Sven Giegold ist seit 2009 Abgeordneter im Europäischen Parlament für die Grünen. Er ist zudem Mitbegründer von Attac-Deutschland sowie des Tax Justice Network.
Im Wettbewerb um attraktive Arbeitgeber war sich jedes Land schon immer das nächste. Großzügige Steuerregeln sind ein beliebtes Mittel zur Standortpflege. Innerhalb der EU haben Länder wie Irland, die Niederlande und Luxemburg auf diese Weise große Konzerne angelockt. Während der allgemeine Tatbestand längst bekannt war, haben die als Lux-Leaks offen gelegten geheimen Absprachen zwischen Luxemburg und 343 Unternehmen gezeigt, mit welcher Dreistigkeit Luxemburg dabei vorgegangen ist. Die öffentliche Empörung angesichts des Lux-Leaks Skandal könnte zur Geburtsstunde einer echten europäischen Steuerpolitik werden, die endlich den Sumpf der Steuervermeidung von Multinationalen Konzernen trocken legt.
Juncker war Staatschef und Finanzminister der größten Steueroase Europas. Eine Oase, die sich unter seiner Ägide traumhaft entwickelte, indem sie den Nachbarländern das Wasser abgrub. Während in Luxemburg die Einnahmen sprudelten, mussten die übrigen europäischen Staaten darben. Fast doppelt so schnell ist das BIP in Luxemburg als in seinen Nachbarländern gewachsen. Knapp 83.000 Euro pro Einwohner beträgt das BIP in Luxemburg. 2,64 Mal so viel wie der Durchschnitt in der EU und über doppelt so hoch wie in Deutschland. Dank Junckers laxer Steuergesetze und vor allem dank der noch laxeren Auslegung wurde Luxemburg zum mit Abstand reichsten Land in Europa.
Junckers Glaubwürdigkeit ist beschädigt
Luxemburg entwickelte sich zum Finanz-Mekka. Die Finanzindustrie macht 2400 Prozent des Luxemburger BIPs aus, fast achtmal so viel wie in Deutschland. Aber auch das Who is who der internationalen Großkonzerne hat sich in Luxemburg angesiedelt und mit abenteuerlichen Methoden die Steuerquote minimiert. Luxemburg hat durch Lizenz- und Kreditverträge die Gewinne und damit die Steuern in anderen Ländern gegen Null gedrückt und so systematisch Gewinne und Steuern nach Luxemburg transferiert.
Was schert mich die Wüste meiner Nachbarn, wenn bei mir die Oase blüht. „Beggar thy neighbour“ ist ein stehender Begriff in der Wirtschaftswissenschaft für solch ein Verhalten. Jetzt will sich Juncker als EU-Kommissionspräsident für das Europäische Gemeinwohl einsetzen. Wie soll man ihm das glauben?
Als erste große Initiative hat er versprochen, mit einem 300 Mrd. Euro Investitionsprogramm die Konjunktur in Europa in Schwung zu bringen und so die unerträglich hohe Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Alle Welt wundert sich, wie er das finanzieren will. Seit Lux-Leaks haben wir eine Idee, wie er es machen könnte: vom Saulus zum Paulus. Wenn die EU die Steueroasen austrocken würde, ließen sich noch höhere Investitionspakete finanzieren. Nicht nur Luxemburg gehört dabei an den Pranger, die Niederlande und Irland haben sich genauso zu Lasten ihrer europäischen Nachbarn bereichert.
Vorschläge des EU-Chefs lösen Probleme nicht
Die Staatschefs der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) haben sich am Wochenende zum Gipfel in Brisbane getroffen. Bei dieser Gelegenheit arbeiten sich die G20-Vertreter weiter durch den Aktionsplan der OECD zur Bekämpfung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung (“BEPS” – “Base Erosion and Profit Shifting”). Damit wollen die G20 erreichen, dass Firmen künftig dort Steuern bezahlen, wo sie wirklich aktiv sind und nicht dort, wo nur ihre Briefkastenfirmen installiert sind. Entsprechende Gesetzesvorschläge hat Juncker im Europaparlament angekündigt. Außerdem soll ein automatischer Informationsaustausch unter den EU-Mitgliedsstaaten bei Steuerabsprachen für Konzerne (“tax rulings”) eingerichtet werden.
Junckers Vorschläge für den G20-Gipfel sind ein Schritt in die richtige Richtung, lösen aber die Probleme nicht. Die aggressive Steuervermeidung wird weitergehen, wenn auch erschwert. Im Rahmen des BEPS-Aktionsplans konnten sich die G20-Staaten nicht auf eine gemeinsame Grundlage für die Besteuerung von multinationalen Konzernen einigen. Das Ergebnis ist Stückwerk aus komplizierten Regeln mit zahlreichen Schlupflöchern. Die G20-Vorschläge sind ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Steuerberater. Es nutzt nichts der Hydra nur einen Kopf abzuschlagen. Nur ein konsequentes und umfassendes Programm kann die Welt von der Giftschlange der aggressiven Steuertricks multinationaler Konzerne befreien.
Juncker muss jetzt konsequent sein
Wirkungsvoll wären eine wirklich gemeinsame Steuerbemessungsgrundlage, darauf basierende Mindeststeuersätze sowie verpflichtende länderbezogene Transparenz für multinationale Großunternehmen. Ziel muss die vollständige Transparenz des Unternehmens über Gewinne, Steuern, Umsätze und Anzahl der Mitarbeiter in jedem Land sein, in dem es geschäftlich aktiv ist. Das würde allen Modellen der aggressiven Steuervermeidung die Grundlage entziehen, weil sie voraussetzen, dass unklar bleibt, wo wie viel Gewinne erwirtschaftet werden. Bisher hat die Bundesregierung das im Europäischen Rat verhindert. Sie hat ihre Ablehnung sogar im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Das ist spätestens jetzt nicht mehr haltbar. Bundesfinanzminister Schäuble sollte diese falsche Position räumen und stattdessen die Kommission auffordern, einen entsprechenden Richtlinienentwurf zu erarbeiten.
Diese und weitere Ideen für ein konsequentes Programm habe ich erst vor wenigen Tagen als einen Grünen Acht Punkte Plan vorgelegt. Juncker kann und muss jetzt handeln. So kann er seinen massiven Interessenskonflikt als Geburtsstunde einer wirklich europäischen Steuerpolitik nutzen und zeigen, dass er jetzt die Interessen aller Europäer vertritt. Wenn er jetzt nicht konsequent die Steueroasen in Europa trocken legt, bleibt ihm nur der Rücktritt. Handeln oder gehen ist die Devise.