Während der Westen beispiellose Sanktionen gegen Russland verhängt, wird eine Frage wesentlich über ihren Erfolg oder Misserfolg mitentscheiden: Steht die mächtige Volkswirtschaft China dem russischen Präsidenten Wladimir Putin bei und wirft ihm zur Abwehr der Strafmaßnahmen einen Rettungsanker zu?
Die Volksrepublik ist Russlands wichtigster Handelspartner sowohl für Ausfuhren wie für Einfuhren. China nahm 2020 ein Drittel der russischen Ölförderung ab und beliefert Russland mit Produkten, die von Smartphones über Computer und Spielzeuge bis zu Bekleidung reichen. Als die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Europa und Russland nach der Krim-Annexion 2014 abkühlten und teilweise auch mit Sanktionen belegt wurden, hat sich der Austausch der Russischen Föderation mit dem fernöstlichen Partner intensiviert.
Peking ließ wenig Zweifel, auf welcher Seite es im Wirtschaftskrieg gegen Russland steht. Am Tag nach Putins Marschbefehl weigerten sich chinesische Offizielle, von einer Invasion zu sprechen. Am Montag verurteilte ein Sprecher des Außenministeriums „illegale einseitige Sanktionen“. China und Russland würden „ihre normale Handelskooperation im Geiste gegenseitigen Respekts, Gleichheit und gegenseitigem Nutzen fortsetzen“. Strategisch und ideologisch verbindet die beiden Regime viel: sowohl der Antagonismus gegenüber den USA wie auch die innere Führung, mit harter Hand, über streng kontrollierte Zirkel der Macht.
Erst Anfang Februar versicherten sich die Präsidenten Xi Jinping und Putin bei einem denkwürdigen Auftritt, die Freundschaft zwischen beiden Staaten kenne „keine Grenzen“. Es wurde als ein bedeutender Schritt von einer engen bilateralen Beziehung hin zu einem gemeinsamen globalen Vorgehen gewertet. Daher erwarten Politikexperten, dass Pekings Kommunistische Führung zwar nicht den eklatanten Bruch westlicher Sanktionen riskieren wird. Wohl könnten beide Länder aber im Hintergrund Kanäle nutzen, die den Sanktionsdruck auf die russische Finanz- und Realwirtschaft zumindest abfedern würden.
EU-Beziehungen nicht belasten
Aus Sicht der China-Expertin Helena Legarda vom Institut Merics ist die chinesisch-russische Freundschaft nämlich nicht so grenzenlos wie proklamiert: Peking sei wohl bemüht, Europa nicht unnötig vor den Kopf zu stoßen. „China und Russland mögen zusammengerückt sein, aber sie sind noch nicht bereit, die jeweiligen Konflikte und geopolitischen Ambitionen des anderen mit auszutragen“, sagt sie in einem Podcast. Peking brauche diese Krise gerade nicht und ziehe auch keinen Nutzen daraus. Warum sollte es also ohne Not das Risiko eingehen, seine Beziehungen mit Europa zu belasten?
Xi wolle sich außerdem im Angesicht einer Koalition aus einer vereinten transatlantischen Front zuzüglich Kanada, Japan und Australien, nicht zu offen auf die Seite des Aggressors schlagen, gibt Jakub Jakobowski zu Bedenken. Er ist Experte beim China-Programm des Centre for Eastern Studies (OSW) in Warschau. Wirtschaftlich sei diese Koalition um ein Vielfaches wichtiger als der Juniorpartner Russland. Und mit einem offenen Bruch der US-Sanktionen würden auch gewisse chinesische Finanzinstitute ihren Zugang zum Dollar-Finanzraum gefährden.
Dennoch verfügt die chinesische Führung über Mittel und Wege, dem isolierten Freund Putin unter die Arme zu greifen. Naheliegend wäre dabei eine Intensivierung des Energiehandels. Dafür können staatliche Banken großzügige Vorschüsse leisten. Auf diese Weise habe China Russland schon durch so manche Krise der Vergangenheit geholfen, sagt Jakobowski. Das könnte sich auch heute wiederholen.
