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Kolumne Kein Land in Sicht für Thyssenkrupp

Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
© Martin Kress
Die neusten Zahlen von Thyssenkrupp geben kaum Hoffnung für das Traditionsunternehmen. Auch eine andere Strategie kann daran wenig ändern. Bernd Ziesemer über einen Konzern in Agonie

Kann ein Konzern, der in den nächsten Monaten über 17 Mrd. Euro aus dem Verkauf einer Sparte einkassiert, trotzdem pleitegehen? Diese ungewöhnliche Frage stellen sich offenbar die Eigentümer von Thyssenkrupp, wie man an dem Kurs der Aktie ablesen kann. Zur Börseneröffnung am Dienstag stürzte sie nach den neusten Geschäftszahlen um zehn Prozent ab. Der ganze Konzern war damit nicht einmal mehr 3 Mrd. Euro wert. Könnten die Aktionäre, wie sie wollten, würden sie also gern die 17 Mrd. Euro aus dem Verkauf der Aufzugssparte nehmen und schnell das Weite suchen, denn alle anderen Sparten sind offenbar in der gegenwärtigen Lage nichts mehr wert. Leider können sie es nicht.


thyssenkrupp Aktie


thyssenkrupp Aktie Chart
Kursanbieter: L&S RT

Eine Pleite müssen sie zwar ernsthaft kurz- und mittelfristig nicht erwarten. Wohl aber eine Fortsetzung der Agonie, die nun schon seit vielen Jahren anhält. Thyssenkrupp leidet unter den Folgen der Corona-Krise wie kein anderer Industriekonzern in Deutschland, wie die Vorstandschefin Martina Merz betont. Das ist wahr – aber es ist auch nur die halbe Wahrheit. Die Krise offenbart nur die Anfälligkeit des ganzen Geschäftsmodells.

Thyssenkrupp hat kaum noch Spielraum für eine Reform

Schon vor der Pandemie reichte jede Erschütterung aus, um Thyssenkrupp tief in die Verlustzone zu drücken. In der ersten Hälfte des laufenden Geschäftsjahrs, das bis Ende September 2020 läuft, hat sich das Eigenkapital des Konzerns erneut nahezu halbiert. Insgesamt verbrannte der Konzern in nur sechs Monaten 2,7 Mrd. Euro. Ohne den Milliardenkredit der staatlichen KfW würde Thyssenkrupp nicht durchhalten, bis die 17 Mrd. Euro in der Kasse klingen.

Die Vorstandschefin will noch im Mai ihre neue Strategie für den Konzern vorstellen . Lange warteten die Aktionäre sehnlichst darauf. Aber inzwischen ist klar: Der Spielraum für eine Konzernreform an Haupt und Gliedern ist durch die Corona-Krise und zahlreiche andere anhaltende Probleme denkbar klein geworden. Es brennt an zu vielen Ecken und Enden in dem verschachtelten Unternehmen, das keinen klaren Fokus besitzt und sich in zu vielen Bereichen tummelt, die keinerlei Synergien ermöglichen. Und die hohen Buchwerte, mit denen viele Teilfirmen in der Bilanz stehen, macht jeden Verkauf zu einem Verlustgeschäft.

Eine Rosskur ist unumgänglich

Zieht man von den 17 Mrd. Euro das Geld ab, das zur dringend notwendigen Stärkung des viel zu niedrigen Eigenkapitals und für die Pensionslasten verplant ist, zieht man weiter die operativen Verluste ab, die auch für den Rest dieses Jahres zu erwarten sind, dann bleibt nicht allzu viel übrig. Die restlichen Milliarden Euro dürften höchstens ausreichen, den Fortbestand eines Restkonzerns rund um den Stahl für weitere zwei bis drei Jahre zu sichern. Danach müsste Thyssenkrupp endlich seine Kapitalkosten erwirtschaften und nachhaltige Gewinne machen. Doch das wäre fast ein Wunder.

Eigentlich müsste der Konzern so rigoros sanieren und Personal abbauen wie in einem Insolvenzverfahren. Doch das ist nicht möglich in Deutschland – und bei Thyssenkrupp schon gar nicht. Insofern sind die 17 Mrd. Euro, die demnächst zu erwarten sind, sowohl Segen als auch Fluch für den Konzern.

Bernd Ziesemerist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint regelmäßig auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen.

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