweise bei Automobilherstellern häufig mehrere Zehntausend, nicht selten über 50.000 Zulieferer. Schon bei den unmittelbaren Zulieferern haben wir es also mit einem erheblichen Risikomanagementaufwand zu tun, der auf die Unternehmen zukommt. Und es ist sogar noch eine Erweiterung denkbar: Bei konkreten Hinweisen, dass bei nachgelagerten Zulieferern mögliche menschenrechtliche oder umweltbezogene Pflichtverletzungen vorkommen, erstrecken sich bestimmte Sorgfaltspflichten auch auf diese nachgelagerten Zulieferer.

Kann man sagen, welche Branchen am meisten betroffen sind?

Sicherlich wäre die Automobilindustrie – bekanntlich eines der Zugpferde der deutschen Wirtschaft – sehr intensiv betroffen, aber auch eine Vielzahl von anderen Unternehmen beispielsweise aus dem produzierenden Gewerbe, etwa die großen deutschen Sportartikelhersteller. Genauso vorstellbar sind größere Pharmaunternehmen, die bestimmte Vorprodukte beziehen. Die Gesetzesbegründung scheint sogar Finanzdienstleister unter bestimmten Voraussetzungen einzubeziehen. Wir sprechen also von einem übergreifenden Anwendungsbereich für sehr große Branchen.

Wie gut sind die Unternehmen vorbereitet?

Einige der größeren Unternehmen haben in der Vergangenheit schon entsprechende Mechanismen umgesetzt und führen risikobasierte Kontrollen durch. Sie setzen also im Wesentlichen schon um, was hier gefordert wird. Ein erheblicher Teil der Unternehmen tut das aber noch nicht. Wenn man sich die Ergebnisse der Befragung zum Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) ansieht, dann erfüllen nach der zweiten Runde bis jetzt erst bis zu 17 Prozent der teilnehmenden Unternehmen die Vorgaben. Das heißt, in der Wirtschaft besteht zumindest nach der Selbsteinschätzung der damals teilnehmenden Unternehmen noch Anpassungs- und Entwicklungsbedarf der Systeme. Auf Basis des NAP-Monitorings geht die Gesetzesbegründung davon aus, dass vom den 2891 Unternehmen mit 1000 Beschäftigten und mehr in Deutschland derzeit 636 Unternehmen die abgefragten Kriterien erfüllen, und 2255 diesen neu nachkommen müssen.

Für Unternehmen zwischen 1000 und 3000 Beschäftigten greift das Gesetz 2024. Reicht die Zeit zur Vorbereitung aus?

Ich glaube, für den sehr erheblichen Aufwand ist es ein sehr ehrgeiziges Ziel, mit den rund zwei bis zweieinhalb Jahren auszukommen. Für viele Unternehmen wird das eine erhebliche Herausforderung darstellen.

Was sagen Sie zu der Kritik, dass Menschenrechtsverletzungen vor allem am Beginn der Lieferketten stattfinden und damit von diesem Gesetz gar nicht erfasst werden?

Das Gesetz geht daran nicht vorbei, weil es noch einen Sicherheitsmechanismus gibt. Bei sogenannten mittelbaren Zulieferern gelten dann Sorgfaltspflichten, wenn man als Unternehmen einen substantiierten Hinweis bekommt, dass dort mögliche Menschenrechtsverletzungen vorliegen. Weitergehende Anforderungen würden die Unternehmen aus meiner Sicht in der großen Mehrzahl auch schlicht überfordern. Man muss sich nur die Zahl an Zulieferern anschauen, die das Unternehmen potentiell überwachen müsste, wenn man die Lieferkette in jedem Fall, das heißt verdachtsunabhängig stets bis ganz hinunter prüfen müsste. Auch verfassungsrechtlich können sich erhebliche Zweifel an der Verhältnismäßigkeit ergeben, wenn man beispielsweise einem deutschen Mittelständler die bußgeldbewährte Pflicht auferlegen würde, bis zu den letzten Ebenen der Rohstoffgewinnung auf anderen Kontinenten Prüfungen durchzuführen.

Wobei ein Mittelständler vermutlich nicht zehntausende Zulieferer hat ...

Das geht zum Beispiel gerade bei den Automobilzulieferern wirklich sehr, sehr schnell. Vielleicht nicht über 50.000 wie bei den großen Automobilherstellern. Aber selbst wenn ein großer Automobilzulieferer Tausend Zulieferer auf der ersten Stufe hat, dann fächert sich das von der Zündkerze oder Batterie bis zu anderen Komponenten extrem auf. Gerade bei bestimmten Metallen, insbesondere seltenen Erden, gibt es Produktionsregionen, bei denen es erhebliche Herausforderungen für ein deutsches Unternehmen bedeuten würde, die Einhaltung sämtlicher Standards bis zur letzten Ebene fortlaufend sicherzustellen. Die jetzige Regelung, bei konkreten Hinweisen auf Menschenrechtsverletzungen Prüf- und gegebenenfalls in bestimmtem Umfang Abhilfemaßnahmen zu treffen, ist auch schon eine erhebliche Herausforderung.

