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Analyse Teure Freundschaften

In der vergangenen Woche trafen sich das chinesische Staatsoberhaupt Xi Jinping und Frankreichs Premierminister Emanuel Macron zu bilateralen Gesprächen
In der vergangenen Woche trafen sich das chinesische Staatsoberhaupt Xi Jinping und Frankreichs Premierminister Emanuel Macron zu bilateralen Gesprächen
© IMAGO/Xinhua
Die Abwicklung der Globalisierung kostet Wohlstand und Wachstum. Europa hat deshalb allen Grund, sich nicht einfach von China abzuwenden – allen Sicherheitsbedenken und Wertedebatten zum Trotz

Vor bald zwei Jahren trafen wir Werner Baumann, den damals bereits nicht unumstrittenen Bayer-Boss (der nun Ende Mai seinen Posten offiziell räumen wird). Das Gespräch kreiste im Grunde genommen um eine große Frage: Was lernen wir aus Krisen? Aus seiner eigenen mit der Übernahme von Monsanto, und aus der Corona-Pandemie. Baumann sagte dabei einige Sätze, an die ich in dieser Woche gleich mehrfach denken musste: „Wir müssen die Lieferketten diversifizieren und nicht regionalisieren“, sagte Baumann, und fügte hinzu: „Also mehr internationale Arbeitsteilung und nicht weniger. Alleingänge bringen nur neue Probleme.“

Damals ging es um gestörte Lieferketten, fehlende Rohstoffe und Vorprodukte für die Industrie und die Impfstoffherstellung. Seither sind zwei Jahre vergangen und die Welt hat sich weitergedreht: Ukraine-Krieg, Energiekrise, die zugespitzte Konfrontation mit China. Und man muss sagen: Baumann hat mit seiner Warnung damals Recht behalten. Die Entflechtung der globalisierten Wirtschaft, die mit all diesen Schocks und Krisen immer weiter voranschreitet, wird teuer.

In dieser Woche hat die Welt gewissermaßen eine erste, überschlägige Rechnung präsentiert bekommen. Das Zurückholen der Produktion, oder wie man jetzt so sagt, das Re- und Friendshoring, kostet viel Geld. Und zwar nicht einmalig, weil man irgendwo eine Fabrik neu bauen muss, sondern langfristig und dauerhaft. Das Denken in alten Bündnissen und Allianzen, die Abwicklung von etablierten Lieferketten in Asien und der Aufbau einer heimischen oder wenigstens europäischen Produktion treibt die Preise und schmälert auf Jahre hinaus unsere Wachstumsaussichten.

IWF: Eurozone wächst schwächer als der Rest der Welt

So lässt sich jedenfalls verstehen, was der Internationale Währungsfonds (IWF) diese Woche in Washington vorgelegt hat. Für die gesamte Weltwirtschaft sagt der IWF in diesem Jahr noch ein Wachstum um 2,8 Prozent voraus, das ist der schwächste Wert seit 1990. Und die Aussichten werden nicht wirklich besser: Auch für 2024 gehen die Volkswirte in Washington noch von 3,0 Prozent Plus aus. Es leiden alle: China wächst in diesem und im nächsten Jahr um 4,5 bis 5 Prozent, die USA um 1 bis 1,5 Prozent. Und Deutschland und die Eurozone entwickeln sich noch schwächer – zwischen minus 0,1 Prozent in diesem und plus 1,1 Prozent im kommenden Jahr (für die Eurozone werden plus 0,8 und plus 1,4 Prozent erwartet).  

Auch darüber hinaus ist nicht erkennbar, wo und wie in den kommenden fünf bis zehn Jahren das Wachstum zurückkehren soll – bei zugleich deutlich erhöhten Inflationsraten (die zwar runterkommen werden, aber wahrscheinlich noch lange eher bei 4 bis 5 als bei zwei Prozent liegen werden). „Wir sind besorgt über die langfristigen Wachstumsaussichten, nicht nur mit Blick auf die nächsten ein oder zwei Jahre, sondern im Zeitraum von fünf Jahren und mehr“, sagte der IWF-Chefvolkswirt Pierre-Olivier Gourinchas bei der Präsentation seines neuen Berichts.

Es ist die Quittung für eine Politik, die mit dem Brexit-Votum im Juni 2016 und der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten begonnen hat. Es brauchte in Wahrheit keine Pandemie, um die Welt zu infizieren, das Virus war schon da: die Idee, dass man allein besser dasteht als zusammen. Diese Idee nimmt keine Rücksicht auf Kostenkalküle, auf Arbeitsteilung und eingespielte Produktionsketten – sie setzt auf Symbole, schielt auf den kleinen unmittelbaren Vorteil für das eigene Land und hofft darauf, dass die langfristigen Kosten so schnell niemand merkt.

