Anzeige

Kommentar Kampf dem Hunger

Leider ist das Problem der Unterernährung auf der Welt noch lange nicht gelöst. Wachstum und soziale Sicherheit sind notwendig, um den Hunger auf der Welt zu besiegen. Von Jomo Kwame Sundaram
Markt in Afrika: Ernährung ist vor allem in armen Ländern ein Problem
Markt in Afrika: Ernährung ist vor allem in armen Ländern ein Problem
© Getty Images

Mindestens 842 Millionen Menschen weltweit leiden unter chronischem Hunger – das sind knapp 1,5 Prozent weniger als die 854 Millionen, die für 2010 bis 2012 vorhergesagt wurden. Es wurden also Fortschritte erzielt, trotzdem muss die Welt noch einen weiten Weg bis zur Beseitigung der Unterernährung gehen.

Während die Staats- und Regierungschefs rund um den Erdball über das richtige Vorgehen beraten, kann ein Bericht der Welternährungsorganisation, dem Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung und dem Welternährungsprogramm als wichtige Ressource dienen. Der Bericht mit dem Titel „Die Situation der Ernährungsunsicherheit auf der Welt“ (SOFI 2013) bietet aktuelle Daten zum Thema Unterernährung und Fortschritt beim Erreichen der Ziele der Hungerbekämpfung, die von den Millenniums-Entwicklungszielen und dem Welternährungsgipfel festgelegt wurden.

Die Fortschritte bei den Entwicklungszielen sind unterschiedlich. Während viele Entwicklungsländer, wo 827 Millionen der unterernährten Menschen leben (gegenüber 838 Millionen 2010-2012), den Anteil der Hungernden im Vergleich zu 1990 bis 2015 halbieren werden, ist der Rückgang im Durchschnitt nicht ausreichend, um die Vorgaben für die nächsten zwei Jahren zu erreichen. Das noch ehrgeizigere Ziel des Welternährungsgipfels, die Gesamtanzahl der Hungernden weltweit zu senken, ist sogar noch weiter entfernt, die Zahl der unterernährten Menschen ist seit 1990-1992 um lediglich 17 Prozent gesunken.

Grenzwert für extreme Armut

Wie aus SOFI 2013 hervorgeht, hat sich der Fortschritt bei der Bekämpfung von Hunger und Unterernährung seit 2000 verlangsamt, als die Nahrungsmittelpreise anfingen, zu steigen, nachdem sie fast ein halbes Jahrhundert lang gesunken waren. Wenngleich durch das rasche Wirtschaftswachstum in weiten Teilen der entwickelten Welt das Pro-Kopf-Einkommen gestiegen ist, sind die Einkommenszuwächse doch nicht gleichmäßig verteilt, so dass hunderte Millionen Menschen höhere Lebensmittelpreise ohne entsprechende Einkommenssteigerungen zahlen müssen.

Die Weltbank orientierte sich bei der Festlegung ihres Schwellenwerts für extreme Armut auf 1 Dollar pro Tag ursprünglich an den Lebensmitteln, die ausreichend sind, um nicht zu hungern. Bei späteren Anpassungen – so zum Beispiel 2005 auf 1,25 Dollar pro Tag – scheint diese Verknüpfung verloren gegangen zu sein. Heute reicht die Grenze für extreme Armut nicht mehr zur Vermeidung von Unterernährung aus – zum Beispiel in Nicaragua. Obwohl sich der Anteil der Menschen, die 1990 in extremer Armut lebten, bis 2010 halbiert hat, muss erheblich mehr getan werden, um die Unterernährung bis 2015 ebenso zu halbieren.

Wichtige Geldtransfers

In der Zwischenzeit haben Geldtransfers in den vergangenen fünf Jahren trotz rückläufiger Beschäftigung von Migranten und sinkender Einkommen dazu beigetragen, Armut zu bekämpfen, Hunger zu verringern, Ernährung zu verbessern und Investition in die Landwirtschaft zu erhöhen. Global sind die Transferzahlungen fast dreimal so hoch wie die offizielle Entwicklungshilfe, die in den reichen Ländern in den vergangenen Jahren teilweise Sparmaßnahmen zum Opfer fiel.

