Robert Kecskes „Wir werden nicht alle nach dem Motto ,Geiz ist geil‘ leben“

Immer mehr Menschen greifen in Krisenzeiten zu Eigenmarken der großen Supermarktketten, beobachtet GfK-Forscher Robert Kesckes
Immer mehr Menschen greifen in Krisenzeiten zu Eigenmarken der großen Supermarktketten, beobachtet GfK-Forscher Robert Kesckes
Der Ökonom Robert Kecskes beobachtet für das Forschungsinstitut GfK, wie die Deutschen einkaufen. Er meint, dass Eigenmarken die großen Gewinner der Krise werden könnten

Herr Kecskes, der GfK Konsumklimaindex für Konsumgüter ist im April auf den tiefsten Stand aller Zeiten gefallen. Die Gründe sind naheliegend: Krieg, steigende Preise, Corona. Aber was davon waren die maßgeblichen Treiber?

ROBERT KECSKES: Zuletzt war das sicher der Kriegsausbruch in der Ukraine. Wir haben aber schon vorher gesehen, dass der Index deutlich nach unten gegangen ist. Zum Beispiel durch die steigenden Energiepreise. Mittlerweile überlagern sich alle Krisen. Bei vielen Menschen hat sich einfach eine Resignation breit gemacht. Bruno Latour hat es so beschrieben, dass viele Menschen die Situation gar nicht mehr als Krise wahrnehmen, sondern als Mutation eines Systemfehlers. Das drückt sich nun im Index aus.

 Die Krisen koexistieren also nicht nur, sondern bedingen sich gegenseitig.

Ja, so kann man das sagen. Statistisch ausgedrückt erleben wir eine Multiplikation der Einflüsse und nicht eine Addition. Zumindest in der Wahrnehmung der Menschen.

Im Januar sah das im Konsumklimaindex noch ganz anders aus…

Ja, da haben wir gesehen, dass die Menschen optimistischer werden, weil Corona vorbei schien – die Menschen hatten das Gefühl, ihre Selbstwirksamkeit zurückbekommen. Das ist jetzt wieder ganz anders. Mittlerweile sorgen sich 86 Prozent der Befragten über die steigenden Kosten, 50 Prozent wollen ihr Verhalten umstellen. 

Inwiefern wollen sie ihr Verhalten umstellen?

Bei vielen wird das Budget geringer und dann wird umverteilt. Das heißt aber nicht, dass alle nach dem Motto „Geiz ist geil“ leben. Die meisten haben schon einen gewissen Anspruch entwickelt. Beispielsweise hat die kreative Mittelschicht den Klimaschutz stark im Fokus. Da wird dann weiter im Biomarkt eingekauft, dort aber eben zur günstigeren Eigenmarke gegriffen anstatt zum Markenhersteller. Das sehen wir auch schon bei Discountern und Vollsortimentern: Der Anteil der Eigenmarken am Umsatz ist erstmals seit Jahren wieder angestiegen – im ersten Quartal auf 34,6 Prozent. Das hat auch dazu geführt, dass die effektiv bezahlten Preise nicht so stark gestiegen sind, wie die Preise der einzelnen Produkte. Beim Kauf von Lebensmittelprodukten sind kreative Ausweichstrategien zu beobachten. Die Produkte werden insgesamt deutlich teurer als die effektiv gezahlten Preise. Da weitet sich die Schere.

Robert Kecskes: „Wir werden nicht alle nach dem Motto ,Geiz ist geil‘ leben“
© Statista

Das müssen sie erklären.

