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Hisbollah Was ein Gasfeld vor dem Libanon mit dem Krieg in Israel zu tun hat

Das israelische Offshore-Gasfeld Leviathan von Bord des israelischen Marineschiffs Lahav während einer seltenen Tour durch das Mittelmeer
Das israelische Offshore-Gasfeld Leviathan von Bord des israelischen Marineschiffs Lahav während einer seltenen Tour durch das Mittelmeer
© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Ariel Schalit
Vor dem Libanon sucht man nach Gas, die Ergebnisse dieser Suche sind für die Hisbollah und ihr Handeln bedeutet – und deshalb auch für Israel

Im Seegebiet vor dem Libanon erforscht seit einigen Monaten eine Bohrinsel den Meeresboden. Sie soll herauszufinden, ob das Feld Qana in ähnlichen Mengen Erdgas birgt, wie das benachbarte, Israel zugesprochene Karish-Feld. Während Israels Militär nach dem Terrorangriff der radikalislamischen Hamas auch Gefechte mit der libanesischen Schiitenmiliz Hisbollah an der nördlichen Grenze zum Libanon führt, blieb der Betrieb auf der Transocean Barents zuletzt noch ein Zeichen von Normalität.

Denn die mit Spannung erwarteten Ergebnisse der Exploration sind auch für die Hisbollah von Bedeutung. Die Miliz steht trotz enormer militärischer Feuerkraft und politischem Einfluss im Land unter Druck: Für die Bevölkerung ist kein Ende der schweren Wirtschaftskrise absehbar, die durch die Hafenexplosion in Beirut 2020 noch verschärft wurde. Das BIP des Libanon hat sich halbiert, Währung und Bankensektor sind kollabiert, die Kraftwerke produzieren praktisch keinen Strom mehr. Brächte das Qana-Gasfeld nennenswerte Fördermengen hervor, könnte die Energieversorgung wieder aufgebaut werden. Ein erster Hoffnungsschimmer in Jahren.

Gemeinsamer Gas-Deal zwischen Israel und Libanon

Obwohl Libanon und Israel im permanenten Kriegszustand sind, hat die Hisbollah die französisch vermittelten Verhandlungen zur Festlegung einer Seegrenze unterstützt. Das als historisch gewürdigte Grenzabkommen vom vergangenen Jahr schwächte Beobachtern zufolge die Gefahr eines militärischen Konflikts und brachte Planungssicherheit für Investoren: Ein Konsortium aus TotalEnergies (Frankreich), ENI (Italien) und der staatlichen QatarEnergy brachte die Bohrinsel von Norwegen in den Mittleren Osten.

Der Nahost-Wissenschaftler Joseph Daher, auch Autor eines Buches über die politische Ökonomie der Hisbollah, sah in der Beilegung des Grenzstreits ein Indiz, dass der Miliz „ihre Interessen im Libanon wichtiger sind als der Kampf gegen Israel“. Allerdings werden diese Interessen nun auf eine harte Probe gestellt: Erst Ende Oktober oder im November sollen die ersten Ergebnisse der Exploration des Qana-Feldes vorliegen. Nach einer Meldung der Nachrichtenagentur Reuters von vergangener Woche sickerten über fraglichen Block 9 negative Vorzeichen durch. Aber wäre ein positiver Fund überhaupt kriegsentscheidend?

Gefahr einer zweiten Front für Israel

International gibt es die Befürchtung, die libanesische Schiitenmiliz, die – wie auch die Hamas – vom Iran unterstützt wird, könnte verstärkt in den Konflikt eingreifen und Israel eine zweite, nördliche Front aufzwingen. Die libanesische Regierung hätte nicht die Kraft, dies zu verhindern, auch wenn ein Krieg die Wirtschaft vollends abwürgen würde. Viele Nahost-Experten betrachten das Szenario einer solchen Eskalation als „Gamechanger“, weil sie einen weiteren Flächenbrand auslösen könnte – und die strategische Rolle des iranischen Mullah-Regimes stärker in den Vordergrund rücken würde. Mit zu befürchtenden israelischen und/oder internationalen Reaktionen.

