Während einer Afrikareise im vergangenen Sommer legte Irans Präsident Ebrahim Raisi auch in Simbabwe einen Stopp ein – der ranghöchste Besuch seit langem in dem ebenfalls unter US- und europäischen Sanktionen stehenden Land. Zum Dank startete der inzwischen wiedergewählte Gastgeber, Präsident Emmerson Mnangagwa, einen Aufruf zur Solidarität: Alle vom Westen boykottierte Staaten sollten doch zusammenhalten.
Längst hat die Islamische Republik Iran dies schon beherzigt. Vor allem ist Teheran zuletzt sehr viel näher an Moskau herangerückt, wo Wladimir Putin im Krieg gegen die Ukraine seinerseits Verbündete sucht, um Sanktionen zu umgehen. Teherans Regime, das am Persischen Golf und in Nahost nach regionaler Vorherrschaft strebt, zahlt einen hohen Preis für die Entwicklung seines bedrohlichen Atomprogramms. Mehr als tausend Einzelsanktionen der USA sowie Strafmaßnahmen der UN und Europas haben der Volkswirtschaft bleibenden Schaden zugefügt.
Irans Achse mit Russland und Syrien, die sich im Ölgeschäft um China ergänzt, dient der Islamischen Republik als willkommenes Gegengewicht zu ihrer zunehmenden Isolierung in der Nachbarschaft, wo arabische Staaten zuletzt diplomatisch stärker den Ausgleich mit Irans verhasstem Erzfeind Israel suchten. Eine Woche nach dem blutigen Terrorangriff der radikalislamischen Hamas aus dem Gazastreifen auf Israel sprach Präsident Raisi mit Putin über die Lage im Nahen Osten. Irans Staatsführung hat den Angriff gelobt, bestreitet jedoch eine direkte Verstrickung.
Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz erklärt, ohne die Unterstützung aus Teheran wäre die Attacke der Hamas auf militärische und zivile Ziele in Israel nicht möglich gewesen, zielt das auf die Verbindung mit einer Reihe gewalttätiger Milizen: Sie werden mit Ausbildung, Waffen, Technik, Geldern und Wissen unterstützt. So führt Teheran aus dem Jemen, Irak, dem Gazastreifen und Libanon heraus Stellvertreterkriege, so genannte „Proxy Wars“, welche die Region destabilisieren. Ein Mehrfrontenkrieg gegen Israel hinge am Einfluss des Iran.
Als die militärisch schlagkräftigste Organisation gilt Hisbollah, die Israel aus dem Norden bedroht und beschießt. Finanziell wird sie auch von Katar alimentiert. Die derzeit häufig gestellte Frage, ob in Nahost ein Flächenbrand droht, könnte sich an dieser „Nordfront“ Israels entscheiden – aber damit auch an der Frage, ob das Mullah-Regime in Teheran eine Ausweitung des Konflikts zwischen Israel und Hamas riskieren will. Und ob es dies auch wirtschaftlich stemmen könnte.
Ölhandel floriert
Nimmt man das Ölgeschäft, das laut US-Regierung „in bedeutsamem Maß“ zu den staatlichen Einnahmen beiträgt, so exportiert der Iran wieder Höchstmengen. Selbstsicher erklärt Teherans Außenamt: Iran arbeite entschlossen daran, westliche Sanktionen zu neutralisieren, und fügt hinzu, Iran habe seine Stellung als Erdölexporteur „entgegen der Isolierung behauptet“. Unzählige Regierungen wollten Kooperationen ausbauen, hieß es, der gesamte zusehends nach Asien ausgerichtete Energiesektor, mit seinen Raffinerien, petrochemischer und Plastikindustrie floriere.
Geht man nach der unabhängigen Analyse des Energieberatungsfirma SVB International, die Tankerrouten nachverfolgt, dann scheint die Ölförderung tatsächlich auf gutem Weg, zum Output vor dem Embargo aufzuschließen. Demnach hat die Erdölförderung im Spätsommer täglich 3,15 Millionen Barrel (159 Liter) erreicht, die Exporte etwas unter zwei Millionen Barrel pro Tag. Schon die für Dezember 2022 gemeldeten durchschnittlichen 1,14 Millionen Barrel je Tag galten als vorläufiges Ausfuhrhoch. Wenn Irans Ölkonzerne schon 2021 laut der US-Behörde International Energy Administration etwa 40 Mrd. Dollar netto (nach 15 Mrd. Dollar 2020) verdienten, dann dürften seither weit stolzere Summen in die iranische Staatskasse gespült worden sein.