Das Corona-Virus und nun auch noch die Neuordnung der Welt nach dem Angriffskrieg Russlands, sie kamen nur obendrauf und haben eine Tendenz verstärkt, die schon zuvor angelegt war. Das zeigt sich auch daran, dass US-Präsident Joe Biden Trumps Politik nicht nur fortsetzt, sondern verschärft – lediglich mit einem etwas freundlicheren Auftritt gegenüber seinen europäischen Partnern.

Diese Politik hat ganz konkrete Folgen: Sollte Deutschland etwa, wie von den USA seit langem gefordert und zuletzt vom „Handelsblatt“ berichtet, Bauteile des chinesischen Huawei-Konzerns aus dem deutschen 5G-Netz verbannen, dürfte das deutsche Konzerne wie die Telekom und deren Kunden viele Milliarden extra kosten. In den USA etwa sollen sich die Kosten für eine solche Operation allein an Funkmasten in der Nähe von Militäranlagen bereits auf fast 5 Milliarden US-Dollar belaufen. Dagegen werden die 750 Millionen Euro lächerlich wirken, die Deutschland in der Pandemie ausgab, um wieder eine nationale Impfstoffproduktion aufzubauen. Allein den Bau einer gewaltigen neuen Chipfabrik des US-Konzerns Intel bei Magdeburg will die Bundesregierung mit mindestens knapp 7 Mrd. fördern. Und zwar nicht, weil die Chips aus deutscher Produktion besonders leistungsfähig wären – sondern einzig und allein, weil man sich auf die internationalen Lieferketten nicht mehr verlassen kann oder will. Ähnlich sieht es bei neuen Werken zur Produktion von Batterien für E-Autos aus.

Es gibt für diese Re-Nationalisierung natürlich Gründe – eben die Erfahrungen aus der Pandemie, als plötzlich Autofabriken stillstanden, weil die Teile aus China fehlten. Auch schaut man heute auf das säbelrasselnde China, das sich hochrüstet und mit Flugzeugträgern und Kampfflugzeugen die Eroberung Taiwans probt, anders als vor 15 Jahren. Hinzu kommt, dass es aus Klimaschutzgründen nicht verkehrt ist, die eine oder andere Containerladung aus Asien durch heimische Produktion zu ersetzen. Aber die Folgen sind teuer, und sie werden unseren Wohlstand auch in fünf oder zehn Jahren noch schmälern.

Macron erweist Europa einen Bärendienst

Dass die schwachen Wachstumsaussichten aus Washington zusammenfielen mit den diversen Besuchen europäischer Politiker in Peking diese Woche, war deshalb mehr als nur ein Zufall. Es geht in China derzeit viel um Geopolitik, um Sicherheit, aber es geht für Europa eben auch um Wirtschaft und Handel. Die Äußerungen von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Europa müsse gegenüber China eine eigene Haltung vertreten und dürfe sich nicht zum Vasallen Washingtons machen, waren sowohl zeitlich als auch inhaltlich hochgradig ungeschickt und stümperhaft, insbesondere mit Blick auf eine mögliche Invasion Chinas in Taiwan. Aber die dahinter liegende Forderung war deshalb nicht grundfalsch.

Die USA verfolgen gegenüber China seit Jahren eine Politik der Eindämmung und Eingrenzung, die mindestens so sehr aus innenpolitischen Motiven gespeist wird wie aus Sorge um den Frieden in der Welt. Es geht den Amerikanern um die eigene Vormachtstellung im Pazifik, weniger um Europas Sicherheit oder Wohlstand. 

Es war deshalb nicht so interessant, wer sich in dieser Woche alles über Macron empörte – allen voran der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen. Sondern wer es vorzog, zu schweigen. Etwa der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz. Gut, der schweigt meistens zu wichtigen Debatten – in diesem Fall aber wird sein Schweigen eben nicht nur kalkuliert, sondern auch klug gewesen sein. Scholz weiß, dass Deutschland und Europa eine eigene Haltung gegenüber Europa finden müssen – eine, die Handel, Investitionen und Dialog weiterhin erlaubt. 

Dies gilt umso mehr, als die harte Haltung Washingtons auch US-Unternehmen nicht davon abhält, mit China weiter intensiven Handel zu betreiben. Allen Sanktionen und verbalen Einschüchterungen zum Trotz erreichte der Warenaustausch zwischen den USA und China im vergangenen Jahr einen neuen Rekordwert, nämlich 690 Mrd. Dollar. Wenn so das von der US-Regierung geforderte De-Coupling zwischen China und dem Westen aussieht, sollten  sich die Europäer daran tatsächlich ein Beispiel nehmen.

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