Hisbollah hat bei der Entscheidung über die Seegrenze mitgewirkt, um innenpolitisch ein Zeichen zu setzen, sagt auch Orna Mizrahi, Senior Research Fellow am israelischen Institute for National Security Studies (INSS) in Tel Aviv. „Die stärkste Motivation der Organisation lag darin, der Bevölkerung zu beweisen, dass sie ein positiver und wichtiger Faktor sind – und bereit, einen Beitrag zur Verbesserung der Lage im Libanon zu leisten.“ Denn die Kritik habe im Licht der historisch schwersten wirtschaftlichen und politischen Krise zugenommen. „Die Opposition zeigt auf Hisbollah als den Schuldigen für die Misere, besonders seit der tragischen Explosion im August 2022.“

Natürlich ist eine wirtschaftliche Dividende, so sie sich ankündigt, noch weit entfernt. Aber inwieweit dieses Kalkül in dem heutigen Konflikt zum Tragen kommt, wagt die Expertin nicht zu sagen. „Der Effekt der Erdgasthematik auf die Absichten der Miliz in diesen Tagen hängt von den Ergebnissen der Exploration ab“, so Mizrahi. „Stellt sich heraus, dass ein kein Gas gibt, fühlt die Hisbollah sich vielleicht freier, auch zur See gegen Israel vorzugehen.“ Doch würden die Kämpfer dabei vermutlich Angriffe auf zivile Infrastrukturen internationaler Unternehmen vermeiden – selbst in israelischen Gewässern.

Schwierige Lage

Dort hat Israel die Förderung des auf seiner Grenzseite zugesprochenen Karish-Felds inzwischen gestoppt. Das erfolgreich vom griechischen Ölkonzern Energean ausgebeutete Feld hatte im Februar von der schwimmenden Plattform rund 80 Kilometer vor der Küste erstmals israelisches Öl verschifft. Das Öl ist zwar nur ein Nebenprodukt der Gasförderung von Karish und auf dem südlicher gelegenen, größeren Leviathan-Gasfeld. Es trägt jedoch dazu bei, die Gasfelder profitabel zu machen.

Beim Erdgas, das seit einigen Jahren aus mehreren Feldern im Mittelmeer gefördert wird, ist Israel bereits Netto-Exporteur geworden. Um es als Flüssiggas auf den Weltmarkt zu bringen, muss es aber vorerst per Pipeline nach Ägypten gepumpt, dort verflüssigt und dann verschifft werden. Eine Pipeline ins energiehungrige Europa muss erst noch gebaut werden.

Risiken für globale Energiemärkte

Die Risiken für die globalen Energiemärkte, die von dem Krieg in Israel ausgehen, könnten sich je nach Szenarien der weiteren Zuspitzung erheblich verschärfen. Aber sollte sich Iran stärker in den Konflikt einschalten, sind Energieexperten zufolge neue Sanktionen gegen Iran zu erwarten, die wegen seiner inzwischen wieder erheblichen Erdölausfuhren den Weltmarktpreis nach oben drücken könnten.

Und was das Erdgasbecken im östlichen Mittelmeer angeht, so steht dieses schon unter Stress, schreibt Karen E. Young vom Center on Global Energy Policy an der Columbia University. Israel habe seine Gasexporte nach Ägypten infolge der Hamas-Angriffe gestoppt, Investitionen aus Golfländern in weitere Gasprojekte könnten nun hinfällig werden – ähnlich der jüngsten Annäherung von Saudi-Arabien mit Israel. Und auch die Aussichten des Qana-Felds vor dem Libanon sieht Young pessimistisch. „Die Zeichen stehen auf Scheitern“, schreibt sie. „Nicht nur, weil erste Ergebnisse enttäuschen, sondern auch, weil es wenig Anreiz gibt, weiterzubohren.“

Die Rolle Saudi-Arabiens

Bei alledem gilt: Nach wie vor hat Saudi-Arabien das Potenzial, die Ölmärkte zu beeinflussen. Und das führt mitunter zu Überraschungen. Im März vermittelte China die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und dem Iran, die zuvor 2016 abgebrochen worden waren. Im September während der Generalversammlung der Vereinten Nationen deutete der saudische Kronprinz Mohamed Bin Salman in einem Interview mit Fox News an, dass die Gespräche zur Normalisierung der Beziehungen zwischen seiner Regierung und Israel kontinuierlich voranschreiten.