Führender Abnehmer ist – kaum überraschend – China, wobei offenbar große Mengen in Malaysia umdeklariert und weiterverschifft werden. Auch Russlands Ölwirtschaft umgeht in ähnlicher Weise wie Iran westliche Sanktionen, indem Ladungen über „Schattenflotten“ aus älteren und kleineren Tankern verschifft werden. Russische Emissäre sollen sich in Teheran beraten haben, nachdem der Kreml seinen Handel eingeschränkt sah. Mehr noch: Die beiden unter Embargo stehenden Wirtschaften näherten sich so sehr an, dass Russland inzwischen zum führenden Auslandsinvestor im Iran aufgestiegen ist, wie Finanzminister Ehsan Khandouzi der „Financial Times“ im März enthüllte. Mit 2,76 Mrd. Dollar in Sektoren wie Industrie, Bergbau und Transport im abgelaufenen Finanzjahr, etwa das Doppelte aller ausländischer Direktinvestitionen (FDI) im Iran im Vorjahr.
Erster Partner Russland
Die Islamische Republik unterstützt Moskau nach westlichen Erkenntnissen auch mit sogenannten Kamikaze-Drohnen im Angriffskrieg gegen die Ukraine. Teheran bestreitet dies. Doch wirtschaftlich rangiert Russland heute auf einer Ebene mit China als „strategischer“ Partner. Da Iran und Russland vom internationalen Zahlungssystem abgeschnitten sind, haben die beiden Zentralbanken Kanäle für gegenseitige Währungs- und Handelsgeschäfte geschaffen. Russlands Ministerpräsident Michail Mischustin erwartet die Schaffung einer Freihandelszone zwischen der russisch dominierten Eurasischen Wirtschaftsunion und dem Iran bis Ende des Jahres. Der Handel sei bereits 2022 auf den Rekordwert von über 350 Mrd. Rubel (rund 3,5 Mrd. Euro) gewachsen.
Doch dürfe die Achse auch nicht überbewertet werden, warnen Beobachter. Beide Wirtschaften haben im Welthandel als öl- und gasproduzierende Länder ein ähnliches Profil und könnten sich – siehe Ölexporte nach China – leicht ins Gehege kommen. Auch was ihren Investitionsbedarf für moderne Technologien im Energiesektor angeht, sind sie eher Konkurrenten. Aber Iran ergreift die Gelegenheit zur Diversifizierung dankbar, zumal der Hardliner Raisi seit 2021 die Priorität in vertieften Beziehungen in der Region und mit Asien sieht. Dabei hofft Teheran sich noch über ein weiteres Großprojekt zu profilieren, das zugleich Russlands Handelsinteressen dient.
Es geht um die Fertigstellung des „International North-South Transport Corridors“ (INSTC), über die verhandelt wird. Der Ausbau der Verkehrsroute soll Russland über den Iran den Zugang zum Indischen Ozean eröffnen. Iran-Experte Alex Vatanka vom Middle East Institute in Washington zitiert in der Zeitschrift „Foreign Policy“ Vertreter der iranischen Wirtschaftselite, die von einer „Veränderung der Geometrie des Warentransits in der Region“ schwärmen: Dank INSTC könnte der Iran zu Russlands Umschlagplatz für landwirtschaftliche Exportgüter werden, die für unterschiedliche Märkte im Mittleren Osten bestimmt sind.
Alternative zum Bosporus?
