„Ich bin Ingenieur“, stellt Vitaliy Shulezhko sich vor. „Ähm.... ukrainischer Ingenieur“, schiebt er hinterher. Er weiß schon, dass dann alle Schotten dicht gehen, seine Bewerbungsunterlagen in den Personalabteilungen gleich im Papierkorb landen. Dabei hat er in seiner Heimat Transporttechnologie studiert und anschließend als leitender Ingenieur im Stadtrat gearbeitet, wo er für die Straßenbauplanung verantwortlich war. Nebenbei hat er noch einen zweiten Bachelor-Abschluss als Jurist erworben. Das sind Spitzenqualifikationen, Erfahrungen und zeigt überdurchschnittliche Motivation. Doch in Deutschland hat der 34-Jährige in den vergangenen sechs Jahren keine adäquate Anstellung gefunden.
Wie Shulezhko geht es nach Schätzungen von Experten Hundertausenden hochqualifizierten Ausländern in Deutschland, weil ihre Berufs- oder Universitätsabschlüsse aus der Heimat hier nicht anerkannt werden. Seit Jahren beklagen die Unternehmen den Fachkräftemangel, der durch deutschen Nachwuchs nicht gedeckt werden kann. Allein mehr als 100.000 Ingenieure sollen jetzt schon auf dem Arbeitsmarkt fehlen – Tendenz steigend, trotz der sich abzeichenden Vollbeschäftigung. Die Bundesregierung hat erst vor gut einem Jahr reagiert mit einem neuen Gesetz, das die Anerkennung ausländischer Abschlüsse erleichtern soll. Das entsprechende Internetportal zur Anmeldung (www.anerkennung-in-deutschland.de) wurde schon in den ersten Monaten mehr als eine Millionen Mal aufgerufen, 30.000 Anträge wurden gestellt. Wie viele davon konkret bewilligt wurden, sagte Bundesbildungsministerin Johanna Wanka bei der ersten Bilanz nicht.
Vielen Experte geht das alles viel zu langsam und umständlich. Sie beklagen, dass der deutsche Behördendschungel nach wie vor eine kaum zu überwindende Hürde ist und dass die Arbeitsagenturen ausländische Abschlüsse lange Zeit in den Unterlagen nicht mal verzeichnet haben, weil es dafür kein entsprechendes Feld im elektronischen Erfassungsbogen gab. Bewerber scheiterten somit schon bei der Suchmeldung oder spätestens in den Personalabteilungen vieler Unternehmen, die nach Schema F auswählen. So ist Vitaliy Shulezhko durchs Raster gefallen, genau so wie Rossana Luisa Szalaty, die in Brasilien Jura studiert hat, als Abteilungsleiterin einer Bank beschäftigt war, in Deutschland mehrere Deutschsprachkurse und eine Weiterbildung zur Wirtschaftsfachwirtin absolviert hat und doch nur einen Job als Verkäuferin in einer Supermarktkette bekommen hat. Kein Einzelfall, wie alle wissen, die sich mal mit dem ein oder anderen Taxifahrer unterhalten.
„In Politik und Arbeitsmarktkreisen wird das Thema diskutiert ohne aber Lösungen zu haben“, sagte Carmen Leicht-Scholten, Studiendekanin an der Fakultät für Bauingenieurwesen der RWTH Aachen, Anfang der Woche als Jurorin bei der Verleihung des Deutschen Diversity-Preises in Berlin. Gewonnen hat diese Auszeichnung für mehr Vielfalt in der Arbeitswelt in diesem Jahr neben Konzernen wie Bosch und Lanxess die kleine Hochschulinitiative ProSalamander, die als innovatives Projekt gewürdigt wurde (http://www.prosalamander.de)
Dahinter stehen die Universitäten Duisburg-Essen und Regensburg, die gemeinsam ein Programm mit neuen Lehrmaterialien, Förderungs- und Finanzierungsmodellen für Migranten ins Leben gerufen haben. In zwei bis drei Semestern werden die ausländischen Akademiker individuell gefördert durch Zusatzkurse in Ingenieur-, Wirtschafts- oder Geisteswissenschaften, bekommen dazu berufsgerechte Sprachkurse, Unterstützung von Mentoren und anschließend einen deutschen Hochschulabschluss. Der erste Jahrgang, an dem auch der Ingenieur Shulezhko und die Juristin Szalaty teilnehmen, wird das Programm 2014 abschließen.
Mit den hochoffiziellen Abschlüssen dürften dann auch die Türen in den Unternehmen aufgehen. Sie profitieren von diesem ambitionierten Projekt, dass weder Staat noch Wirtschaft fördern, sondern das die Stiftung Mercator mit 2,5 Mio. Euro ermöglicht. Zumindest bis 2015. Der Fachkräftemangel wird bis dahin nicht beseitigt sein. Und ein Blick in die Lebensläufe von Shulezhko, Szalaty und weiteren ProSalamander-Kollegen wie der russischen Maschinenbau- und Softwareexpertin Resida Bach oder dem tunesischen Mathematiker und Informatiker Mohamed Wassim Bel Hadj lohnt jetzt schon.
Jenny Genger schreibt jeden Donnerstag an dieser Stelle über Unternehmensführung, Netzwerke und Karrierethemen