Die Industrie wehrte sich auch aus Gründen der Wettbewerbsnachteile ...

Das ist sehr gut nachvollziehbar. Wenn man als deutscher Gesetzgeber zu weitgehende Pflichten im Gesetz verankern würde, wäre das wettbewerblich im Verhältnis zu anderen europäischen Unternehmen oder auch den Wirtschaftsregionen USA und China ein erheblicher Nachteil für deutsche Unternehmen. Es gibt sicherlich ein Interesse, dass man wenigstens auf der europäischen Ebene ein 'Level Playing Field' schafft. Allerdings hat die EU schon angekündigt, über das deutsche Gesetz noch hinausgehen zu wollen. Das wird zwar noch etwas dauern, aber man muss natürlich auch fragen, ob man als Wirtschaftsregion dann nicht unverhältnismäßige Wettbewerbsnachteile erleidet.

Die Wirtschaft hat ja allgemein erleichtert reagiert, dass das Gesetz ziemlich entschärft wurde – vor allem dass keine Klagemöglichkeiten vorgesehen sind. Wie sehen Sie das?

Solche Klagemöglichkeiten hätten deutsche Unternehmen voraussichtlich anfällig für Missbräuche gemacht. Was wir international im Markt sehen, ist bereits teilweise eine richtiggehende Klageindustrie von international tätigen Kanzleien, die vermeintliche Sachverhalte aufgreifen, sich vermeintliche Ansprüche von Betroffenen abtreten lassen und daraus etwa Fonds auflegen für Kapitalanleger, die in solche Claims investieren können. Der deutschen Wirtschaft da eine Angriffsfläche aufzunötigen, scheint nicht zweckmäßig.

Stattdessen sieht man die sogenannte Prozessstandschaft vor?

Das bedeutet, dass inländische NGOs oder Gewerkschaften, die keine eigenen kommerziellen Ziele verfolgen, unter bestimmten Umständen die Rechte Dritter nach deutschen Prozessrecht geltend machen und hier in Deutschland durchsetzen können. Diese Voraussetzung hat man hier geschaffen, damit mutmaßliche Opfer mögliche Ansprüche geltend machen können. Mit dieser Regelung betritt man ein Stück weit juristisches Neuland.

Es soll auch eine Behörde geben, die die Umsetzung des Gesetzes überwacht, oder?

Genau. Dies soll das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, das sogenannte BAFA, sein. Das BAFA ist eine nachgeordnete Behörde des Bundeswirtschaftsministeriums und soll für die behördliche Durchsetzung und Kontrolle des Gesetzes zuständig sein. Die Rechts- und Fachaufsicht und damit letztlich auch die inhaltliche Steuerung, soll durch das Bundeswirtschaftsministerium erfolgen – allerdings im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wäre somit teilweise in die Aufsicht über das BAFA einbezogen, das neue Stellen und Referate, möglicherweise auch neue Abteilungen erhalten wird.

Es gab von Wirtschaftsverbänden noch Kritik an einer Reihe unklarer Rechtsbegriffe. Ist die gerechtfertigt?

In der Tat sind die Pflichten, deren Verletzung mit Bußgeld bewehrt ist, teilweise weit und unbestimmt formuliert. Eine der zentralen Pflichten des Unternehmens ist beispielsweise unverzüglich angemessene Abhilfemaßnahmen zu ergreifen, um eine Verletzung von Menschenrechten zu verhindern, zu beenden oder zu minimieren. Ich kann mir gut vorstellen, dass es in der Praxis eine erhebliche Herausforderung sein wird, zu bestimmen, was konkret das Unternehmen tun muss, gerade wenn es um den Bereich von Zulieferern geht, erst recht bei nur sogenannten mittelbaren Zulieferern, zu denen das Unternehmen keine vertragliche Beziehung hat. Es soll zwar unter anderem Handreichungen des BAFA geben, Informationen, Empfehlungen und so weiter. Ein Großteil wird sich aber voraussichtlich erst durch die Praxis und möglicherweise auch die Gerichte klären lassen.

Wird sich im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren noch wesentlich etwas ändern?

Es würde mich überraschen, wenn sich noch wesentliche Änderungen ergeben würden. Das Gesetz dürfte nach der langen Ressortabstimmung weitestgehend feststehen. Im Gesetzgebungsverfahren mag zwar noch eine gewisse Modifizierung erfolgen - oder vielleicht auch eine Präzisierung von Formulierungen, ich gehe aber davon aus, dass das Grundkonzept so bestehen bleibt und dann auch ins Gesetz kommt.

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