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Kommentar Kulturwandel in Europa

Die EU bewegt sich langsam auf eine Bankenunion zu. Und hat dabei im Stillen eine Revolution vollzogen: Auch Sparer haften für marode Banken. Von Ines Zöttl
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Der Niederländer Jeroen Dijsselbloem dürfte in den vergangenen Wochen etwas gelernt haben: In Europa kommt es nicht so sehr darauf an, was man sagt, sondern wann man es sagt. Als der noch unerfahrene Eurogruppenchef im März andeutete, das Vorgehen in Zypern könnte ein Modell für künftige Rettungsaktionen in der Eurozone sein, erntete er helle Empörung. Denn dort war ein Exempel statuiert worden: Auch die Sparer mussten für die Sanierung der Banken bluten. Deswegen war Dijsselbloems Kommentar brisant: Wenn Spanier oder Portugiesen befürchten müssten, dass ihnen das gleiche Schicksal wie den Zyprern droht, könnten sie vorsorglich die Banken stürmen. Der Niederländer musste schnell zurückrudern und hatte seinen Spitznamen weg: Dusselbloem.

Dusselloem ist nun wieder Dijsselbloem. Denn ein paar Wochen später haben die Finanzminister genau das Modell Zypern beschlossen. Sie vereinbarten Haftungsregeln für überschuldete Banken, die ab 2018 gelten sollen. Danach gibt es eine Rangfolge des „Bail-in“: An erster Stelle sind, bis zu einer bestimmten Schwelle, Aktionäre und Gläubiger dran. Wenn das nicht reicht, werden auch die Einleger zur Kasse gebeten – oberhalb der 100.000 Euro, die künftig europaweit garantiert sind. Erst wenn deren Quote ausgeschöpft ist, muss der Steuerzahler einspringen.

Ines Zöttl
Ines Zoettl
© Trevor Good

Damit hat die EU eine stille Revolution vollzogen: Wer hätte sich noch vor kurzem vorstellen können, dass es auch Sparern an den Kragen gehen könnte? Was kann der Häuslebauer, der Mittelständler, der Familienvater dafür, wenn die Bank, der er vertraut, sich als Casino erweist? Man erinnere sich an die Garantie, die Kanzlerin Angela Merkel und ihr damaliger Finanzminister Peer Steinbrück 2008 abgaben. „Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind. Auch dafür steht die Bundesregierung ein." Ein Versprechen mit beschränkter Haftung. In Zypern fand der Kurswechsel statt. Verkauft hat man ihn damit, dass es sich bei den Sparanlagen wohl um „böses“ russisches Schwarzgeld handele – und damit mir nichts, dir nichts ein Prinzip etabliert, das künftig für alle in Europa gilt.

Abwegig ist dieser Weg trotzdem nicht. Die Sparer stecken eben mit drin – mehr als der Steuerzahler. Schon oft in der Geschichte sind Banken kollabiert, und das Geld war dann einfach futsch. Die neuen Regeln setzen nun immerhin einen fixen Rahmen für Bankenpleiten.

Insgesamt sind die Beschlüsse der Finanzminister ein wichtiger Fortschritt: Dass in den vergangenen Jahren der Steuerzahler immer einspringen musste, wenn Banken wankten, kratzte an der Legitimität der Gemeinschaft genauso wie der der Marktwirtschaft insgesamt. Stichwort: Privatisierung der Gewinne, Sozialisierung der Verluste. Und die Eurokrise der vergangenen Jahre wurde explosiv verstärkt durch die Unsicherheit, wer wann wie für Rettungspakete einspringen muss.

Auf dem Weg zur Bankenunion ist die EU in den letzten Wochen ein Stück weiter gekommen. Erste Regeln wurden auch ausgehandelt, inwieweit Nationalstaaten bzw. der zentrale Hilfsfonds ESM Banken helfen sollen, und was die zentrale europaweite Aufsicht durch die EZB angeht. Wie immer in Europa ist es nicht ohne Streit, Lobbyinteressen, Zugeständnisse und Kompromisse abgegangen. Perfekt ist keine der Regeln und längst ist nicht alle getan. Doch die größte Gefahr ist auch diesmal der Zeitpunkt: Die Eurokrise könnte mal wieder schneller sein als Europas Politiker.

Foto: © Glow Images; Trevor Good

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