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Management Komplexe Situationen, einfache Antworten

Viele Menschen blenden in komplexen Situationen einen Teil der Realiät aus. Von Lars Vollmer
Schwierige Verhandlungen in Brüssel: Die Griechenland-Krise ist äußerst komplex mit vielen Facetten, Interessen und Playern - Foto : European Union
Schwierige Verhandlungen in Brüssel: Die Griechenland-Krise ist äußerst komplex mit vielen Facetten, Interessen und Playern - Foto : European Union
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Lars Vollmer plädiert dafür, Unternehmen völlig neu zu denken. Er ist Redner und Autor - unter anderem hat er das Buch "Wrong Turn – Warum Führungskräfte in komplexen Situationen versagen" veröffentlicht. Folgen Sie ihm auf Twitter

„Die Griechen haben ihr Land doch selbst heruntergewirtschaftet. Sie haben freiwillig weit über ihre Verhältnisse gelebt – und jetzt sind wir es, die sie sanieren sollen?“

„Kein Wunder, dass Griechenland am Boden ist – bei der Korruption in Politik und Wirtschaft!“

„Deutschland hat nach dem Krieg die Schulden erlassen bekommen – es ist unsere moralisch Pflicht, jetzt auch Griechenland beizustehen.“

„Deutschland muss immer alles zahlen. Und dafür müssen wir uns auch noch beschimpfen lassen. So nicht!“

Ich könnte mit dieser Aufzählung ewig weitermachen – eine endlose Liste von Meinungen zur Griechenlandkrise. Schließlich sind die Medien und die Köpfe der Menschen voll davon.

Ich tue es aber nicht. Und schon gar nicht will ich mir hier ein Urteil über die Situation in Griechenland erlauben. Wie könnte ich auch! Denn ich kenne mich im Detail viel zu wenig aus, um einen seriösen Beitrag zu der Diskussion leisten zu können. Nebenbei: Wie viele der aktuellen Kommentatoren haben bessere Informationen als ich?

Aber egal: Die Krise und all die Diskussionen drum herum finde ich trotzdem faszinierend. Denn sie sind geradezu ein Paradebeispiel für eine komplexe Situation. Ja, deutlicher geht es fast nicht.

Ausschnitte aus der Realität

Da ist diese unüberschaubare Vielzahl von Playern, die in irgendeiner Art und Weise auf die Situation einwirken: EZB, IWF, EU, USA, Russland, die Börsen, die nationalen Regierungen von zig Staaten, Banken, Fonds … Jeder davon hat seine eigene Agenda, seine eigenen Taktiken und hat im Allgemeinen seine ganz besonderen Werte, seinen ganz besonderen Stil, seine ganz besondere Kultur. Es gibt außerdem noch die einzelnen Politiker der verschiedenen Länder sowie die Vertreter der unterschiedlichsten Geldgeber – alles ganz individuelle Typen – und all das birgt eine riesige Menge Überraschungen.

Natürlich kann niemand eine solch komplexe Situation rational durchdenken. Handeln müssen die Player aber trotzdem – irgendwie.

Und dann gibt es noch die Zuschauerränge – Menschen wie Sie und ich, die nicht unmittelbar an den Entscheidungen beteiligt sind und kein Mitspracherecht haben. Aber auch die versuchen, sich einen Reim auf die Situation zu machen.

Wie das geht? Kurz gesagt: Durch Geschichten. Damit meine ich jetzt natürlich nicht Grimms Märchen, sondern Narrative wie oben, die einen kausalen Zusammenhang herstellen zwischen der Situation und ihrem angeblichen Ursprung.

Der Mensch wählt Ausschnitte aus der Realität, die er als Wahrheit erachtet und weiterspinnt, bis er eine Kausalität gefunden hat, die die Situation für ihn plausibel erklärt. Alles andere wird ignoriert. Nicht aus Boshaftigkeit oder Desinteresse, sondern um die Komplexität zu reduzieren, weil sie in ihrer ganzen Pracht schlicht nicht zum Aushalten ist.

Reduktion von Komplexität findet auch in Unternehmen statt

Überlegen Sie doch mal: Sie würden ja durchdrehen, wenn Sie in jeder Situation jeden einzelnen Aspekt im Auge behalten, beobachten und einordnen müssten. Es ist nur menschlich und völlig in Ordnung, Dinge auszublenden, die für Sie nicht von Belang sind und auf die Sie keinen Einfluss haben.

So kann es die Deutsche Bank beispielsweise gut ausklammern, wenn Bastian Schweinsteiger Bayern München verlässt. Das tut ihr nicht weh, das hat keine Folgen. Wenn Griechenland in den nächsten Jahren aber weitere 80 Mrd. Euro benötigen wird, dann kann sie das nicht ignorieren.

Die Reduktion von Komplexität findet natürlich auch in jedem Unternehmen statt:

„Wenn der Vertriebsleiter nur etwas nachgiebiger gewesen wäre, hätten wir den Auftrag in China bekommen. Mit dem bleibt unser Asien-Geschäft auf der Strecke!“

„Wir haben unseren Entwicklungsvorsprung der letzte Jahrzehnte verloren, weil wir das eine Produkt nicht rechtzeitig zur Messe fertigbekommen haben. Das vergessen uns die Kunden nicht so schnell.“

Gefahr von Fehlentscheidungen

Auch hier wird die Komplexität der Situation ignoriert, in Narrative umgewandelt. Und solange Sie keiner der Entscheidungsträger sind, können Sie sich das auch erlauben. Als Manager, Chef, Abteilungsleiter etc. ist eine solche Trivialisierung aber gefährlich. Denn sie steigert die Wahrscheinlichkeit, dass Sie auf die komplexe Situation mit einfachen oder komplizierten Maßnahmen reagieren – und das bedeutet: Fehlentscheidungen treffen.

Ja, Narrative sind wie süßes Gift: Sie liegen irgendwo rum, und wenn Sie auf eines treffen, dann fühlen Sie sich gut, weil Sie glauben, ein Packende gefunden zu haben. Am Ende brauchen Sie aber eine Unmenge an Gegengift, um die Folgen der Fehlentscheidung zu heilen – sofern das überhaupt möglich ist.

Ein ganz besonderes Beispiel von Komplexitätsreduktion hat auch die Griechenland-Krise hervorgebracht: Die Reduzierung auf die zwei Entscheidungsoptionen „oxi“ und „nai“ – nein und ja– bei der Volksabstimmung war wohl die Maximaltrivialisierung einer komplexen Situation. Irgendwie verständlich, weil menschlich. Aber am Ende wurde dadurch vermutlich alles nur noch schlimmer.

Amüsant finde ich die Vorstellung, elf Millionen Griechen hätten je einen Aufsatz darüber schreiben sollen, wie sie sich den Umgang mit der Situation vorstellen. In einer demokratischen Welt ist das natürlich nicht praktikabel. Die Handlungsvielfalt wäre noch gestiegen und die Komplexität hätte noch weiter zugenommen. Der Situation wäre es aber gerechter geworden…

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