Russland erreicht seine wichtigsten Getreidekunden – Ägypten, Algerien, Iran, Israel, Libyen, Pakistan, Saudi-Arabien, Sudan und die Türkei – nur über die türkisch kontrollierte Meerenge des Bosporus. Da sie auf NATO-Gebiet liegt, befürchtet Moskau, das Bündnis könnte die Passage irgendwann verwehren, so wie Ankara russische Kriegsschiffe nicht vom Schwarzen Meer in die Ägäis lässt. „Sollte die Nutzung des Bosporus zu riskant werden, könnte der Iran für Russland viele dieser Märkte über Eisenbahnverbindungen viel besser erreichbar machen“, so Vatanka. „Der Iran möchte über den INSTC Agrargüter exportieren, und damit auf dem russischen Markt der Türkei Konkurrenz machen.“
So stellt sich der Korridor als eine für alle Beteiligten vorteilhafte Win-Win-Lösung. Experte Vatanka mahnt aber zugleich: Wohl sei zwischen den Partnern gerade ein neues „strategisches Kooperationsabkommen“ abgeschlossen worden. Aber schon vergangene Abkommen hätten das über Jahre bei 1,5 Mrd. Dollar herumdümpelnde Handelsvolumen nicht wirklich beflügelt. Irans erste Handelspartner blieben China, Indien, Irak, die Türkei und VAE.
Zugleich haben sich auch Teherans Erwartungen an intensivere Wirtschaftsbeziehungen mit China nicht erfüllt. Seit dem Ausstieg von Präsident Donald Trump aus dem Atomabkommen und der Wiederbelebung des Embargos 2018 hat dieser Handel für den Iran an Bedeutung gewonnen. Doch sieht China den Partner primär als Öllieferanten. Seine Erdölkäufe haben dem Iran „genügend Einnahmen verschafft, um sich über Wasser zu halten“, so Vatanka im „Iran Primer“, einer Plattform des United States Institute of Peace. 2023 nahm China Tanker-Trackern zufolge monatlich bis zu 1,7 Millionen Barrel ab. Doch darüber hinaus bleibe der Ausbau des Handels enttäuschend. 2022 exportierte Iran für 6 Mrd. Dollar und importierte laut der Nachrichtenagentur IRNA und chinesischen Zollangaben für 9 Mrd. Dollar.
Strategische Absichtserklärungen fehlten auch hier nicht – zuletzt für Handel, Verkehr, Technologie, Tourismus, Landwirtschaft und Krisenreaktion –, doch scheuen Chinas Unternehmen offensichtlich das Risiko, wegen Verstößen von Washington auf die schwarze Liste extraterritorialer Sanktionen gesetzt zu werden. Zu sehr sind sie auf dem Weltmarkt und vor allem mit dem führenden Handelspartner USA verstrickt. So ging selbst Chinas Initiative der neuen Seidenstraße entgegen der Hoffnungen im Iran weitgehend an dem Land vorbei. China investiert mehr in anderen ölproduzierenden Ländern wie Saudi-Arabien, den VAE und Irak. Es deckt in der Region mehr als die Hälfte seines Ölbedarfs.
Interne Malaise
So brüstet sich das islamische Regime zwar gern mit strategischen Partnerschaften, aber aus der Isolation führen diese Iran nicht wirklich heraus. Finanzminister Khandouzi führte Exporte von 53 Mrd. Dollar (ohne Öl) sowie Importe von 60 Mrd. Dollar an, und fragte: Sieht so eine isolierte Volkswirtschaft aus? Doch Investitionsstau und schlechte makroökonomische Werte, die das Land schwächen, kann er nicht schönreden. In der Corona-Krise ging eine Million Jobs verloren, mangels FDI entstehen kaum neue. Die Inflation von knapp 40 Prozent frisst im vierten Jahr in Folge Löhne und Ersparnisse auf. Unter Präsident Raisi verlor die Landeswährung 60 Prozent an Wert. Heimische Ökonomen werfen der Regierung vor, sie tue nichts dagegen, sondern drucke nur mehr Geld, was die Entwertung noch vorantreibe.
Versprechen, sie unter Kontrolle zu bringen, liefen ins Leere. Schätzungen zufolge lebt ein Drittel der Bevölkerung in absoluter Armut. Die Unmut gegen die Misswirtschaft des Regimes und seine Unfähigkeit, wenigstens die Grundbedürfnisse zu stillen, nimmt zu. Das bereitet neben unzähligen Menschenrechtsverletzungen den Boden für Proteste. Das BIP war nach einer Rezession 2019 zu Wachstumsraten um die drei Prozent zurückgekehrt Bis 2025 erwarten Internationaler Währungsfonds und Weltbank nur ein Plus von etwa zwei Prozent.