Staatsbanken weniger angreifbar
Schließlich seien Staatsbanken wie die CDB (China Development Bank) und Exim (Export-Import Bank of China) nicht so empflindlich gegen US-Sanktionen, da sie keine Geschäfte in den USA machten. Sie versorgten die russischen Pendants VTB und VEB mit umfangreichen Darlehen. Schuldenexperten berichten von zwei- bis dreistelligen Milliardenbeträgen, die aus China über die Jahre an russische Banken und Unternehmen geliehen wurden, und die mit künftigen Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft abgesichert sind.
So wie diese Geldkanäle können auch Handelskanäle immun gegen Strafmaßnahmen gemacht werden. Um sich vom Dollar abzukoppeln, wich Russland nach den Krim-Sanktionen 2014 im Warenaustausch zunehmend auf alternative Währungen aus. Im Ergebnis hält die Russische Notenbank heute rund 13 Prozent ihrer Reserven in chinesischer Währung, 32 Prozent in Euro und 22 Prozent in Gold. Wenn russische Flugzeuge in China tanken, stellt Gazprom Neft das Kerosin seit kurzem in Renmimbi in Rechnung.
Noch im Februar schlossen beim Gipfel von Putin und Xi in Peking der Gaskonzern Gazprom und Chinas Energieriese CNPC einen 25-Jahresvertrag über eine neue Gas-Pipeline. Die „Power of Siberia“ soll ab 2025 volle Kapazität erreichen. Der Ölkonzern Rosneft, der Chinas Bedarf zu sieben Prozent deckt, schloss einen neuen Zehnjahresvertrag zur Lieferung von Rohöl durch Kasachstan.
Dedollarisierung läuft
Schon diese Geschäfte sollen helfen, die russische Kriegskasse weiter zu füllen und einen Puffer zum Schutz vor Sanktionen liefern – und sie können in Rubel oder Renminbi abgewickelt werden. Ohnehin rechnen die Partner ihren Handel nur noch zu 36,6 Prozent in Dollar ab, wie die Financial Times unter Berufung auf Daten der russischen Zentralbank über die ersten neun Monaten 2021 schreibt. Ganze 47,6 Prozent würden bereits in Euro bezahlt, 8,7 Prozent in Rubel und 7,1 Prozent in anderen Währungen.
Außerhalb des Rohstoffgeschäfts laufen international aktive chinesische Handelsbanken jedoch größere Gefahr, von US-Sanktionen getroffen zu werden. Sie hätten diese in der Vergangenheit auch weitgehend respektiert, zitiert die Nachrichtenagentur Reuters einen hohen US-Beamten. Wenn sie nun weiter Geschäfte mit Banken oder Unternehmen machen, die neu auf die schwarzen Listen des US-Finanzministeriums aufgenommen wurden, könnten sie selbst darauf landen.
Das würde dem auf knapp 147 Mrd. Dollar angeschwollenen beidseitigen Handel schon abträglich sein. Neben Energie bezieht China vor allem Agrarprodukte, darunter Weizen. Umgekehrt gibt es wenig Anzeichen, schreibt der Economist, dass China oder andere asiatische Länder aktiv westliche Handelsverbote wie von Hightech-Produkten oder -Teilen umsetzt. Allerdings dürfte das Bewusstsein steigen, dass das Risiko von Zahlungsausfällen auf der Seite russischer Banken und Unternehmen steigt – was eher zu größerem Abstand führen könnte.
So wurde auch spekuliert, dass ein kompletter Ausschluss Russlands vom Interbankensystem Swift Russland zu vermehrten Geschäften mit China treiben würde, das ein vergleichbares System (CIPS) für Yuan-Transaktionen betreibt. Allerdings nutzt offenbar auch CIPS das weltweite System für seine Kommunikation.