Jomo Kwame Sundaram ist stellvertretender Generaldirektor und Koordinator für Wirtschafts- und Sozialentwicklung der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen
Jomo Kwame Sundaram ist stellvertretender Generaldirektor und Koordinator für Wirtschafts- und Sozialentwicklung der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen

Der SOFI 2013-Bericht beschreibt auch die anhaltenden und deutlichen Unterschiede der einzelnen Regionen untereinander. Ostasien, Südostasien und Lateinamerika, drei Regionen, die in den vergangenen Jahrzehnten ein besonders schnelles Wirtschaftswachstum verzeichneten, schnitten bei der Bekämpfung des Hungers am besten ab. Das Afrika südlich der Sahara hat nach einem Vierteljahrhundert wirtschaftlicher Stagnation im letzten Jahrzehnt einige Fortschritte gemacht, weist aber noch immer die höchste Unterernährungsquote der Welt auf. Erfolge in Südasien und Nordafrika waren bescheiden, während sich die Bedingungen in Westasien sogar verschlechterten.

Hunger und Mangelernährung sind letztlich Folgen des Nahrungsenergieangebots und treten häufig zusammen auf. Aber meistens tritt Unterernährung, die sich beispielweise am Anteil der Kindern mit Wachstumsstörungen zeigt, viel häufiger auf als das geschätzte Vorkommen von Mangelernährung. Daher werden Maßnahmen zur Verbesserung der Ernährung in Landwirtschaft, Schulen, Gesundheitssystemen, Wasserversorgung und andernorts benötigt, ganz besonders ausgerichtet auf Frauen und Kleinkinder.

Notwendige Agrarreformen

Anstrengungen zur Sicherstellung von nachhaltigem und inklusivem Wirtschaftswachstum sind auch unbedingt erforderlich. Die lang anhaltende Abschwächung des Wirtschaftswachstums hat in den letzten fünf Jahren auch die widerstandfähigsten Winkel der Entwicklungsländer erreicht, daher ist Vollbeschäftigung in den meisten Ländern zumindest in absehbarer Zukunft unwahrscheinlich. Allerdings kann noch viel getan werden, um die Beschäftigungsaussichten der Menschen zu verbessern und damit ihre Fähigkeit, die Nahrungsmittel zu kaufen, die sie und ihre Familien brauchen.

In vielen Fällen könnten umfassende Reformen für ausreichende Investitionen in der Landwirtschaft sorgen und eine angemessene soziale Absicherung bieten, wodurch sich Armut und Hunger weiter verringern ließen. Das bedeutet auch, dass die Menschen Zugang zu Trinkwasser und sauberen Sanitäranlagen haben müssen.

Mit dem richtigen Zuschnitt könnten Maßnahmen für die soziale Sicherheit erheblich zur Verringerung von Mangelernährung beitragen. Beispielsweise können bestimmte Leistungen unter der Bedingung vergeben werden, dass sie Ernährungsprogrammen vor und nach der Geburt zugute kommen, die sich an Mütter und Kinder im Vorschulalter richten.

Durch gut konzipierte Programme für Schulessen ist es Kindern bereits möglich, Hunger zu überwinden – auch den „versteckten Hunger“ durch mangelnde Mikronährstoffe. Damit zusammenhängende Schritte zur Beschaffung von Nahrungsmitteln haben zur Entstehung Kleinbauern-Kooperativen beigetragen, die nachhaltige Landwirtschaft betreiben. Maßnahmen dieser Art – zusammen mit Initiativen zur Verbesserung der Einkommen der Menschen – helfen auch bei der Entwicklung des ländlichen Raums, stimulieren Märkte und fördern die Schaffung von Arbeitsplätzen.

Eine langfristige politische Verpflichtung zur Beseitigung von Hunger und Mangelernährung – unterstützt durch entschlossenes Handeln – ist der Schlüssel für die Verbesserung der Gesundheit und der Unterstützung von nachhaltigem, inklusivem Wirtschaftswachstum weltweit. Ein guter Anfang ist bereits gemacht, jetzt ist es an der Zeit, die Aufgabe zu Ende zu bringen.

Aus dem Englischen von Eva Göllner

Copyright: Project Syndicate, 2013.
 www.project-syndicate.org

Neueste Artikel