Dies zeigt deutlich, dass sich im Nahen Osten etwas Grundlegendes ändert: Saudi-Arabien möchte nicht zwischen dem Iran und Israel positioniert werden. Stattdessen versucht das Land, seine Position zu stärken, indem es die neuen Beziehungen der USA in der Region bewertet. Gleichzeitig will es seine wirtschaftlichen Ziele erreichen und sicherstellen, dass es in Bereichen wie sauberem Wasserstoff und Ammoniakexport neue Chancen nutzen kann.

Saudi-Arabien koordiniert die Zusammenarbeit mit Russland und anderen Ländern über die OPEC+, eine Erweiterung der ursprünglichen OPEC-Gruppe. Der Iran und Russland betreiben jedoch einen Schattenexportmarkt, während Saudi-Arabien versucht hat, die OPEC+-Produktion zu kontrollieren, indem es die Kürzungen hauptsächlich auf seine eigene Produktion abwälzte.

Die USA vermittelt mit Hintergedanken

Von Washington aus hat die Regierung Biden die Normalisierung der Beziehungen zwischen den arabischen Golfstaaten und Israel vorangetrieben. Hinter der Befriedung verfolgt die USA aber auch eigene Interessen: Sie will die wichtigsten Kapital- und Mobilitätskontenpunkte der Region näher an sich binden und so dem Einfluss Chinas entgegenwirken. Saudi-Arabien zeigte sich bisher offen für diese Strategie. Eine mögliche und erstrebenswerte Vorstellung: Saudi-Arabien als Patron der Schwellenländer in Nahost, mit den USA als wirtschaftlichem Partner.

Die USA will Chinas Zugänge zur arabischen Halbinsel und zum Mittelmeerraum begrenzen. Im Gegenzug hat Saudi-Arabien seine Forderungen an die Biden-Administration stetig erhöht, einschließlich Sicherheitsgarantien und Nukleartechnologie.

Mit dem Angriff der Hamas auf Israel sind die Verhandlungen zwischen Saudi-Arabien und Israel gestoppt. Im bevorstehenden Krieg könnte es aber zu einer überarbeiteten Vereinbarung kommen, insbesondere wenn die Ölpreise angesichts der bevorstehenden US-Präsidentschaftswahlen hoch bleiben. Saudi-Arabien wird aufgrund seiner überschüssigen Ölkapazitäten, seiner finanziellen Möglichkeiten und seines politischen Interesses über ein beträchtliches Druckmittel verfügen, um eine regionale Neuordnung gegen den Iran und seine Stellvertreter anzuführen.

Scholz warnt Hisbollah und Iran

Bundeskanzler Olaf Scholz hatte in den letzten Tagen Israel besucht und sprach dazu am Donnerstag im Bundestag. Er warnte eindringlich vor einer Beteiligung Dritter am Konflikt zwischen Israel und den Hamas. „Ein solcher Flächenbrand wäre verheerend für die gesamte Region“, sagte Scholz und mahnte in Richtung Iran: „Es darf keinen Eintritt von der Hisbollah oder von dem Iran oder ihrer Proxys [Stellvertreter] in diesen Krieg geben. Das wäre ein schwerer Fehler.“

Außenministerin Annalena Baerbock besuchte Israel am Freitag das zweite Mal innerhalb einer Woche. Auch sie warnte die Hisbollah vor einem Eingreifen in den Krieg. „Hisbollah darf den Libanon nicht mit in diesen Konflikt hineinziehen“, sagte Baerbock bei einem Besuch in Tel Aviv. Zudem warnte sie den Iran: Schiitische Milizen im Irak und die Huthi-Rebellen im Jemen dürften nicht „zündeln und aufs Trittbrett des Terrors springen“.

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