Die tatsächlich gezahlten Preise sind im ersten Quartal 2022 gerade einmal um 2,4 Prozent gestiegen – und das, obwohl die Eigenmarken teilweise deutlich teurer geworden sind als Markenprodukte. Ein Beispiel: Zwischen Februar 2021 und Februar 2022 ist der reguläre Butterpreis um 16 Prozent gestiegen. Der Preis der Markenbutter ist um acht Prozent, der Preis der Eigenmarken der Händler um knapp 21 Prozent gestiegen. Wenn ein Haushalt nun im Februar 2021 eine Markenbutter gekauft hat, im Februar 2022 aber eine Händlermarke, hat er trotzdem neun Prozent weniger gezahlt. Das machen natürlich nicht alle Haushalte, viele bleiben ihrer Marken treu und daher steigen auch die bezahlten Preise. Aber im Augenblick steigen immer mehr Menschen auf die Eigenmarken um. Und daher ist in Summe die Steigerung der bezahlten Preise auch bei Butter deutlich geringer als die Preissteigerung der Regalpreise von 16 Prozent. Wir nennen dies den Trading-down-Effekt. 

Bislang ging man davon aus, dass Menschen mehr konsumieren, wenn die Preise steigen. In Erwartung, dass die Preise weiter steigen, kaufen sie lieber jetzt. Wie passt das mit ihren Ergebnissen zusammen? 

Viele Menschen haben ihre Anschaffungen von In-Home-Produkten schon in Corona-Zeiten vorgezogen. Da haben sie zum Beispiel einen neuen PC oder ein neues Sofa gekauft. Die größeren Anschaffungen wurden also schon getätigt. Was wir jetzt sehen ist, dass die Leute ihr knapperes Budget lieber in Out-of-Home umschichten. Zum Beispiel in Reisen oder Restaurantbesuche. Das ist auch der Grund, warum die Umsätze im Lebensmitteleinzelhandel im Vorjahresvergleich zurückgehen.

Der Gesamtmarkt hat acht Prozent Umsatz verloren…

Ja, das wäre aber auch ohne Krieg und Inflation so gekommen. Vor einem Jahr hatten wir noch einen Lockdown. Mittlerweile kehren die Leute wieder in die Büros zurück und gehen in Restaurants. Dementsprechend brauchen sie weniger Lebensmittel. Man muss aber auch sagen, dass 2020 und 2021 „Jahrhundertjahre“ für die Branche waren.  

Haben die steigenden Preise also keinen Effekt auf den Umsatz gehabt?

Doch, sie haben den Mengenrückgang noch einmal verstärkt. Es ist die Verlagerung des Konsums von In-Home nach Out-of-Home. Und: Es wird weniger gekauft, um weniger wegzuschmeißen. In unseren regelmäßigen Umfragen haben dieser Haltung bis zur Corona-Krise immer mehr Menschen zugestimmt – damals aber aus Lifestyle-Gründen. Während Corona ist die Zustimmung deutlich zurückgegangen, als viele Menschen gehamstert haben. Jetzt erleben wir, dass die Zustimmung wieder nach oben geht. Der Grund dafür sind aber die steigenden Preise, wodurch sich die Menschen weniger leisten können. Weniger wegschmeißen hat mindestens zwei Gründe, einen sozial-ökologischen und einen finanziellen Grund. Der letztere bekommt derzeit wieder ein stärkeres Gewicht.

Was glauben sie: Wie lange werden die Preise im Supermarkt weiter steigen?

Das ist eine schwierige Frage. Irgendwann sind die Preise so hoch, dann können immer mehr Haushalte einfach nicht mehr zahlen.

Ist es denn realistisch, dass Händler die Preise noch einmal reduzieren?

Da fällt mir sofort ein Chart ein, das ich vor einiger Zeit gesehen habe. Das Chart hat gezeigt, dass Preiserhöhungen nur teilweise zurückgenommen wurden, nachdem die Rohstoffpreise wieder sanken. Für mich war das beeindruckend. Händler bringen dieses Argument häufig, um geforderte Preiserhöhungen nicht zu akzeptieren. 

Was schlagen sie vor?

Wenn sich die Situation verschärfen sollte, wird mit Sicherheit über eine Reduzierung der Mehrwertsteuer nachgedacht. Das würde die Preise drücken. Aber wie gesagt: Temporär wird es schwer. Die Rohstoffpreise sind wie sie sind.

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