Ohnehin erwirtschaftet das 85-Millionen-Volk nur ein BIP von der Größe Dänemarks. Verschiedene wissenschaftliche Arbeiten über die Wirkung der Sanktionen vor allem im vergangenen Jahrzehnt stimmen darin überein, dass das Wirtschaftswachstum etwa um ein bis zwei Prozentpunkte gebremst wurde. Eine Studie kommt zu dem Schluss, die Sanktionen hätten eine aggregierten Wohlstandsverlust von 15 Prozent verursacht, wobei ländliche Haushalte doppelt so stark getroffen worden seien wie städtische. Die Staatskasse schließlich habe 40 bis 50 Prozent ihrer Einnahmen eingebüßt. Als positive Faktoren werden höhere und diversifizierte Exporte außerhalb des Ölsektors genannt, sowie das Erstarken eines schnell wachsenden Hightech-Sektors. Aber auch der militärische Industriekomplex erlebte einen Aufschwung.
Wirkung verfehlt
Dass westliche Sanktionen auf jeden Fall das Ziel einer politischen Kurskorrektur in den Eliten des Iran verfehlt haben, zeigen die aktuellen Entwicklungen. Iran rüstete waffentechnisch mit der Produktion von Raketen und Drohnen für Überwachung, Aufklärung und Kampfeinsätze vor allem unter Präsident Hassan Rouhani (2013-21) auf – laut einem Verteidigungsminister um den Faktor hundert, analysiert „Iran Primer“. Auch politisch und militärisch sucht und findet Teheran den Schulterschluss mit Russland.
Das Weiße Haus beobachtet eine „vollwertige Verteidigungspartnerschaft“, die der Ukraine ebenso schade wie den Nachbarn Irans und der internationalen Gemeinschaft. Bis 2023 sollen mehr als tausend iranische Drohnen an Russland geliefert worden sein, dazu Artillerie- und Panzermunition für den Krieg in der Ukraine. Inzwischen ist die Rede von einer Drohnenfabrik, die mit iranischem Know-how bis 2024 unweit Moskau entstehen soll. Im Gegenzug bemüht Teheran sich um russische Luftabwehr, Kampfjets und -Helikopter und Radargerätschaften im Wert mehrerer Milliarden Dollar, wie es heißt. Iranische Piloten sollen in Russland in Suchoi-Su-35-Jets trainieren.
Das schwedische SIPRI-Institut, das weltweit Rüstungsbudgets misst, hat zwar seine Angaben für Iran in Bezug auf fehlerhafte Berechnungen der Dollar-Werte nach unten revidiert. Demnach sind die Militärausgaben in Teheran von 2018 bis 2020 von 11 auf 3 Mrd. Dollar gefallen und bis 2022 wieder auf knapp 7 Mrd. Dollar gestiegen – was 2,3 Prozent des BIP ausmache, so die SIPRI-Zahlen vom Frühjahr 2023. Auch die Beobachtungsplattform United Against a Nuclear Iran schätzt jedoch, die Hardliner in Teheran hätten nicht zuletzt dank sprudelnder Öleinnahmen in den vergangenen zwei Jahren 15 Mrd. Dollar in die eigenen militärischen Fähigkeiten gesteckt – und in die Milizen, die für seine Stellvertreterkriege dienen.
Am Ende, so Beobachter, dürften über Irans Verhalten in der gegenwärtigen Konfrontation mit Israel eher taktische Beweggründe entscheiden. Aber in einem wirtschaftlich geschundenen Land sei auch die Bereitschaft der Bevölkerung, für die Palästinenser, Hamas in Gaza, oder Hisbollah im Libanon in den Krieg zu ziehen, äußerst gering. Und eine vielbefürchtete Schließung der Meerenge von Hormuz für die Öltanker der Golfanrainer würde auch Irans eigenen größten Öl-Verlade-Terminal blockieren.